Schädel von Opfern des Genozids in der Nyamata Gedenkstätte in der Nähe von Kigali. Bild: Fanny Schertzer

Der Genozid von Ruanda (VII.)

Völkermord

Kai Schmidt
Das Sonar
Published in
6 min readDec 9, 2016

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Von KAI SCHMIDT

Das wichtigste, was man über den Völkermord von Ruanda wissen muss, ist das es ein Völkermord war. Es handelte sich nicht um einen Stammeskrieg, um keine Massenpsychose oder eine Art kollektiven Amoklauf. Es war ein geplanter, zentral gesteuerter und effizient durchgeführter Massenmord. Nichts „primitives“ gibt es an diesem zu finden und auch nichts das speziell „afrikanisch“ wäre. Es war eine gigantische Gewalttat, welche in Nichts den anderen großen Massenmorden des 20. Jahrhundert nachstand.

Geplant und gesteuert wurde der Völkermord durch eine relativ kleine Gruppe Radikaler, die eine rassistische Ideologie der Überlegenheit er Hutu vertraten und sämtliche Tutsi als Feinde Ruandas sahen. Die Vernichtung aller Tutsi wurde als einzige Maßnahme betrachtet welche die Bedrohung durch die Tutsi dauerhaft beenden würde. Andere Maßnahmen, wie die Vertreibungen infolge der Revolution 1960 hatten sich als unzureichend erwiesen, da sich die geflohenen Tutsi in den Nachbarländern organisiert hatten und 1990 bewaffnet angriffen.

Diese relativ kleine Gruppe von Radikalen, welche den Massenmord als einzigen Ausweg sahen, sicherte sich nach dem Mord am Präsidenten Ruandas durch einen Putsch die Macht im Land und löste einen Krieg mit der RPF aus, wie im vorherigen Teil der Serie beschrieben.

Der Ausbrechende Krieg und der Putsch ließen jedoch nicht die Ordnung in Ruanda zusammenbrechen, vielmehr sicherten sich die Putschisten die Kontrolle über die starke Bürokratie und nutzen diese, um ihre Massenmordpläne umzusetzen. Nur durch die starke hierarchische Kontrolle von zentraler Stelle war es möglich die unterschiedlichsten Organisationen für den Völkermord zu mobilisieren und sie koordiniert mit hoher Effizienz einzusetzen. Nur so konnten in weniger als drei Monaten so viele Menschen ermordet werden.

Bilder von Opfern des Völkermords im Genocide Memorial Centre in Kigali. Bild: Adam Jones

Die Opferzahlen sind unklar, oft werden Zahlen von ca. 800.000 Toten genannt, etwa 10% der Bevölkerung und 75% der Tutsi, die in Ruanda lebten. Wie oben erwähnt sicherte sich eine radikale Fraktion die Kontrolle über den Staat. Dies gelang nicht ohne Widerstand hervorzurufen. Auf allen Eben der Verwaltung, bis hinauf zu den Präfekten der Provinzen Gitarama und Butare, Fidèle Uwizeye beziehungsweise Jean-Baptiste Habyalimana, gab es Personen, welche versuchten die Gewalt einzudämmen und Opfer zu schützen.

Leider gelang dies nur begrenzt und viele mussten ihr Engagement mit dem Leben bezahlen. Bis 20. April hatten die Radikalen ihre Kontrolle über den Staat und dessen überraschend intakte und effektive Verwaltung gesichert und nutzten diese für ihr Vorhaben. Das genozidale Töten hatte bereits am ersten Tag begonnen, doch ab dem 20. April wurde es immer gewalttätiger und die Täter forderten Konformität und Kooperation.

An diesem Schädel der im Genocide Memorial Centre ausgestellt ist sind deutlich Verletzungen durch Hiebwaffen zu erkennen. Bild: Adam Jones.

Da nicht genügend Feuerwaffen zur Verfügung standen, um so viele Menschen in so schnellem Tempo zu ermorden, war es nötig Teile der Bevölkerung als Helfer zu rekrutieren. Auch der Einsatz von einfacheren Waffen wie Macheten oder Knüppeln, der in der internationalen Öffentlichkeit besonders mit dem Genozid von Ruanda verbunden wird, liegt darin begründet.

Es wurde ein Normensystem des Genozids geschaffen und durchgesetzt, das über Sanktionen und Anreize die Gewalt verstärkte. Eifrige Mörder konnten materielle Belohnungen erhalten und auch rasch in der Hierarchie des Mordens aufsteigen. So konnten eifrige Milizionäre größere Macht und Einfluss gewinnen als örtliche Beamte oder Bezirkschefs. Wer sich hingegen verweigerte den Genozid zu unterstützen oder gar Tutsi half, musste mit Konsequenzen bis hin zum Tod rechnen. Dennoch versuchten viele Hutu sich dem Morden aus unterschiedliche Art und Weise zu entziehen.

Durch vertikalen Druck, Beispielsweise durch lokale Politiker und aus dem engsten familiären und nachbarschaftlichen Umfeld wurden normale Bürger als Täter rekrutiert. Dabei griff man auch auf die unter Habyarimana wiederbelebte Praxis der „umuganda“ zurück. Diese war so etwas wie gemeinnützige Arbeit die von den Behörden etwa zur Reparatur von Straßen angeordnet wurde und nun für den Genozid unter dem Vorwand der Selbstverteidigung missbraucht wurde.

Die hohe Zahl von Zivilisten unter den Tätern unterscheidet den Genozid von Ruanda von anderen Völkermorden. Jedoch spielte das Militär, und mit Abstrichen auch die Polizei, eine zentrale Rolle. Es initiierte und koordinierte das Töten, führte und überwachte die anderen Täter, stellte Ressourcen zur Verfügung und brach Widerstand, wo sich solcher bildete.

Die wichtige Position des Militärs zeigt sich etwa auch daran, dass die Milizen, die nach dem Militär wichtigste und ideologisch radikalste Tätergruppe, dem Militär unterstellt war und nach dessen Befehlen verlegt und eingesetzt wurden.

Es beteiligten sich noch zahlreiche andere Institutionen direkt oder indirekt an der Durchführung des Völkermords. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Radiosender Radio-Télévision Libre des Mille Collines, RTLM, der bereits vor Beginn der Gewalt Propaganda gegen Tutsi machte und während dem Genozid nicht nur zum Morden aufrief, sondern zur Koordination des Tötens beitrug, indem etwa Angriffsziele genannt wurden.

In den ersten Tagen des Völkermords wurden vor allem bestimmte Individuen, die auf Listen aufgeführt wurden, ermordet. Meist waren dies Tutsi aber auch viele und vor allem prominente Hutu aus Opposition und Zivilgesellschaft. Schon am Mittag des 7. April kam es auch außerhalb von Kigali zu Morden.

Die Täter operierten in diesem Zeitraum in kleinen Gruppen, die Straßensperren errichteten, um Flucht zu verhindern und Patrouillen organisierten, um Opfer in ihren Häusern ausfindig zu machen. Patrouillen und Straßensperren wurden während des gesamten Zeitraums aufrecht erhalten und waren äußerst effektiv dabei Opfer ausfindig zu machen, ob bei Fluchtversuchen oder in ihren Verstecken in Städten, Dörfern oder in der Wildnis.

Doch schon am Abend des 7. April wurden Zufluchtsorte, wie Kirchen, an denen sich viele Tutsi versammelt hatten, von größeren Tätergruppen angegriffen. Das Tutsi sich an Zufluchtsorten in größeren Gruppen sammelten wurde ab 11. April von den Tätern ausgenutzt. Die Opfer wurden an diesen Orten Schutz versprochen oder sie wurden unter Zwang dorthin gebracht. Dann sammelte man Truppen, wartete auf Unterstützung durch das Militär, oder brach den Widerstand der Opfer durch Nahrungsentzug bevor man sie in großer Zahl ermordete. Die verheerendsten dieser Massaker fanden zwischen 11. April und 1. Mai statt.

Waffen die bei Morden in Nyamata eingesetzt wurden. Bild: Genocide Archive of Ruanda.

Gemordet wurde, wie bereits erwähnt, vorwiegend mit Hieb- und Stichwaffen, nachdem man Schuss- und Sprengwaffen genutzt hatte, den Widerstand der Opfer zu brechen. Die Wunden dieser Waffen waren grausam. In vielen Fällen wurde jedoch nicht nur getötet, sondern auf bestialische Art und Weise gefoltert. Hände und Füße wurden Amputiert, Menschen gezwungen ihre Angehörigen zu töten, manche wurden sogar zum Kannibalismus gezwungen. Insbesondere Frauen waren Ziel sexueller Gewalt und wurden teils als Sklaven zur Belohnung an besonders „verdiente“ Täter vergeben.

Beim Foltern und Töten zeigten die Täter ein grausames und kreatives Talent zur Improvisation. So wurde in einem Fall eine Kirche, in der Tutsi Zuflucht gesucht hatten, kurzerhand mit einer Baumaschine zum Einsturz gebracht, um so die Menschen im Inneren zu töten. In anderen Fällen setzte man Tränengas ein, um zwischen den Toten verletzte Überlebende durch ihr Husten zu identifizieren und dann zu töten. Doch sollte man dies nicht als ein Eigenstellungsmerkmal dieses Völkermords sehen. Solche Grausamkeiten jenseits des bloßen Mordens sind auch für andere Völkermorde gut nachgewiesen und wohl Kennzeichen jeden Massenmords.

Der Mangel an Schusswaffen führte dazu, dass der Widerstand nicht überall gebrochen werden konnte. An einigen Orten konnten sich die Flüchtlinge teils über Monate hinaus verteidigen, bis die RPF sie befreite. Wehrlose Opfer waren die Tutsi in den wenigsten Fällen.

Ende April versuchte die Regierung mehr Kontrolle über das Töten zu gewinnen. Die großen Massaker wurden beendet, Opfer sollten nicht auf offener Straße getötet werden und Täter, die zum eigenen Vorteil auch Hutu angriffen, sollten bestraft werden. Dieses als „Befriedung“ bezeichnete Vorgehen sollte Tutsi aus ihren Verstecken locken, aber vor allem war sie Teil der großangelegten und während des ganzen Zeitraums andauernden Desinformationskampagne welche die internationalen Akteure von einem Eingreifen abhalten sollte.

Ab Mitte Mai wurde die letzte Phase des Genozids begonnen, in der die letzten Überlebenden die sich Versteckt hatten oder aufgrund ihres Geschlechts, Alters oder Status verschont worden waren, ermordet werden sollten.

Beendet wurde der Genozid überall dort, wo die RPF das Gebiet einnahm. Am 18. Juni erklärte die RPF ihren Sieg und dieses Datum kann auch ungefähr mit dem Ende des Genozids gleichgesetzt werden. Die RPF eroberte jedoch nicht ganz Ruanda. Große Gebiete im Osten des Landes wurden von einer französischen Interventionsstreitmacht besetzt. Zur Internationalen Reaktion auf den Völkermord und wie es zum französischen Eingreifen kam im nächsten Teil dieser Serie.

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