Start für den Nutri-Score

Seit November 2020 können Hersteller in Deutschland den Nutri-Score offiziell verwenden. Das Ampel-Logo führt nachweislich zu einem gesünderen Kaufverhalten. Noch gibt es keine Kennzeichnungspflicht.

Birgit Unger
DELUXE Mallorca
4 min readJan 9, 2021

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Die Lebensmittelampel „Nutri-Score“ ging im November an den Start, damit Verbraucher*innen gesündere Lebensmittel beim Einkauf leichter erkennen. Eine von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Verordnung gab grünes Licht von der EU und dem Bundesrat. Sie schafft den Rechtsrahmen, damit Hersteller das Logo auf die Packungen von Fertigprodukten drucken können. Weil eine gesetzliche Verpflichtung allein auf nationaler Ebene nach europäischem Recht nicht möglich ist, bleibt die Kennzeichnung freiwillig. Die Gefahr: Die Hersteller unausgewogener Produkte werden den Nutri-Score nicht nutzen.

So funktioniert der Nutri-Score

Das aus Frankreich stammende System bezieht neben dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz empfehlenswerte Bestandteile wie Ballaststoffe und bestimmte Proteine in eine Gesamtbewertung ein und gibt dann einen einzigen Wert an — auf einer fünfstufigen Skala von „A“ auf dunkelgrünem Feld für die günstigste Bilanz über ein gelbes „C“ bis zum roten „E“ für die ungünstigste. Das zutreffende Feld wird hervorgehoben. Das Logo ist schon seit einiger Zeit in deutschen Supermärkten zu sehen. Mehrere Lebensmittelhersteller und Händler haben eine Einführung angekündigt, wenn der Rechtsrahmen da ist.

Forderungen der Lebensmittellobby

Die Verbraucherorganisation foodwatch warnt vor einer Verwässerung der Lebensmittelampel Nutri-Score. Die Lebensmittellobby arbeitet an einer Änderung der Berechnungsgrundlage des Nutri-Score, damit unausgewogene Produkte gesünder abschneiden — einige Zuckergetränke bekämen dann eine grüne Ampel. Vor allem der Lebensmittelverband Deutschland tue sich mit unwissenschaftlichen Forderungen hervor, kritisierte foodwatch. Dies belegen interne Dokumente des staatlichen Max-Rubner-Instituts (MRI), die foodwatch veröffentlichte.

foodwatch erhielt über einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz interne Dokumente des Max-Rubner-Instituts, die belegen, mit welchen Forderungen die Industrielobby versucht, die Berechnungsgrundlage des Nutri-Score zu ändern — oft ohne wissenschaftliche Basis. Das Bundesernährungsministerium hatte das MRI mit der Prüfung der Lobby-Forderungen beauftragt, die Dokumente aber bisher nicht veröffentlicht.

Der Lebensmittelverband fordert, dass bestimmte Lebensmittelgruppen nicht einheitlich auf Basis von 100 Gramm berechnet werden, sondern auf Basis kleinerer Portionsgrößen. So könnte der Nutri-Score von Nutella von Rot auf Gelb springen. Dieser Effekt trat so ein, als die britische Ampelkennzeichnung von der Industrie geändert wurde. Denn: Bei Brotaufstrich sind die angegebenen Portionsgrößen besonders klein (15 g).

Forderungen der Lebensmittelindustrie

Fruchtsäfte wie Lebensmittel berechnen. Was wäre die Folge? Traubensaft bekommt ein grünes A — obwohl er 60 Prozent mehr Zucker enthält als Coca Cola.
Der Nutri-Score berechnet Getränke mit einem gesonderten Algorithmus, bei dem ein hoher Zucker- und Kaloriengehalt negativer ins Gewicht fällt als bei festen Lebensmitteln. Ein Traubensaft wird zum Beispiel mit einem roten E bewertet, denn er enthält zwar viel Frucht und damit auch günstige Inhaltsstoffe, aber mit 160 Gramm je Liter auch extrem viel Zucker. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt generell, Saft nur in kleinen Mengen oder stark mit Wasser verdünnt zu trinken. Würde die Lobby mit ihrer Forderung durchkommen, bekämen Säfte ein dunkelgrünes A — eine Bewertung, die bislang bei Getränken alleine Wasser vorbehalten ist.

NGOs, Apps und Journalisten dürfen Nutri-Score nicht berechnen.
Was wäre die Folge? Der Nutri-Score der allermeisten Produkte wird zur Geheimsache, es sei denn, der Hersteller berechnet diesen freiwillig selbst.

Zensur statt Transparenz: Apps wie Open Food Facts, mit deren Hilfe Verbraucherinnen und Verbraucher den Nutri-Score von Produkten berechnen können oder auch NGOs oder Journalisten, die für einzelne Produkte beispielhaft den Nutri-Score kalkulieren — wenn es nach den Wünschen der Lobby geht, soll all dies verboten sein.

Wenn es nach der Lebensmittellobby ginge, bekämen Milchmischgetränke eine bessere Bewertung. Der stark gezuckerte Starbucks-Kaffee wäre dann hellgrün statt dunkelrot.

Nutri-Score anhand von Portionsgrößen berechnen. Was wäre die Folge? Zuckrige, fettige oder salzige Produkte wie Süßigkeiten, Brotaufstriche oder Grillsoßen könnten eine bessere Bewertung bekommen.
Der Lebensmittelverband fordert, dass bestimmte Lebensmittelgruppen nicht einheitlich auf Basis von 100 Gramm beziehungsweise 100 Millilitern berechnet werden, sondern auf Basis kleinerer Portionsgrößen. Dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht klar: Nur eine einheitliche Berechnung ermöglicht Vergleiche zwischen Produkten und verhindert Verzerrungen.

Die dem Nutri-Score zugrundeliegenden Algorithmen werden 2021 auf europäischer Ebene überprüft — vor diesem Hintergrund sind die Forderungen der Lebensmittelverbände entstanden. In Deutschland wird aktuell das Nutri-Score-Modell auf freiwilliger Basis eingeführt, es soll auf der Verpackungsvorderseite von verarbeiteten Lebensmitteln zu finden sein. Die EU-Kommission will im vierten Quartal 2022 ein verpflichtendes europäisches Nährwertlogo für Lebensmittel vorschlagen.

Für die Berechnung des Nutri-Score werden günstige Nährstoffe, die man reichlich zu sich nehmen sollte, mit ungünstigen Nährstoffen, die nur in geringen Mengen verzehrt werden sollten, verrechnet. Positiv zu Buche schlagen Ballaststoffe, Proteine, Obst und Gemüse, negativ bewertet werden etwa gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz. Das Ergebnis wird in eine fünfstufige Farbskala, die mit den Buchstaben A bis E hinterlegt ist, übersetzt. Eher ausgewogene Produkte erhalten ein dunkelgrünes A oder hellgrünes B, im mittleren Bereich gibt es ein gelbes C und eher unausgewogene Produkte wie Süßwaren oder fettige Snacks bekommen ein orangenes D oder gar ein rotes E.

Mehr dazu unter https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2020/startschuss-fuer-den-nutri-score/?utm_source=CleverReach&utm_medium=email&utm_campaign=08-01-2020+Ausblick+Newsletter&utm_content=Mailing_13798133

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Birgit Unger
DELUXE Mallorca

PR & Content Creation. Fifteen years ago, Birgit took on the travel magazine DELUXE Mallorca as editor-in-chief. Her background is in advertising.