Buchcover und ihre Problematik. Wie selbst da das Geschlecht eine Rolle spielt.
von Maria Tzoulaki
Über die Neapolitanische Saga, mit welcher Elena Ferrante zum literarischen Weltstar avanciert ist, wurde in den letzten Jahren viel geschrieben. Jedoch war nicht nur der Inhalt der Bücher das Thema vieler Rezensionen und Essays. Wie bei kaum einem anderen Buch standen auch die Umschläge der Bücher im Mittelpunkt vieler Aufsätze. Kitschig seien diese Abbildungen von Hochzeiten, kleinen Kindern und Frauen am Strand, schlichtweg unpassend für solch große Literatur. Dieses vermeintliche Missverhältnis zwischen Umschlag und Inhalt, das vor allem bei Herausgabe der englischen Version in den USA und Großbritannien aber auch der etwas später erschienenen deutschen Übersetzung thematisiert wurde, ist das Thema einer Reihe von Artikeln und Diskussionen in Zeitschriften und Onlineforen.
Wieso aber sehen so viele Leser‘innen hier ein Missverhältnis? Schließlich geht es in den Büchern von Ferrante ja um Frauen. Frauen, die nun mal heiraten, Kinder haben und manchmal ruhig am Strand stehen. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist es hilfreich sich zu überlegen, wie Buchumschläge unseren Zugang zu den darin enthaltenen Texten prägen.
Vor Kurzem hat mir eine gute Freundin erzählt, dass sie die Romane, die sie kauft, nach dem Cover auswählt. Inhaltsangabe oder Titel schaue sie jedoch kaum an, das Bild auf dem Umschlag sei ihr das Wichtigste. Das mag vielleicht ein Extremfall sein, jedoch können mit Sicherheit viele Menschen nicht abstreiten, dass auch für sie der Buchumschlag zumindest ein Faktor bei der Entscheidung für oder gegen ein Buch ist. Es gibt sogar Codes in der Gestaltung von Buchumschlägen, die versuchen verschiedene Gruppen anzusprechen. Ein klassisches Beispiel hierfür sind kitschige Cover, mit denen sogenannte „Romanzen“ von anderen Formen von Büchern in der Buchhandlung abgesondert werden.
Ganz wichtig hierbei — diese Umschläge suggerieren nicht nur, dass es sich um ein bestimmtes Genre von Buch handelt, sondern dass sie auch nur für einen ganz bestimmten Leser‘innenkreis gedacht seien: für Frauen. In der Tat sieht man relativ selten Männer in der Öffentlichkeit, die solche „Romanzen“ lesen. Warum eigentlich?
Ein wichtiger Faktor ist wahrscheinlich, dass die Cover solcher Bücher auf Stereotypen darüber aufbauen, was als männlich und was als weiblich gilt. Rosa und Pastelltöne, die man oft darauf findet, sind eindeutig weiblich konnotiert. Auch scheinen wir in einer Welt zu leben, in der angenommen wird, (die Abbildung von) zwei Frauen im Gespräch könnte(n) für einen Mann nicht von Interesse sein. Ein Buch mit Motoren auf dem Umschlag hingegen, das wäre etwas für einen Mann. Motoren — die sind doch ganz eindeutig Männersache.
Unter anderem erklären also wahrscheinlich genau solche Rollenbilder und Angst vor sozialen Sanktionen, die folgen könnten, wenn sie „der Rolle“ nicht entsprechen würden, warum man Männer kaum „Romanzen“ lesen sieht. Denn hält ein Mann ein solches Buch in seiner Hand, setzt er sich der Gefahr aus, als nicht-männlich abgestempelt zu werden. Manche Leute würden ihn vielleicht auch als schwul beschimpfen.
Gleichzeitig ist es sicher, dass es Männer gibt, die gerne genau solche „Romanzen“ lesen, vielleicht auch Poesie mögen oder auch ganz einfach ein Interesse an Belletristik haben. Interessanterweise gibt es kein Genre von Buch und damit keine Genre von Buchcover, das Männer gezielt als Publikum anspricht. Das lässt sich gut an Agnes von Peter Stamm verdeutlichen.
Wer das Buch kennt, weiß, dass es sich hierbei um einen Roman mit männlichem Protagonisten handelt. Es geht hauptsächlich um sein Leben und seine Probleme. Kurz zusammengefasst: Der Protagonist (ohne Namen) verliebt sich in eine Frau und wird durch seine Unfähigkeit, ihr Leben (und Sterben) zu kontrollieren, in den Wahnsinn getrieben. Und dennoch würde hier niemand auf die Idee kommen, dass es sich um „Männerliteratur“ handle. Die Frau, die auf dem Cover in Unterwäsche abgebildet ist, wurde zudem nicht so designt, um Männer anzusprechen. In der Tat, auf der Basis von Titel und Cover würde niemand auf die Idee kommen, dass es in Agnes um den Alltag eines Mannes geht.
Allgemein lässt sich feststellen, dass es keine Cover von Büchern gibt, mit denen sich Frauen im Zug ähnlich unwohl fühlen würden wie Männer mit einer „Romanze“ in den Händen. Anders als „Frauenliteratur“, gibt es „Männerliteratur“ in unserer Welt eben nicht. „Bücher, in denen Männer im Vordergrund stehen, werden oft als Bücher über die Menschheit gelesen. Bücher, deren Protagonistinnen Frauen sind, werden hingegen zumeist als Frauenliteratur abgestempelt.“ So hat es Rebecca Solnitt treffend beschrieben. Dementsprechend gibt es auch Vermarktungstragegien für Romane, die auf Frauen abzielen, aber eben keine, die versuchen ausschließlich Männer anzusprechen.
Hier wird auch klar, woher die große Verwirrung und Unzufriedenheit in Bezug auf die Buchumschläge von Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga herrühren. Die Cover signalisieren ganz klar „Frauenliteratur“. Gleichzeitig bestehen Leser’innen darauf, dass dieses abwertende Label auf keinen Fall auf Ferrantes Werk angewendet werden darf. Eine Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Frauen aus einem Armenviertel in Neapel hat es also geschafft, als große Literatur gesehen zu werden. Buchumschläge von Frauen und Kindern in Rosa und Pastell, die tun was Frauen und Kinder eben manchmal tun, scheinen immer noch ausschließlich als „Etwas für Frauen“ konnotiert zu sein.
Die Rolle von Buchumschlägen und der Geschlechterstereotypen, auf denen sie aufbauen, sind bei der Auswahl von Büchern eben nicht zu unterschätzen. Idealerweise würde das Cover eines Buches nicht nur bestimmte Gruppen oder Geschlechter ansprechen. Jedem’r sollte die Wahl gelassen werden, zu lesen was ihn‘sie interessiert, ohne aufgrund der Optik des Buchs direkt in eine Angriffszone zu geraten.
Während Vorurteile und Geschlechterrollen sich nur langsam verändern, könnte man hierfür kurzfristig versuchen die Umschläge von Büchern zu neutralisieren. Einfach keine Bilder mehr auf Bücher drucken, Titel und Inhaltsangabe sollten genügen! Ich habe meine Freundin gefragt, was sie davon halten würde, wenn Cover einfach verschwinden würden, was sie darüber denken und wie sie in diesem Fall handeln würde. Sie war alles andere als begeistert. Sie sucht sich ihre Bücher nun mal grundsätzlich nach Äußerlichkeiten aus. Vielleicht ist es aber auch Ferrante, die uns mit ihrer bewussten Auswahl „kitschiger“ Cover den Weg nach vorne weist. Auch Geschichten über Frauen und das, was Frauen eben so tun, können große Literatur sein und sowohl Männer als auch Frauen ansprechen. Vielleicht brauchen wir auch einfach mehr Bücher wie die Neapolitanische Saga, mit genau solchen, „kitschigen“ Covern.