Soldaten der International Security Assistance Force (ISAF) suchen eine Straße nach Sprengfallen ab. Bild: ISAF

Krieg ohne Sieger

Warum asymmetrische Konflikte kaum zu gewinnen sind

Kai Schmidt
Das Sonar
Published in
6 min readOct 18, 2017

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Von KAI SCHMIDT

Seit 2001 versucht die Internationale Gemeinschaft geführt von den USA Afghanistan zu einem halbwegs funktionierenden Staat mit tragbarer Sicherheitslage zu machen. Das Taliban-Regime war 2001 schnell beseitigt, aber immer noch sind die Taliban aktiv. Mehr als das haben sie mittlerweile wieder weite Landstriche Afghanistans unter ihrer Kontrolle, fügen den afghanischen Sicherheitskräften massive Verluste zu und untergraben mit ihren Angriffen und Anschlägen die Kontrolle der international unterstützten Regierung über das Land. Ein Sieg ist trotz immer neuer Anstrengungen nicht in Sicht.

Doch dieser Konflikt ist bei weitem nicht der einzige, in dem ein technologisch und materiell massiv überlegener Gegner es nicht schafft seinen scheinbar so schwachen Kontrahenten auszuschalten. Die Sowjets erlebten dies in Afghanistan, die Amerikaner in Vietnam, die Franzosen in Algerien. Man könnte eine lange Liste solcher Konflikte, beginnend in der Antike, anfertigen. Die überlegenen Kriegsparteien konnten solche Konflikte manchmal auch für sich entscheiden. Die Briten zerschlugen den Aufstand in Malaya, die Russen siegten in Tschetschenien und die Römer zerschlugen die Rebellionen im Heiligen Land. Doch auch hier waren die Siege teuer, mühsam und alles andere als wirkliche Erfolge. Warum also sind asymmetrische Konflikte so schwierig zu gewinnen?

Masada. Die letzte Festung des jüdischen Aufstandes gegen die Römer. Bild: National Foto Collection of Israel

Eine Antwort finden wir bei Clausewitz, dem ersten modernen Theoretiker bewaffneter Konflikte. Clausewitz schreibt, dass drei Größen einen bewaffneten Konflikt bestimmen. Das Ziel welches erreicht werden soll, die Ressourcen, die eingesetzt werden, um dieses Ziel zu erreichen, und die Zeit die benötigt wird, um das Ziel zu erreichen. Diese Größen sind voneinander abhängig. Je höher das Ziel gesteckt ist, desto mehr Ressourcen und Zeit wird benötigt, um es zu erreichen. Je weniger Ressourcen man einsetzt, um dasselbe Ziel zu erreichen, desto länger dauert es. Will man jedoch schnelle Erfolge, muss man mehr Ressourcen einsetzen. Welche Ziele man überhaupt erreichen kann, wird durch die Zeit und die Ressourcen bestimmt, die einem zur Verfügung stehen.

Übertragen wir dies auf die Parteien in einem asymmetrischen Konflikt. Der offensichtliche Unterschied, welcher unsere Frage überhaupt aufgeworfen hat, ist, dass die kleine Partei sehr viel weniger Ressourcen hat als die große Konfliktpartei. Dieser Unterschied bei den Ressourcen hilft uns bei unserer Erklärung nicht weiter, da wir ja erklären wollen, warum gerade nicht die stärkere Partei mit ihren viel größeren Ressourcen diese Konflikte so einfach gewinnt.

Carl von Clausewitz. Gemälde von Karl Wilhelm Wach.

Werfen wir einen Blick auf die Ziele der Parteien wird klar, dass die größere Konfliktpartei ein sehr ambitioniertes Ziel verfolgt. Sie will die vollständige Kontrolle über ein Gebiet, man könnte auch sagen, das Gewaltmonopol. Als einziger Akteur Gewalt in einem Gebiet ausüben zu können erfordert jeden anderen Akteur auszuschalten, der ebenfalls in der Lage ist Gewalt auszuüben. Ob durch Vernichtung oder Vertreibung macht keinen Unterschied. Bei kleinen Gebieten mag dies noch ohne allzu großen Aufwand möglich sein. Ist das Gebiet jedoch größer und erstreckt sich eventuell sogar auf das Gebiet eines ganzen Staates, so sind Ressourcen in einem gewaltigen Umfang notwendig, um das Gewaltmonopol dort zu halten.

Hierzu ein kleines Modell. In einem Gebiet befinden sich fünf Dörfer, die gesichert werden sollen. In das Gebiet kann ein Gegner mit insgesamt zehn Soldaten eindringen. Man braucht also pro Dorf mindestens zehn eigene Soldaten, um dem Gegner zumindest ebenbürtig zu sein. Um die Dörfer aber wirklich zu sichern, so dass keine wirkliche Gefahr besteht, dass sie vom Gegner eingenommen werden oder der Gegner auch nur schwere Schäden anrichten kann, so benötigt man eine doppelte, besser eine dreifache Überlegenheit. Pro Dorf also 30 eigene Soldaten. Denen zehn Soldaten des Gegners muss man 150 eigene entgegenstellen, um das Gebiet zu sichern.

Nun kann man einwenden, dass es mit einer 15-fachen Überlegenheit leicht wäre den Gegner auszuschalten und dies bringt uns zum Ziel der schwächeren Konfliktpartei. Diese verfolgt nämlich kein ambitioniertes Ziel, sondern in der Tat das minimalste Ziel, dass es in einem bewaffneten Konflikt überhaupt gibt: Überleben. Durch ihre bloße Existenz verhindert die schwächere Konfliktpartei, dass ihr Gegner sein Ziel erreichen kann.

Jugoslavischer Partisan während des Zweiten Weltkriegs. Bild: Wikipedia

Dies bedeutet, dass die schwächere Konfliktpartei keine Gefechte führen muss, also ihre Ressourcen und ihre Mannstärke nicht in diesen verbraucht. Es genügt gegnerischen Kräften auszuweichen, was gerade kleinen und leicht bewaffneten Truppen nicht schwer fällt. Unzugängliches Gelände, aber auch zivile Siedlungen und Städte sind geeignete Rückzugsgebiete, in denen eine Truppe, die nicht gefunden werden will, nur sehr schwer aufzuspüren ist. Im Gegenzug verbrauchen Operationen zum Aufspüren und Ausschalten eines solchen Gegners enorme Ressourcen, wobei keinerlei Erfolg garantiert ist. In der Tat besteht die Gefahr durch Hinterhalte und Fallen empfindliche Verluste zu erleiden. Diese zu ersetzen ist teuer.

Die schwächere Konfliktpartei kann ihre Verluste leichter ausgleichen und teilweise ist dies nicht einmal notwendig. Ressourcen benötigt man, um taktische Gefechte zu gewinnen. Hier macht es einen Unterschied ob 50 oder 100 Mann einem 100 Mann starken Gegner gegenüber stehen. Muss man jedoch kein Gefecht gewinnen, sondern reicht es aus zu demonstrieren, dass man weiterhin über bewaffnete Kräfte verfügt, genügt es, übertrieben gesprochen, einen Mann in Hörweite der gegnerischen Truppen in die Luft schießen zu lassen.

Wir sehen also, dass sich in einem asymmetrischen Konflikt zwei Gegner gegenüberstehen, deren Ziel sich stark unterscheidet. Die stärkere Konfliktpartei verfolgt ein sehr ambitioniertes Ziel, dessen Erreichung selbst mit einem massiven Ressourceneinsatz nicht garantiert ist. Die schwächere Konfliktpartei hingegen verfolgt ein Minimalziel, dass mit minimalem Ressourceneinsatz zu erreichen ist.

US. Hubschrauber Transportieren Südvientnamesische Truppen in den Kampf. Bild: Library of Congress

Nun kommen wir zum Faktor Zeit. Dieser lässt das beschriebene Ungleichgewicht exponentiell wachsen. Bleiben wir bei unserem Beispiel mit den 10 und den 150 Soldaten. Die stärkere Partei muss für einen Tag 15-mal mehr Ressourcen aufwenden, um die Soldaten im Feld zu halten. Was das eigentlich bedeutet zeigt sich, wenn an auf die absoluten Zahlen blickt. Ganz einfach gesprochen muss die schwächere Seite an einem Tag 10 Dollar investieren, die stärkere Seite 150. Bei zwei Tagen werden es 20 und 300 Dollar, nach zehn Tagen 100 und 1500 Dollar. Sind es am ersten Tag noch 140 Dollar mehr die investiert werden müssen, sind es nach zehn Tagen schon 1400 Dollar. Je länger der Konflikt dauert, desto weiter geht diese Schere in absoluten Zahlen auseinander.

Da sich in solchen Konflikten eine Ende meist nicht abschätzen lässt, stellt sich letztlich die Frage: Lässt sich dies ewig durchhalten? Die schwächere Partei hat alle Zeit der Welt. Sie muss den Konflikt nicht gewinnen, um ihr Ziel zu erreichen, verbraucht nur wenige Ressourcen und ihre bloße Existenz ist ein Erfolg. Die stärkere Partei hat nur so lange Zeit, wie sie willens und in der Lage ist bedeutende Ressourcen zu investieren, ohne zu wissen, ob sich diese Investition jemals auszahlen wird.

ISAF-Fahrzeug im tiefen afghanischen Winter. Bild: ISAF

Und hier finden wir die Antwort darauf, warum asymmetrische Konflikte so schwierig zu gewinnen sind. Die schwächere Konfliktpartei muss nicht gewinnen. Sie kann jedes Gefecht verlieren, solange sie überlebt steht sie der stärkeren Seite im Weg. Diese ist in einer frustrierenden Situation gefangen. Sie investiert Ressourcen in riesigem Ausmaß, sie ist klar überlegen, gewinnt jedes Gefecht und dennoch gelingt es ihr nicht den Konflikt für sich zu entscheiden. Eine Seite muss gewinnen, die andere nicht. Dies erklärt die Schwierigkeit in asymmetrischen Konflikten.

Noch besser hat es Dr. Strange in dem Marvel Film gleichen Namens auf den Punkt gebracht: „I can lose again and again and again. And that makes you my prisoner.“ Und so wie viele Großmächte zuvor ist nun auch die Internationale Gemeinschaft genau deshalb in einem Konflikt gefangen, der nur sehr schwer zu gewinnen ist.

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