Wenn du geredet hättest, Desdemona. Christine Brückner im Zeitalter von #MeToo (neu) Lesen

von Celina Petry

Lisa Eberle
Dem Schicksal Entkommen
4 min readMar 23, 2019

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Christine Brückner war eine der meist gelesenen und im Literaturbetrieb oft verachteten Schriftstellerinnen Deutschlands in der Nachkriegszeit. Neben Romanen, Essays und Jugend- und Bilderbüchern veröffentlichte sie 1983 Wenn du geredet hättest Desdemona — Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen, eine Sammlung von Monologen historischer Frauen und literarischer Frauenfiguren. In vierzehn solcher Texte präsentiert sie teils zornige, aufsässige und emotionale Frauen, die sich auch immer durch Klugheit, Mut und Geschick auszeichnen.

Desdemona, die Titelheldin des Buchs, macht auch den Auftakt in der Sammlung von Monologen. Die ersten Zeilen ihrer Rede sind ein Mikrokosmos, in dem Brückner die Intention des gesamten Buchs vergegenwärtigt. Desdemona, die Tochter eines venezianischen Senators, beginnt ihre Rede in dem Schlafgemach, das sie mit ihrem Mann, Othello, teilt. Der Zeitpunkt, so erklärt Brückner im Untertitel, ist eine Viertelstunde vor ihrer literarisch überlieferten Ermordung. Othello ist im Zimmer, rasend vor Eifersucht, und, so sagt Desdemona, befiehlt ihr mehrere Male zu schweigen. Desdemona jedoch denkt nicht daran ihm Folge zu leisten. Sie stellt sich ihrem bereits bewaffneten Ehemann gegenüber und spricht unerschrocken auf ihn ein. Für Brückner sind es also Männer, die Frauen ihre Stimme nehmen. Ziel ihres Buches ist es nun Frauen, die in den herkömmlichen Erzählungen nicht zu Wort kommen, reden zu lassen, ihnen wieder eine Stimme zu geben.

Auf einer Ebene geht Brückner hierbei durchaus historisch vor. Denn oft werden wichtige Bezugspunkte aus dem historischen Kontext bzw. dem Original aufgegriffen. Desdemona zum Beispiel spricht in ihrer Rede die Intrige des Jago und Desdemonas Kammerfrau an, die durch das Stofftuch die Eifersucht hervorrufen und somit zu ihrer späteren Ermordung maßgeblich beitragen. Hier gibt es also eine klare Übereinstimmung mit der Handlung des ursprünglichen Stücks von William Shakespeare. Trotz der fiktiven Ausgestaltung der Texte bleiben die Reden in ihrer Grundgestalt und Argumentation also dem Original nahe.

Gleichzeitig verschiebt Brückner jedoch die Perspektive. Nun steht Desdemona im Mittelpunkt. Sie wird zur handlungstragenden Person. Daher vermittelt der Text auch eine ganz andere Botschaft. Man kann auch von einer Neuinterpretation sprechen. Vor allem schafft Brückner eine neue Desdemona. Diese Desdemona zeichnet sich durch Mut und Stärke aus. Ihr ist die Gewaltbereitschaft Othellos in der konkreten Situation bewusst, lässt sich davon aber nicht einschüchtern. Durch die stetige Distanz, die sie zu ihm wahrt, räumt sie sich die Möglichkeit ein, mit ihrer Rede ungehalten fortzufahren.

Brückners Desdemona ist auch klug. Sie durchschaut die Intrige Jagos und versucht Othello durch die klare Schilderung und reflektierte Sicht ihrerseits, von ihrer Sicht auf die Dinge zu überzeugen. Hier ist sie durchaus rhetorisch geschickt. Sie bittet ihn zum Beispiel als letzten Wunsch um ein Tuch um ihre Tränen zu trocknen. Othello scheint aber keines vorweisen zu können, obwohl Desdemona ihm des Öfteren ein Tuch geschenkt hat. So versucht sie ihm, der ihr vorwirft ein Tuch, das er ihr gegeben hatte, nicht mehr zu haben, die Absurdität seiner Eifersucht vorzuweisen. Zuletzt versucht sie durch das Kitzeln seines Körpers alte Gefühle hervorzubringen. Die Rede endet mit Lachen von Desdemona und Othello. Offen bleibt hier, ob es Desdemona gelungen ist Othello davon abzuhalten, sie zu ermorden. Die Möglichkeit besteht zumindest.

Obwohl Christine Brückner hier im ersten Monolog die Möglichkeit aufwirft, dass Frauen, die reden, historische bzw. literarischen Handlungen verändern könnten, scheint ihr Augenmerk doch eher auf den eigentlichen Reden und den neuen Perspektiven, die sie eröffnen, zu liegen. Viele der Reden sind schließlich Selbstgespräche. So spricht Gudrun Ensslin mit der Wand in ihrer Gefängniszelle. Und von Christiane von Goethe hält Brückner einen inneren Monolog fest, während jene vergebens darauf wartet von der Frau des Oberstallmeisters, ihrer Rivalin um die Zuneigung Goethes, empfangen zu werden.

Auch die Rede von Katharina von Bora, der Frau Martin Luthers, scheint in ihrem historischen Kontext niemand zu hören. Sie hat mit ihrer passiven Rolle gegenüber ihrem Mann zu kämpfen, der mit seinen Ansichten und Handlungen ihr Leben durchweg bestimmt. Tagtäglich lädt er seine Lehrlinge nach Hause und lässt sie dort auch verköstigen, während er sie über seine neuesten Predigten informiert. Katharina von Bora, die theologisch genauso gewandt erscheint wie ihr Mann, muss sich dann darum kümmern, dass nicht nur ihre Familie etwas zu essen bekommt, sondern eben auch darum, dass die knappen Ressourcen des Haushalts dafür reichen, auch all die Leute zu verköstigen, die ihr Mann beständig zu sich einlädt um seine Lehren zu verbreiten.

Man könnte sogar meinen, dass Brückner der Möglichkeit dieser Monologe, etwas zu verändern eher skeptisch gegenübersteht. Im Fall von Desdemona scheint es vor allem die Körperlichkeit zu sein — das Kitzeln, die Erinnerung an Intimität — die Othello von seiner rasenden Eifersucht abbringt und ihn gemeinsam mit Desdemona zum Lachen bringt.

Wie dem auch sei — im Zeitalter von #metoo könnte Christine Brückners Versuch, Frauen eine Stimme zu geben, aktueller nicht sein. Mit diesem Buch holt sie Frauen und ihre Erfahrungen aus dem Schatten mächtiger Männer. Somit erinnert sie daran, dass Frauen auch Individuen mit reichen Innenleben und komplexen (oft von Männern geschaffenen) Problemen sind, auch wenn ihre Erfahrungen und Perspektiven im klassischen Kanon von Geschichte und Literatur kaum dargestellt werden. Nicht zuletzt thematisiert sie auch, wie dieses vermeintliche Schweigen entsteht: allzu oft sind es Männer, wie Othello, die das Reden über diese Erfahrungen unterbinden.

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