Ambient News — Lessons Learned

Malte Burkhardt
datenfreunde
Published in
5 min readAug 20, 2018

In unserem Experimental-Projekt Ambient News erforschen wir mit unseren Partnern shz.de und connctd.io wie ein Nachrichtenangebot im häuslichen Umfeld in Zukunft aussehen könnte.

Unser Projekt zielt darauf ab, herauszufinden, wie eine Redaktion in Zukunft Nutzer auf zeitgemäße Art und Weise und unter Einbindung smarter Geräte mit Informationen versorgen kann. Dabei spielen IoT Geräte genauso eine Rolle wie ein redaktioneller Zuschnitt von Inhalten auf die Nutzungsszenarien.

Das gesamte Projekt ist so angelegt, das wir möglichst schnell mit echten Nutzern im richtigen Betrieb testen und das Labor verlassen. Die Nutzer und ihr Feedback sind integraler Bestandteil des Projektes und dienen dazu, die Mechaniken permanent zu überprüfen und anzupassen.

Ein im besten Sinne iterativer Ansatz zur Entwicklung eines Nachrichtenangebotes für die Zukunft.

Jetzt (im August 2018) haben wir ungefähr die Hälfte des Projektzeitraum hinter uns, und die erste Runde an Nutzertests ist beendet. Derzeit bereiten wir die zweite Runde mit etwa fünfmal so vielen Nutzern vor.

Für uns ist das der Anlass eine Art Halbzeit-Fazit zu ziehen. Was haben wir gemacht, was gelernt und was für Schlüsse lassen sich daraus ziehen.

Was bisher geschah

Das Projekt startete mit einem Workshop mit ungefähr einem Dutzend interessierten Abonnenten des WhatsApp-Newsletters von shz.de In einem Design-Thinking Format wurde die Gruppe nach ihren Wünschen an ein Nachrichtenangebot der Zukunft befragt — Leitfrage: “Wenn ich (xxxx) gewusst hätte, wäre mein Tag besser geworden.” Die herausgearbeiteten Wünsche und Bedürfnisse kulminierten in drei exemplarischen Prototypen für digitale Helfer, in denen eine Reihe von Bedürfnissen in Sachen Nachrichten sichtbar wurden.

Ein wiederkehrendes Thema war der Wunsch nach Begleitung und kompetenter Assistenz bei der Navigation im überbordenden Nachrichtenstrom. Es ging um die Einordnung von Gesamtlagen und Einzelmeldungen und die Entscheidung — muss ich das wirklich wissen, ist das relevant für mich?

Daraus resultierte für uns das Konzept verschiedener Nachrichten-Typen und Nachrichten-Lagen. Auf Basis dieser dynamischen Variablen sollte das entstehende System einen Feed aus Nachrichten komponieren, der je nach Nutzer und Präferenz eine Balance zwischen “muss ich wissen” und “will ich jetzt gerade nicht wissen” halten sollte.

Aus diesem im Workshop erarbeiteten Grundbedürfnis haben wir neben dem Nachrichten-Kiosk eine Integration einer smarten Lampe als Signalgeber konzipiert. Diese wurde mit dem Nachrichten-Kiosk gekoppelt und signalisierte dem Nutzer über ein Farbsignal, ob derzeit relevante Nachrichten für ihn vorliegen.

Wir haben in der ersten Runde 10 Haushalte mit dieser Nachrichten-Kiosk / Lampen-Kombi ausgestattet. Im Kiosk wird ein für jeden Nutzer manuell personalisierter Nachrichten-Feed anzeigt. Der Kiosk läßt eingeschränkt Interaktion zu: die aktuelle Nachricht kann im Volltext aufgerufen, an eine Emailadresse verschickt oder vorgelesen werden.

Außer diesem Konzept haben wir das Backend-System zur Verteilung der Nachrichten an die einzelnen Kioske und zur Integration der Lampensteuerung für die einzelnen Installationen realisiert. Der Praxistest lief für 8 Wochen in 10 Haushalten in ganz Schleswig-Holstein und Hamburg.

Was haben wir gelernt

Wir haben auf vielen Ebenen gelernt. Bei der Entwicklung gab es einige Fallstricke und Sollbruchstellen, redaktionell und konzeptionell mussten ein paar Änderungen vorgenommen werden, und nicht zuletzt bekamen wir eifrig Feedback aus unserer Testgruppe. Dieses Feedback sollte im besten Fall noch während des Testzeitraums umgesetzt werden, um zu sehen, ob und wie sich die Änderungen auf die Wahrnehmung durch den Benutzer auswirken.

Hardware — ein Kapitel für sich

Die Diskussionen über die zu verwendende Hardware waren lang und abwechslungsreich. Am Ende haben wir uns für fertig kaufbare Consumer-Komponenten entschieden (in der Diskussion waren stattdessen auch Komponenten, mit hohem Bastel-Anteil wie Raspberry o. ä.).

Diese Entscheidung hat uns einiges Kopfzerbrechen erspart, da die einzelnen Teile dadurch relativ einfach in Betrieb zu nehmen waren.

Allerdings stellte sich im Laufe der Zeit heraus, das auch fertige Consumer-Komponenten nicht immer problemlos überall arbeiten. So konnten die Lampen in einigen Haushalten nicht installiert werden, oder die Installation war mit umfangreicher Fehlersuche verbunden.

Wenn wir also nochmals ein Projekt mit Hardware machen, dann planen wir für diesen Punkt deutlich mehr Zeit ein.

Wetter und Verkehr — einfach schwer

Wetter- und Verkehrsinformationen sind einerseits leicht verfügbar und einfach zu integrieren. Andererseits bieten diese auch großes Potential für Fehler bei der Personalisierung. So wird falsch angezeigtes Wetter noch akzeptiert, weil man da eine gewisse Unschärfe gewohnt ist. Wenn ein Nutzer immer wieder eine subjektiv falsche Routenempfehlung und Reisedauer sieht, gibt es diese Toleranz nicht.

Die Ursache für diese Fehler war der zugrundeliegende Algorithmus, der außerhalb unserer Kontrolle liegt. Daraus lernen wir: Personalisierung in komplexen Themen wie Verkehr oder Routenplanung ist ohne tiefgreifenden Zugriff auf die zugrunde liegenden Daten und Algorithmen sehr schwierig — und in einigen Fällen eher kontraproduktiv für die Wahrnehmung der Qualität beim Nutzer.

Der Nutzer möchte entscheiden, wieviel er wissen will

Unser Nachrichten-Kiosk hat Nachrichten zunächst nur mit Bild, Schlagzeile und Teasertext angezeigt. Die volle Meldung gab es nur über eine “per E-Mail senden”-Funktion.

Wir wollten testen, ob die knappe Präsentation von Nachrichten akzeptiert wird.

Das Feedback dazu war eindeutig: Es ist in Ordnung, wenn Nachrichten nicht sofort mit Volltext und allen Informationen gezeigt werden. Allerdings muss es eine Möglichkeit geben, den vollständigen Text einfach und unmittelbar zu lesen. Die Funktion “Weiterlesen” haben wir deswegen als erste zum Prototypen hinzugefügt. Es reicht anscheinend nicht, nur oberflächlich zu informieren. Eine Erkenntnis, die nicht unbedingt neu ist, aber in Zeiten von Nachrichten-Angeboten auf Messengern durchaus noch einmal relevanter ist.

Polly — nicht schön, aber ok

Um die angebotenen Artikel auch als Audio anbieten zu können haben wir den Text mit dem Service AWS Polly in MP3-Dateien gewandelt. Dies war bei den meisten Artikeln, die fürs Lesen und nicht fürs Vorlesen geschrieben sind, mit Einbußen in Sachen Verständlichkeit verbunden. Die Computersprache wirkt monoton, einzelne Worte sind der Maschine fremd und werden falsch ausgesprochen. Diese Lösung ist also nicht ideal, aber für ein Experiment ausreichend. Für einen kommerziellen Service müssten die Texte von “echten” Sprechern eingesprochen werden, die Texte sollten müssen für das Vorlesen umgeschrieben werden oder noch besser gleich gut vorlesbar geschrieben werden.

Gehe nicht zum Ende des Feeds

In einer ersten Konzeptphase gab haben wir den Nachrichten-Feed eines Nutzers je nach Nachrichtenlage und persönlicher Vorliebe in der Länge beschränkt. Wenn wenig los war, gab es auch nur sehr wenige Nachrichten.

Damit war die Redaktion nicht glücklich — das Signal “die haben gerade nicht mehr zu berichten” entsprach nicht dem Selbstverständnis der Journalisten, entsprechend wurde diese Mechanik angepasst. Wir hätten das begrenzte Nachrichten-Angebot gerne ausprobiert, um zu sehen wie die Nutzer darauf reagieren — und ob Redaktion und Publikum hier auf einer Wellenlänge sind.

Nutzer — die Wesen mit eigenem Willen

Wir haben in unserem Konzept für die erste Testrunde den Morgen als entscheidenden Abschnitt des Tages herausgegriffen und unser Angebot darauf optimiert. Wir wollten unsere Testnutzer während der “Morgenroutine” begleiten und informieren und im Rest des Tages in den Hintergrund treten.

Die Nutzer haben sich allerdings nicht daran gehalten. Aus den Nutzungsdaten wissen wir, das der Nachrichten-Kiosk zu praktisch jeder Tageszeit genutzt wurde. Natürlich gibt es Spitzen in bestimmten Zeiten, aber auch die beschränken sich nicht nur auf einen bestimmten Zeitraum. Entsprechend werden wir in der zweiten Runde das Angebot ganztägig ausweiten.

Wie geht es weiter

In Kürze startet die zweite Testrunde mit ca. 50 Haushalten in Schleswig-Holstein. Wir haben einige Änderungen vorgenommen, um weitere Hypothesen zu testen und sind sehr gespannt auf die Ergebnisse.

Disclaimer: Ambient News wird durch die Google Digital News Initiative gefördert

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