Flagge der Interahamwe, der Miliz der Partei des Präsidenten

Der Genozid von Ruanda (V.)

Der Weg in die Katastrophe

Kai Schmidt
Published in
4 min readAug 17, 2016

--

Von KAI SCHMIDT

Ganz im Gegensatz zu den Erwartungen der Weltgemeinschaft konnte die Mission in Ruanda gar nicht der leichte und schnelle Erfolg werden, den man sich wünschte. Die Probleme des Landes waren letztlich wohl zu groß, um sie durch eine zeitlich begrenzte eine Truppe mit einem sehr eingeschränkten Mandat und nur relativ geringen Ressourcen zu lösen. Zu Katastrophe hätte es dennoch nicht kommen müssen.

Ruanda war nach dem Bürgerkrieg ein zerrissenes Land. Nicht nur zwischen Regierung und RPF verlief die Front, sondern auch innerhalb des Regierungslagers spalteten sich verschiedene Fraktionen ab. Hinzu kam, dass Ruanda infolge des Bürgerkrieges stark militarisiert worden war. Die Armee war von 5.000 auf 35.000 Mann angewachsen.

Hinzu kam, dass Parteien, auch die Partei des Präsidenten Habyarimana MRND, Milizen aufbauten, die sich vorwiegend aus armen jugendlichen rekrutierten. Hinzu kam, dass von der Regierung Ruandas sogenannte „Selbstverteidigungskräfte“ aufstellte, unter dem Vorwand diese seien nötig, um sich gegen Sabotageakte der RPF zu schützen. Diese Einheiten wurden auf aus Zivilisten auf lokaler Ebene gebildet, wobei sich Untereinheiten aus einzelnen Nachbarschaftsblocks zusammensetzen, und wurden von ehemaligen Soldaten, Polizisten oder örtlichen Würdenträgern angeführt.

Ideologisch war die Entstehung der sogenannten „Hutu-Power“-Bewegung bedeutend. Deren Führer, die aus dem Umfeld des Präsidenten stammten, forderten ein klares Bekenntnis zur Sache der Hutu mit dem Ziel einen Staat ohne Tutsi zu errichten. Auch Hutu, die gegen die Ideen der Bewegung waren, sollten keinen Platz in diesem Staat haben.

Die Idee sämtliche Tutsi zu vernichten kam während des Bürgerkriegs auf. Radikale Zeitungen publizierten solche Ideen und forderten deren Umsetzung. Das bedeutendste Medium in Ruanda war jedoch das Radio. Unter den Sender erlangte Radio-Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) unrühmliche Bekanntheit. Die Rolle des Senders während des Genozids brachte ihm den Spitznamen „Radio Machete“ ein. Führende Politiker schlossen sich der Forderung an Tutsi und oppositionelle Hutu zu vernichten.

Die Hetze nutzte alte Ängste und Vorbehalte gegen Tutsi aus, sowie die reale Angst vor der Invasion der RPF. Dabei wurde auf Begriffe und Bilder zurückgegriffen, die schon während der Hutu-Revolution vor der Unabhängigkeit Ruandas und in den folgenden Kriegen genutzt wurden. Alle Tutsi wurden systematisch entmenschlicht und als Bedrohung für alle Hutu dargestellt, welche man präventiv bekämpfen müsste.

Ein wichtiger Faktor für die Verbreitung der radikalen Hutu-Power war ein Militärputsch im südlichen Nachbarland Burundi im Herbst 1993. Bei diesem wurde der erste gewählte Präsident des Landes, ein Hutu, von Militärs, welche Tutsi waren, getötet. Es folgte eine Gewaltwelle, die von einigen Forschern als Genozid klassifiziert wird, in deren Folge zahlreiche Menschen in den Süden Ruandas flüchteten.

Es bestand die Gefahr einer nachhaltigen Destabilisierung des bis dahin recht ruhigen Südens Ruandas, zudem heizte der Mord am Präsidenten Burundis die Hutu-Power Bewegung erheblich an. Zudem waren viele der Geflüchteten aus Burundi Hutu, die alle potentielle Rekruten für die Milizen waren. UNAMIR musste so noch vor Etablierung der Mission umplanen und auch in den Süden Militärbeobachter entsenden.

Eine weitere Herausforderung für UNAMIR waren mehrere Morde nahe der Demilitarisierten Zone im Norden Ruandas, mit denen wohl radikale Gruppen die UN-Mission untergraben wollten. Obwohl ein Bataillon der RPF, wie im Friedensvertrag vereinbart, nach Kagali unter UN-Begleitung verlegt wurde verzögerte sich die Amtsübernahme durch die Übergangsregierung immer länger. Von verschiedenen Seiten wurde diese immer wieder blockiert. Die Sicherheitssituation verschlechterte sich derweil nach dem Jahreswechsel immer weiter. Regierung und RPF rüsteten sich für einen neuen Konflikt. Waffen wurden verteilt, Milizen durch das Regierungsmilitär ausgebildet und die sogenannten „Selbstverteidigungskräfte“ aufgestellt.

Es kam in Kigali zu ersten gewalttätigen Demonstrationen, welche das Ziel verfolgten die belgischen Soldaten zu provozieren. Am 21. Februar wurde der Parteichef einer moderaten Partei ermordet, tags darauf der einer radikalen Partei von Anhängern einer konkurrierenden Partei gelyncht. Und die RPF verstärkte heimlich ihr Truppenkontingent in Kigali.

Nicht genug gab es in dieser Zeit auch mehrere konkrete Hinweise auf (wenigstens) eine geplante großangelegte Gewaltaktion und sogar auf einen kommenden Völkermord. Bereits im Dezember 1993 erhielt General Dallaire, der Oberkommandierende von UNAMIR, einen Brief von hohen Offizieren der Regierungsstreitkräfte, in dem diese vor einem Plan warnten Tutsi gezielt zu ermorden, um den Friedensprozess zu torpedieren. Wenn kein Hinweis auf einen Völkermord, dann war dies doch ein konkreter Hinweis auf gezielt ethnisierte Gewalt.

Anfang 1994 meldete sich dann ein Informant unter dem Namen Jean-Pierre bei der Führung von UNAMIR. Jean-Pierre war vermutlich ein hoher Kommandeur der Interahamwe, der Miliz welche der Präsidentenpartei MRND nahestand. Nach seiner Aussage würden Todeslisten vorbereitet und in Kigali Waffenlager angelegt. UNAMIR plante daher Razzien, um die Waffenlager auszuheben und so die Waffenfrei-Zone in Kigali, welche vertraglich von den Konfliktparteien vereinbart worden war, durchzusetzen. Das UN-Hauptquartier verweigerte aber die Genehmigung für diese Aktion und so blieben die Waffenlager unangetastet. Auch wollte kein Land dem Informanten Jean-Pierre Asyl gewähren. Seine Spur verliert sich in dem Wirren der folgenden Ereignisse.

Anfang April 1994 war die Lage in Ruanda düster. Gewalt im Nachbarland und in deren Folge Flüchtlingsströme nach Ruanda, gewalttätige Demonstrationen und Morde, beide Seiten die sich für einen neuen Krieg rüsteten, Todeslisten, Waffenlager und Hinweise auf geplante systematische ethnische Gewalt.

Der Friedensprozess wurde immer weiter verzögert und UNAMIR konnte, und in einigen Fällen durfte, nichts unternehmen. Die UN übte jedoch weiterhin Druck auf die Konfliktparteien aus, damit diese den Friedensprozess fortführten und am 5. April 1994 wurde das Mandat für UNAMIR verlängert, mit der unverhohlenen Drohung die Truppe abzuziehen, sollte in den nächsten sechs Wochen kein Fortschritt erkennbar sein.

Noch hatte die Weltgemeinschaft Ruanda also nicht aufgegeben und so ernst die Lage war, so bestand doch noch Hoffnung für den Friedensprozess. Niemand rechnete mit der Katastrophe — dem Verbrechen — die in den nächsten Wochen Hundertausende von Toten fordern würde. Und so wurde am 5. April 1994 eine Resolution vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet, die keine 24 Stunden später völlige Makulatur war.

--

--