Vormarsch der RPF im Krieg 1994.

Der Genozid von Ruanda (VI.)

Putsch und Krieg

Kai Schmidt
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5 min readOct 19, 2016

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Von KAI SCHMIDT

Am 6. April etwa 20 Minuten nach 20 Uhr wurde das Flugzeug von Präsident Habyarimana, der von einer Konferenz in Daressalam zurückkehrte, im Landeanflug auf den Flughafen von Kigali von zwei schultergestützten Boden-Luft-Raketen getroffen und stürzte in den Garten des Präsidentenpalast. Dabei kamen neben Habyarimana auch der Präsident von Burundi, zwei burundische Minister und der Generalstabschef der ruandischen Armee ums Leben.

Habyarimana. Bild: US Außenministerium.

Trotz intensiver Nachforschungen konnte bis heute nicht ermittelt werden, wer für den Abschuss verantwortlich zeichnete. Fakt ist aber das dieses Ereignis eine über 100 Tage andauernde Welle der Gewalt auslöste. In Ruanda spielten sich drei unterschiedliche Gewaltphänomene zeitgleich ab, die einander bedingten und ineinander übergingen.

Die Grenzen zwischen den Phänomenen sind fließend und keines ist ohne die anderen zu verstehen. Das erste und bekannteste ist der Genozid, das zweite der Krieg und beide wurden durch den Putsch, das dritte Gewaltphänomen, bedingt. Im Folgenden werden der Putsch und der Krieg zwischen RPF und Putsch-Regierung beleuchtet.

Die Absturzstelle und der Flughafen wurden von der Präsidentengarde, einer Eliteformation der ruandischen Armee von etwa 1500 Mann, abgeriegelt. Überall in der Stadt wurden Straßensperren errichtet. Mit Bekanntwerden des wahrscheinlichen Tods des Präsidenten begann nahezu sofort die Gewalt. Die ersten Opfer waren zumeist sorgefältig ausgewählt und wurden vor allem aufgrund ihrer politischen oder gesellschaftlichen Stellung getötet. Die Todeslisten waren jedoch lang und offen für Erweiterung. Moderate Hutu, oder solche die man verdächtigte moderat zu sein, wurden in großer Zahl ermordet. Unter war Ermorden auch die Premierministerin Ruandas Agathe Uwilingiyimana. Ziele waren aber von Anfang an auch Tutsi, alleine weil sie Tutsi waren. Das ethnische Element, und damit der Genozid, war schon während des Putsches präsent. Gegen Mittag des 7. April waren alle, die legitim hätten Regieren können ausgeschaltet, meist ermordet.

Agathe Uwilingiyimana. Bild aus dem Film: “Ghosts of Rwanda” (2004).

Die Führung des Putsches übernahm Colonel Théoneste Bagosora. Dieser kontrollierte die Präsidentengarde sowie etwa 800 Mann des Paracommando Bataillons und des Reconnaissance Bataillons. Insgesamt standen 2000 Mann unter seinem Kommando und damit verfügten die Putschisten über mehr und in Ausbildung und Ausstattung überlegene Truppen, sodass die moderaten Kräfte im Offizierskorps der Armee dem nichts entgegenzusetzen hatten. Auch nahmen die Moderaten die Angebote von RPF und UNAMIR nicht an, sie gegen die Putschisten zu unterstützen.

Theoneste Bagosora. Bild: Getty Images

Radikale Hutu Hardliner übernahmen so das Militär, bildeten eine neue Regierung, kontrollierten die Medien und die Milizen. Diese Radikalen waren clanähnliches Netzwerk von Personen aus dem Nordwesten des Landes, das man als Akazu bezeichnete. Auch als Zero Network bezeichnet arbeitete diese Gruppe aus Militärs, Politikern, Intellektuellen und Geschäftsleuten im Schatten des Präsidenten. Es veranlasste wahrscheinlich Massaker und politische Morde und plante einen unter Beteiligung der Bevölkerung durchzuführenden Genozid, in der Annahme, dass dieser der einzige Weg sei die RPF zu besiegen. Der Tod des Präsidenten eröffnete dieser Gruppe die Möglichkeit die Macht im Staat an sich zu reißen, die sie benötigten um ihren Vernichtungsplan durchführen zu können.

Die RPF war durch diese Vorgänge beunruhigt und auch UNAMIR sah die Möglichkeit einer Eskalation bereits unmittelbar nach dem Abschuss des Flugzeugs des Präsidenten. Dallaire forderte die RPF dazu auf still zu halten bis die Lage geklärt sei. Dies tat die RPF aber nur kurz und im Laufe des 7. Aprils trafen drei Nachrichten von Paul Kagame, dem Militärchef der RPF, ein. Die Letzte beinhaltete ein Ultimatum, das besagte, dass im Fall eines Angriffs auf die RPF Truppen in Kigali und falls die Lage bis Sonnenuntergang des 7. April nicht unter Kontrolle sei, die RPF mit einer Offensive gegen die Regierung beginnen würde.

Noch vor Ablauf dieser Frist wurde der Stützpunkt der RPF in Kigali von Truppen der Putschisten unter Feuer genommen und die dortigen RPF-Truppen bereiteten sich auf eine Gegenoffensive vor. Am Morgen des 8. April begannen die Kämpfe in Kigali, während zeitgleich die RPF von ihren Stützpunkten im Norden ausrückte. Ein neuer Krieg war damit in vollem Gange.

Ausganglage vor Ausbruch der Gewalt. Quelle: Kuperman: The Limits of Humanitarian Intervention.

Die Truppen der RPF umfassten zu diesem Zeitpunkt etwa 20.000 Mann. Die Truppen waren, obwohl Großteils sehr jung, teilweise noch Kinder, kampferfahren, diszipliniert, gut ausgebildet und wurden gut geführt. Zudem zeichnete sie ein hoher Bereitschaftsgrad aus, der die schnelle Offensive der RPF ermöglichte. Das größte Problem der Truppe war die Logistik. Es handelte sich um eine Armee leichter Infanterie die nur über wenige Fahrzeuge verfügte. In der ruandischen Armee herrschte ein Doppelstandart. Einige Eliteeinheiten, wie die Präsidentengarde, wurden gut ausgerüstet und wurden von französischen und belgischen Militärberatern trainiert. Die Mehrheit der etwa 36.000 Mann starken Armee wurde nahezu ignoriert und befand sich dementsprechend in einem sehr schlechten Zustand.

Die Truppen der RPF stießen von ihren Stellungen im Norden in vier Richtungen vor. Die erste Gruppe stieß direkt in Richtung Kigali, um die dort stationierten Truppen zu unterstützen. Sie erreichten schon am 11. April die Ränder der Hauptstadt, worauf sich die Regierung der Hardliner am 13. April nach Gitarama zurückzog. Die zweite Gruppe stieß an die Ostgrenze Ruandas vor und rückte an dieser entlang nach Süden vor. Auf Höhe Kigalis teilte sie sich und ein Teil marschierte westlich nach Kigali, während der andere Teil bis zum 22. April in den Süd-Osten des Landes vorstieß, um sich an der Südgrenze dann ebenfalls nach Westen zu Wenden und der Grenze entlang weiter vorzustoßen.

Die dritte RPF Gruppe belagerte Byumba, das direkt südlich der RPF Kontrollierten Gebiete im Norden lag, und nahmen es nach 10 Tagen ein um daraufhin nach Kigali weiterzumarschieren. Eine vierte Gruppe der RPF wandte sich direkt nach Westen, griff die Regierungshochburg Ruhengeri an und verwickelte die Regierungstruppen dort ein einen Stellungskampf.

Kagame gelang es so mit minimalem Aufwand die größte Truppenkonzentration der Regierung außerhalb der Hauptstadt zu binden und so den Gruppen die nach Süden vorstießen maximale Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Innerhalb von drei Monaten eroberte die RPF faktisch das ganze Land und erklärte am 18. Juli einen unilateralen Waffenstillstand.

Während des gesamten beschriebenen Zeitraums wurde der Völkermord an den Tutsi in Ruanda begangen. Krieg, Putsch und Völkermord waren eng miteinander verwoben und können nicht voneinander getrennt verstanden werden. Im nächsten Teil wird der Völkermord und die Verbindung zu Putsch und Krieg näher beleuchtet.

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