Warum die Briten über den Brexit entscheiden

Oder weshalb Politiker Macht aufgeben

Kai Schmidt
Das Sonar

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VON KAI SCHMIDT

David Cameron hat sich in eine missliche Lage manövriert. Er hat versprochen ein Referendum abzuhalten, in welchem die Briten über die weitere Zugehörigkeit des United Kingdome zur EU entscheiden dürfen. Cameron selbst setzt sich für einen Verbleib in der EU ein und als Regierungschef könnte er diesen ohne weiteres durchsetzen, hätte er eben nicht versprochen die Frage der Bevölkerung vorzulegen.

Doch nicht nur in diesem konkreten Fall geben Politiker freiwillig Entscheidungskompetenzen an die Bevölkerung ab. Warum tun sie das, wo sie doch durch Wahlen dazu bestimmt wurden repräsentativ für das Volk zu entscheiden. Warum geben sie Macht und Gestaltungsfreiheit ab, welche sie in mühsamen Wahlkämpfen errungen haben?

Politikwissenschaftler geben darauf mehrere Antworten, wobei es noch keine große einheitliche Theorie zu diesem Phänomen gibt. Sicher ist jedoch, dass in den Ländern der Welt mit etablierten demokratischen Systemen Elemente Direkter Demokratie zunehmend verbreitet sind. Durch die Einführung von Referenden, Volk-/Bürgerbegehren und -initiativen haben Politiker Einfluss an die Wähler abgegeben. Es handelt sich also um ein verbreitetes Phänomen.

Premier David Cameron. Foto: Wilwal

Nun ein kurzer Blick auf die Antworten einiger Politikwissenschaftler:
Shaun Bowler erklärt dies wie folgt: Parlamentarier wählen die demokratischen Institutionen in Hinblick auf deren Wirkung aus. Veränderungen dieser Institutionen sollte generell selten und bei den Parlamentariern auf Ablehnung stoßen, denn die bisherigen Institutionen halfen ihnen an die Macht zu kommen. Die Gewinner wollen Gewinner bleiben.

Doch die Abgeordneten sind natürlich kein homogener Block. Insbesondere die Opposition kann Interesse an direkter Demokratie haben, eröffnet diese doch neue Möglichkeiten Einfluss auf die politische Agenda der Regierung zu nehmen. Erobert die Opposition jedoch die Regierungsbank gibt sie ihre Unterstützung von Direkter Demokratie meist schnell auf. Dennoch kommt es vor, dass die Regierung Elemente Direkter Demokratie einführt. Dies geschieht insbesondere dann, wenn die Regierung schwach ist und Forderungen nach Direkter Demokratie von Opposition und Bevölkerung nicht wiederstehen kann.

Hugh-Jones hingegen sieht nicht die Schwäche der Regierung als Ursache, sondern er vertritt die Meinung, dass einige Amtsinhaber von der Einführung direkt-demokratischer Elemente profitieren und sie daher etablieren. Amtsinhaber, welche annehmen dieses Amt zu verlieren, können so versuchen die Hände ihres Nachfolgers binden und sich selbst einen Weg eröffnen diesen zu attackieren.

Zudem kann Direkte Demokratie die Abwahl eines Amtsinhabers unwahrscheinlicher machen, da dem Wähler so noch eine andere Art der Kontrolle haben, als nur die Wahlen. Einzelne Entscheidungen können so abgelehnt werden, ohne einen Politiker gleich abzuwählen. Dies ermöglicht es einem Politiker auch Gesetze zu verabschieden, die seinen eigenen Präferenzen entsprechen, da er bei unbeliebten Vorhaben nicht mehr den Verlust seines Amtes riskiert, sondern nur, dass eben jenes Gesetz durch die Bevölkerung gestoppt wird.

Point West auf den Falklands. Foto: Christopher Michel

Ein anderer Erklärungsansatz kommt von Susan Scarrow, welche den oben geschilderten Anstieg in der Verbreitung von Elementen Direkter Demokratie nachgewiesen hat. Scarrow startet mit der Hypothese des „Parteien-Kartells“. Diese besagt, dass Parteien sich bei gewissen Themen nicht angreifen, da sie alle von den bestehenden Regelungen profitieren. So profitieren Parteien von der repräsentativen Demokratie, denn sie sind zentrale Akteure in Repräsentativen Demokratien und sie erhalten finanzielle Vorteile und können Ämter in ihren Reihen verteilen.

Doch dieses Kartell kann zerbrechen und dafür kann es mehrere Ursachen geben. Zunächst kann es vorkommen, dass ein neuer Wettberwerber auf der politischen Bühne erscheint, der Direkte Demokratie fordert und auch durchsetzt. Dies geschah in Bayern 1995 als eine Bürgerinitiative mit einem Volksbegehren mehr direkte Demokratie im Freistaat ermöglichte.

Zweitens kann es sein, dass der politische Wettbewerb sich verschärft und Parteien den Wettbewerb auch in den Bereichen eröffnen, wo sie ihn bisher ausgesetzt hatten. Das Versprechen direkte Demokratie zu stärken ist ein Argument mit dem Wähler gewonnen werden sollen. In Deutschland führte der Aufstieg der Grünen und deren Forderung nach mehr Direkter Demokratie dazu, dass die etablierten Parteien sich unter Druck gesetzt sahen und ihrerseits Elemente Direkter Demokratie einführten. Mindesten ein halbes Dutzend Reformen lassen sich darauf zurückführen.

Drittens kann es zur Einführung von Elementen direkter Demokratie kommen, wenn die Stellung der Parteien im politischen System angegriffen ist. Dies gilt insbesondere, wenn Parteien insgesamt Glaubwürdigkeits- oder Legitimitätsprobleme haben, etwa infolge von Skandalen. Nach der Barschel-Affäre, bei der es um dubiose Wahlkampffinanzierung ging, stimmten alle Parteien Schleswig-Holsteins für direkt-demokratische Reformen, um verlorenes Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, indem man den Wählern so mehr Partizipationsmöglichkeiten zugestand.

Boris Johnson führt das Lager der Brexit-Befürworter. Foto: Adam Procter

Was trifft nun auf David Cameron zu? Was brachte ihn dazu ein Referendum abzuhalten, das er eigentlich nicht wollte? Er versprach ein Referendum, um gewählt zu werden. Einerseits von seiner eigenen Partei, in der viele Abgeordnete für ein Referendum waren und Cameron vor allem unterstützen weil er es ihnen ermöglichen würde. Andererseits versuchte Cameron so die Befürworter eines EU-Austritts in der Wählerschaft, den bisherigen Umfragen zufolge ein bedeutender Anteil, bei den Wahlen auf seine Seite zu ziehen. Inwieweit dies eine Rolle spielt lässt sich schwer sagen, die Wahlen gewann Cameron jedenfalls. Der Preis könnte jedoch der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU sein.

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