Louis XIV, der Prototyp des Absolutistischen Herrschers gemahlt von Hyacinthe Rigaud im Jahr 1701

Von Gottes Gnaden

Kai Schmidt
Das Sonar
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6 min readFeb 28, 2016

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Über die Logik einer Herrschaftsidee

Herrscher von Gottes Gnaden zu sein ist ein Anspruch, der uns heute fremd und überheblich vorkommt. Aber das Gottesgnadentum, welches vor allem in der Herrschaftsideologie des Absolutismus eine tragende Rolle spielte, war kein reiner Ausdruck von Überheblichkeit, sondern es war eine Legitimation von Herrschaft mit langer Tradition, die aus gutem Grund eine zentrale Stütze des Absolutismus wurde.

Dass Herrscher den Göttern nahe waren, zu Göttern werden konnten und wurden oder gar selbst als Götter galten, all dies stellt in der Geschichte keine Ausnahme dar, sondern eher die Regel. Von den ägyptischen Pharaonen, über die römischen Kaiser gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Das Konzept des Gottesgnadentums findet sich erstmals bei der fränkischen Herrscherdynastie der Karolinger im 8. Jahrhundert nach Christus.

Dieses auf verschiedenen Stellen der Bibel basierende Konzept wurde von den salischen und staufischen Herrschern des Heiligen Römischen Reiches übernommen, um einen vom Papst unabhängigen eigenständigen Herrschaftsanspruch zu besitzen. Daraus entwickelte sich die Zweischwerterlehre, also die Idee der Teilung von weltlicher und geistlicher Macht.

Christus überreicht Papst und Kaiser die Schwerter der geistlichen und weltlichen Macht. Illustration aus einem Faksimile des Sachsenspiegels.

Einen neuen Aspekt bekam das Gottesgnadentum durch Martin Luther, der während der Bauernkriege die Herrschaft des Adels über das einfache Volk als gottgegeben darstellte und einen Aufstand gegen diese Obrigkeit als unchristlich brandmarkte. Das Gottesgnadentum diente hier nicht mehr als Abgrenzung des Herrschaftsanspruchs des Kaisers gegen den Papst, sondern es legitimierte die Herrschaft des Adels über das Volk. Das alte Feudalsystem erhielt damit eine neue Stütze.

Ganz anders wurde das Gottesgnadentum im Absolutismus verwendet. Nicht eine alte Ordnung sollte zementiert werden, sondern sie sollte aufgehoben werden und das Gottesgnadentum wurde verwendet, um die neue Ordnung des Absolutismus zu rechtfertigen. Die Herrschaft von Königen des Mittelalters beruhte auf einem engen Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten. Im Grunde verlieh der König den Adligen Status und Ländereien, welche sie an seiner statt beherrschten.

Sie verwalteten das Land, sorgten für dessen Bewirtschaftung und trieben Steuern und Zölle ein. Einen Teil davon mussten sie an den Herrscher abgeben und ihm auch anders zu Diensten sein, ihm etwa Heerfolge leisten. Der Herrscher übertrug den Adligen einen Teil seiner Macht, da er nicht in der Lage war seine Besitzungen alleine zu kontrollieren. Es war notwendig, wollte er von seinen Besitzungen profitieren. Eine effektive Bürokratie mit einem Beamtenapparat, der dem König alleine und direkt verantwortlich war, gab es noch nicht und so behalfen sich die Herrscher mit der Vergabe von Lehen.

Ein Vasall schwört den Lehnseid. Lehnsbuch Kurfürst Friedrichs I. von der Pfalz 1471. Generallandesarchiv Karlsruhe, Sig:67/1057

Dieses System war problematisch, da der Herrscher sich der Loyalität seiner Untergebenen nie ganz sicher sein konnte. Dies war gefährlich, denn sie hatten durch das ihnen anvertraute Land eine direkte Quelle von Ressourcen, die sie im Zweifel dazu nutzen konnten, gegen den Herrscher vorzugehen. Zumindest gab es aber immer die Möglichkeit, dass sie dem Herrscher Einnahmen vorenthielten. Das Lehenssystem war also ein teures und riskantes System, größere Besitztümer zu kontrollieren. Im besseren Fall wurde man nur um Geld betrogen, im schlimmeren Fall konnte man von den eigenen Leuten verraten werden.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde es aber durch technische und soziale Innovationen leichter, große Gebiete direkt zu kontrollieren. Auf besseren Wegen konnten Distanzen schneller und sicherer überwunden werden und aus den kleinen Kanzleien der Herrscher entwickelte sich eine effiziente und schlagkräftige Bürokratie, die alleine dem Herrscher gegenüber loyal war, vor allem da sie von ihm gänzlich abhängig war. Die Beamten wurden einfach aus der eigenen Schatulle bezahlt. Man konnte sie jederzeit entlassen oder sich ihrer noch nachhaltiger entledigen, wenn man dies wünschte. Sie hatten weder Burgen noch Soldaten, um sich dagegen wehren zu können.

Der Adel verschwand deshalb aber natürlich nicht. Die einmal errungenen Privilegien und Güter wollte niemand freiwillig aufgeben. Und da ihnen durch ihre Besitzungen erhebliche Ressourcen zur Verfügung standen, waren die Adligen auch in der Lage, ihre Privilegien und Besitzungen zu verteidigen. Die Herrscher wollten aber genau diesen Widerstand brechen. Sie wollten ihr gesamtes Reich direkt durch ihre Bürokratie verwalten lassen und dadurch mehr Geld und Ressourcen für sich aus den Gebieten ziehen. Zudem würden sie eine potentielle Bedrohung ihrer Herrschaft eliminieren. Die Zwischeninstanz Adel, die im Mittelalter notwendig war, um überhaupt von großen Gebieten profitieren zu können, war nur noch ein ressourcenverschlingendes und die eigene Macht einschränkendes und bedrohendes Gebilde, welches man loswerden musste.

Porträt Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Er baute in Preußen ein effektives Heer und eine effiziente Bürokratie auf. Samuel Theodor Gericke 1713.

Die Legitimation von Herrschaft ist immer ein wichtiger Faktor, will man Herrschaft ausüben. Illegitime Herrschaft ist wesentlich leichter anzugreifen als eine Herrschaft, welche als rechtmäßig angesehen wird. Im Gegenzug bedeutet es, dass wenn man eine Herrschaft angreifen will, man zuerst ihre Rechtmäßigkeit in Zweifel ziehen muss.

Im Mittelalter legitimierten sich die Herrscher auch immer über die Unterstützung des Adels. Dies ging teilweise so weit wie im Heiligen Römischen Reich, in dem der König von einem Teil des Adels gewählt wurde und in manchen Fällen auch wieder abgesetzt wurde. Die Adligen hatten also einen bedeutenden Trumpf gegen den König in der Hand. Noch ein Grund mehr für die Herrscher der Neuzeit den Adel loszuwerden.

Der Absolutismus war das Konzept, den Herrscher von allen Abhängigkeiten zu lösen. Er sollte nicht länger auf den Adel, die Kirche oder andere Untertanen angewiesen sein. Doch mit der Auflösung dieser Verbindungen ging auch die daraus abgeleitete Legitimation verloren und Legitimation ist, wie bereits beschrieben, für jede Herrschaft entscheidend. Das Gottesgnadentum war nun das neue Mittel sich zu legitimieren. Dabei knüpfte man an Luthers Rechtfertigung von Herrschaft an. Wenn alle Obrigkeit von Gott sei, so ist es nur logisch, dass der König auch von Gott eingesetzt ist. Und da der König an der Spitze des Adels steht, steht auch nur Gott über ihm und daher ist der König allein Gott verantwortlich.

Diese neue Legitimation, die von jeder weltlichen Institution losgelöst war, ermöglichte es dem Herrscher eigene Institutionen aufzubauen, die alleine ihm persönlich verantwortlich zeichneten, um sein Reich zu kontrollieren. Dazu gehörte eine professionelle Bürokratie, aber vor allem auch ein stehendes Berufsheer. Beide waren alleine dem Herrscher verantwortlich und die Bediensteten in Armee und Verwaltung waren finanziell völlig abhängig. Dies schuf eine ungeteilte Loyalität dem Herrscher gegenüber, wie sie bei Adeligen, die über eigene Besitzungen und Soldaten verfügten, nie möglich waren.

Darüber hinaus waren Armee und Bürokratie Machtmittel, mit denen der Adel und die Kirche kontrolliert werden konnten. So wurden in Frankreich alle wichtigen Adeligen gezwungen am Hof des Königs zu residieren. Dort konnten sie unter Kontrolle behalten werden und das kostspielige Hofleben erforderte viel Geld, welches nicht für andere politische Aktionen eingesetzt werden konnte.

Hirschjagd im Schloss von Versailles. Jean-Baptiste Martin ca. 1700.

In der Realität war die Kontrolle natürlich niemals absolut und nicht vergleichbar mit heutigen starken Staaten, aber es war doch eine fundamentale Veränderung des Herrschaftssystems. Das alte Feudalsystem mit seinem komplexen Netzwerk aus wechselseitigen Abhängigkeiten wurde erstmals aufgebrochen. An seine Stelle sollte ein System treten, an dessen Spitze ein Herrscher stand, der niemandem verantwortlich war und der über die ihm direkt verantwortliche Bürokratie eine bisher unerreicht umfassende Kontrolle über seine Besitzungen ausüben konnte.

Das Gottesgnadentum war also keineswegs eine größenwahnsinnige Extravaganz von Herrschern, die sich selbst jenseits aller weltlicher Kontrolle sahen. Es war eine Strategie, die eigene Herrschaft zu legitimieren, um alte Herrschaftsstrukturen, die als teuer, ineffizient und gefährlich angesehen wurden, beseitigen zu können. Das Ziel war in der Tat, sich von weltlichen Abhängigkeiten zu lösen. Es sollte ein neuer Staat geschaffen werden, dessen Herrschaftssystem zentral auf die Person des Herrschers zugeschnitten sein sollte. Das Gottesgnadentum bildete das legitimatorische Fundament für einen grundlegenden und in großen Teilen nachhaltig erfolgreichen Umbau des mittelalterlichen Herrschaftssystems in den ersten Vertreter eines modernen Staates.

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