Reanimationsübung am Patientensimulator mit AED (Wikimedia Commons)

Prüfen, Rufen, Drücken……..Leben retten

Laien in der Notfallmedizin

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7 min readAug 4, 2017

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Von DAVID MEHLING

Etwa 50.000 Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr einen Herz-Kreislauf Stillstand. Etwa 17 Prozent, der Kreislauf stillstände, passieren in der Öffentlichkeit und in etwa der Hälfte dieser Fälle, werden sie auch durch Dritte beobachtet.

Aber nur in 32 Prozent der Fälle trauen sich die Umstehenden eine Reanimation zu und führen diese auch durch. Dies stellt zwar im Vergleich zu 2005 eine deutliche Steigerung dar, damals lag die Laien Reanimationsquote in Deutschland noch bei 16 Prozent, im Europäischen Vergleich sind wir Deutschen damit trotzdem noch weit, abgeschlagen. In Dänemark wird in 45 Prozent der Fälle von Passanten reanimiert, in Norwegen helfen sogar 70 Prozent der Laien sofort und führen lebensrettende Maßnahmen durch.

Die Reanimation ist deshalb so wichtig, weil nach einem Herzstillstand das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird. Dieser Sauerstoffmangel führt nach 3–5 Minuten zu irreparablen Hirnschäden bis zum Hirntod.
Der Helfer übernimmt durch drücken des Brustkorbes und der damit verbundenen Kompression des Herzens die Pumpfunktion, sowie durch die Atemspende die Funktion der Atemmuskulatur und sorgt somit für weitere Sauerstoffzirkulation im Körper und die Versorgung des Gehirns.

Als Richtwert gilt, dass jede Minute, vom Verlust der Zirkulation bis zum Einsetzen der Reanimationsmaßnahmen die Überlebenschance um 10 Prozent sinkt. Nach 10 Minuten beträgt diese nur noch etwa 8 Prozent. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber nicht, dass nach 11 Minuten oder mehr eine Herz-Lungen-Wiederbelebung nicht mehr erfolgreich sein kann.

Die Reanimation ist eine einfache Maßnahme, sie kann bei falscher Anwendung keinen Schaden anrichten und es gibt kaum Möglichkeiten etwas falsch zu machen. Der Helfende ist auch durch die öffentliche Unfallversicherung gegen etwaige Schäden an Gesundheit oder Eigentum abgesichert.
Auch unsachgemäße Hilfeleistung ist, solange sie nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt wird, nicht strafrechtlich relevant.
Die Unterlassene Hilfeleistung hingegen stellt nach §323c StGB eine Straftat dar und kann in schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegt werden.

Von dieser Pflicht ausgenommen sind Fälle, in denen sich der Helfer selbst in Gefahr bringen würde oder er dabei andere Pflichten vernachlässigen müsste.
Das Absetzen eines Notrufs stellt allerdings in jedem Falle eine zumutbare Maßnahme dar, die geleistet werden muss.

Somit stellt sich die Frage, warum so wenige Menschen hierzulande sich in der Lage sehen oder bereit sind eine Reanimation durchzuführen.
Die Gründe hierfür sind individuell und vielfältig. Allerdings haben Studien gezeigt, dass es dafür eine Menge an identifizierbaren Faktoren gibt.

Rettungswagen der Frankfurter Feuerwehr (Wikimedia Commons)

Die vermeintliche Sicherheit unseres guten Rettungsdienst- und Notarztsystems in Deutschland könnte einen Faktor darstellen. Die trügerische Sicherheit, dass Hilfe schnell eintrifft und professionell geleistet wird. Zwischen acht und zwölf Minuten braucht es in Deutschland im Durchschnitt bis nach einem Notruf Rettungskräfte eintreffen, für eine Reanimation ist das viel zu langsam. Denn wie bereits erwähnt treten nach 3 bis 5 Minuten bereits erhebliche Hirnschäden ein. In ländlichen Regionen oder zu Zeiten großen Verkehrsaufkommens brauchen Rettungskräfte manchmal erheblich länger als zwölf Minuten zum Einsatzort.

Auch sozioökonomische Status der Region ist ausschlaggebend für die Reanimationsquote. In Studien in Paris und Nordostengland wurde festgestellt, dass in Regionen mit einem geringeren mittleren Haushaltseinkommen die Reanimationsquote deutlich unter der gutsituierter Regionen liegt.

Des Weiteren spielen auch soziokulturelle Normen eine Rolle. So wird jungen Menschen häufiger Hilfe geleistet als bei älteren und Männer werden erheblich öfter reanimiert als Frauen.

In einem Versuch kanadischer Wissenschaftler sollten Probanden an sowohl an einer männlichen, als auch einer weiblichen Reanimationspuppe Wiederbelebungsmaßnahmen üben. Hierbei stellte sich heraus, dass sowohl männliche als auch weibliche Helfer bei dem weiblichen Patientensimulator zögerten und erhebliche Hemmungen hatten, den Oberkörper der Puppe zu entblößen und so hinderliche Kleidung zu entfernen. Die Forschergruppe empfiehlt die Reanimation sowohl an männlichen wie auch an Weiblichen Reanimationspuppen zu trainieren.

Ekel vor der Mund-zu-Mund Beatmung kann auch einen erheblichen Faktor darstellen, so zeigen mehrmals bestätigte Studien, dass die Bereitschaft von Laienhelfern zur Reanimation steigt wenn man sie instruiert nur zu drücken und die Beatmung einfach wegzulassen.

Bei Erwachsenen kann man die Beatmung am Anfang durchaus unterlassen. Denn es hat sich herausgestellt, dass in den ersten Minuten noch genug Sauerstoff im Blut des Patienten vorhanden ist um das Gehirn ausreichend zu versorgen.
Die Beatmung wird aber weiterhin gelehrt, da nicht immer auf sie verzichtet werden kann. In fällen in denen länger Reanimiert werden muss, weil sich das Eintreffen des Notarztes verzögert oder der Kreislaufstillstand untypisch ist, beispielsweise bei ertrinken, erhängen oder beim Herzstillstand von Kindern oder Säuglingen muss weiterhin beatmet werden.

Beatmungsfolien, die als Schlüsselanhänger mitgeführt werden können, bieten die Möglichkeit hygienisch und ohne direkten Kontakt mit dem Patienten Mund-zu-Mund Beatmung durchzuführen.

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer besseren Laienreanimationsquote ist vermutlich das mangelnde Wissen über Erste Hilfe in der Bevölkerung. Die meisten haben ihren Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein absolviert und das Wissen seitdem weder wiederholt noch geübt. Eine Studie der Universität Würzburg hat ergeben, dass nach zwei Jahren die Inhalte der Erste-Hilfe-Kurse zur Hälfte vergessen waren.
Entsprechend wird in der Studie ein Auffrischungskurs alle 3 – 5 Jahre gefordert, wenn das Wissen erhalten werden soll.

Eine der grundlegendsten Hemmnisse ist vermutlich die Angst vor der Reanimation. Wie bereits erklärt, muss niemand bei Erster Hilfe mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Häufig besteht die Angst, dem Patienten mit der Reanimation die Rippen zu brechen und dass diese sich durch die Lunge bohren könnten und damit eine Genesung des Patienten unmöglich machen.

Knochen des Thorax (Wikimedia Commons)

Es ist korrekt, dass in etwa der Hälfte der Reanimationen das Knorpel Gewebe der Rippen (dunkelgrau) vom Brustbein abreist, allerdings brechen die Rippen dabei nicht. Das Abreißen der Rippen ist häufig eher ein Hinweis auf eine ausreichende Drucktiefe bei der Reanimation. Die Gefahr, dass sich die abgerissen Rippen dann durch die Lunge bohren besteht dabei nicht.
Da die Rippen gekrümmt sind stehen sie im Brustkorb unter Spannung. Das bedeutet, dass abgerissene Rippen sich nach außen, weg vom Brustbein und den inneren Organen bewegen. Dabei wird ein ploppendes Geräusch erzeugt und das Drücken wird für den Helfer meist leichter.

Abschließend stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen sich die Laienreanimationsquote in Deutschland verbessern ließe.

Zuerst muss für das Problem Aufmerksamkeit erzeugt werden, es braucht mediale Aufmerksamkeitskampagnen. In Dänemark war diese Maßnahme bereits äußerst erfolgreich. 2001 wurde nur etwa in 20 Prozent der Fälle von Laien reanimiert, 2010 waren es nach einer breit aufgestellten Kampagne der Regierung bereits 45 Prozent.
Auch in Deutschland gibt es mehrere dieser Kampagnen beispielsweise „Ein Leben Retten“ der Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. oder „Prüfen. Rufen. Drücken.“ des Nationalen Aktionsbündnis Wiederbelebung, dem alle Hilfsorganisationen, sowie andere Gesundheitsverbände und Stiftungen mit Unterstützung der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung angehören.

Unter Schirmherrschaft des Gesundheitsministeriums findet auch jedes Jahr die „Woche der Wiederbelebung“ statt, dieses Jahr in der Woche vom 18. bis zum 24. September. Den meisten Lesern, wie auch mir selbst werden diese Aktionen und Kampagnen bisher unbekannt geblieben sein. Das zeigt, dass die Reichweite dringend verbessert werden sollte.

Aufmerksamkeit ist sinnvoll und gut, aber sie schafft noch keine Kompetenzen und Handlungssicherheit bei der Reanimation. Es ist notwendig, dass ein deutlicher höherer Anteil der Bevölkerung in Erste-Hilfe-Maßnahmen ausgebildet wird und diese regelmäßig aufgefrischt werden.

Nach §26 der Unfallverhütungsvorschrift der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. müssen in einem Betrieb mit bis zu 20 Beschäftigten ein ausgebildeter Ersthelfer vorhanden sein, sein, ab mehr als 20 Beschäftigten müssen, je nach Betrieb zwischen 5 und 10 Prozent in Erster Hilfe ausgebildet sein und dies alle Zwei Jahre auffrischen.

Die vorgeschriebene Anzahl an Ersthelfern könnte erhöht werden, das liefe dann zu Lasten der Arbeitgeber, könnte aber auch zu einer besseren medizinischen Versorgung in Betrieben und der Öffentlichkeit beitragen.

Auch über die Krankenkassenbeiträge könnten Anreize geschaffen werden, Erste-Hilfe-Kurse zu besuchen. Dies kann aber nur funktionieren wenn die gesetzlichen und privaten Krankenkassen gemeinsam Anreize schaffen, sonst könnten die Kassen zurecht argumentieren, dass sie auf ihre Kosten nur die Ersthelfer für die Mitglieder anderer Kassen ausbilden.

Die effektivste und in Deutschland seit Jahren überfällige Maßnahme ist aber die Verankerung der Ersten Hilfe und der Reanimation im Schulunterricht.
In anderen Ländern wie Schweden, Norwegen und seit 2005 auch Dänemark ist dies bereits der Fall.
Mit diesem Thema beschäftigt sich auch eine im April 2017 veröffentlichte Studie.
Im Rahmen dieser Studie wurden in Münster seit 2006 Schulkinder ab dem Zwölften Lebensjahr jedes Jahr für Zwei Stunden in Reanimation ausgebildet. 2013 namen in Münster 13.000 Schüler gleichzeitig an Reanimationskursen teil. Die Reanimationsquote in Münster stieg von 25 Prozent in 2011 auf 45 Prozent in 2016 — ein erheblicher Unterschied zu den 32 Prozent des Bundesdurchschnitts.

Diese Studie zeigte auch, dass die Schüler bessere Lernergebnisse erzielen, wenn sie von ihren eigenen, entsprechend Fortgebildeten, Lehrern trainiert wurden, als von medizinischem Fachpersonal. Entsprechend wäre kaum personeller Mehraufwand notwendig.

Würde diese Maßnahme umgesetzt, könnte sie zusätzlich zur Erhöhung des Anteils der Bürger mit Reanimationskenntnissen beitragen. Die Schüler könnten darüber hinaus auch ethische Fragen, wie den Wert des menschlichen Lebens, gegenseitige Achtung und Hilfsbereitschaft nähergebracht bekommen.

Aber nicht nur die Politik ist in der Pflicht sich dem Thema Reanimation anzunehmen, sondern jeder Einzelne. Es liegt in der Hand eines jeden für sich selbst Erste-Hilfe-Kenntnisse zu erwerben, aufzufrischen und Ängste vor der Situation abzubauen.

Ein Herz-Kreislaufstillstand ist eine furchteinflößende und stressige Situation, in die wir uns nur ungern begeben. Aber absolut nichts hilft besser gegen Stress und Ängste als Ausbildung und Training.
Durch bessere Erste-Hilfe-Kenntnisse können allein in Deutschland schließlich jedes Jahr bis zu 10.000 Leben gerettet werden.

Erste-Hilfe Kurse werden von allen Hilfsorganisationen angeboten

Deutsches Rotes Kreuz e.V.
Malteser Hilfsdienst e.V.
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Arbeiter-Samariter-Bund e.V.

Wer sich den Ablauf einer Reanimation nochmal ins Gedächtnis rufen möchte, findet hier eine Anleitung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V.

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