Warum Frauen reden sollten — erklärt anhand von Christine Brückners “Wenn du geredet hättest, Desdemona”

von Maria Tzoulaki

Lisa Eberle
Dem Schicksal Entkommen
4 min readMar 25, 2019

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Warum ist es wichtig, dass Frauen reden? Warum sollen sie nicht, wie es doch so oft geschieht, schweigen? In Wenn du geredet hättest, Desdemona zeigt Christine Brücker, wie Frauen, die reden, einen neuen Blick auf Altbekanntes eröffnen und die Realität, die sie beschreiben, auch beeinflussen. Vor allem aber verändern sie durch das Reden ihr eigenes Leben. Sie lassen, so scheint es, nicht mehr alles mit sich machen, sie lassen sich nicht mehr alles gefallen.

Wer kennt es nicht — man sitzt abends gemütlich vor dem Fernseher und schaut die Nachrichten. Prompt wird dort über einen neuen Fall häuslicher Gewalt berichtet: „Frau entkommt gewalttätigem Mann! Anonym berichtet sie nun darüber, wie ihr Alltag täglich zur Hölle gemacht wurde!“.

Ich frage mich dann oft, wieso Frauen sich so etwas gefallen lassen. Warum wehren sie sich nicht? Ich, so denke ich mir, wäre in einer solchen Situation schon lange verschwunden. Doch so richtig sicher über mein eigenes Handeln bin ich mir dann doch nicht. Wenn es so einfach wäre, aus einer solchen Lage rauszukommen, wären wahrscheinlich auch weitaus weniger Frauen davon betroffen. Ich selbst war noch nie in einer vergleichbaren Situation und weiß im Grunde nicht, wie ich gehandelt hätte. Was ich jedoch weiß, ist, dass es manchmal schon sehr schwierig sein kann etwas zu sagen, geschweige denn zu handeln.

Ich selbst habe mich auch schon in Situationen befunden, in denen ich hätte reden sollen. Ein harmloses Beispiel: Ein Kunde im Café, in dem ich arbeite, entschied sich dafür, den aufgestauten Frust seines Alltags an mir auszulassen. Statt zu kontern, entschied ich mich dafür, zu schweigen und seine ungerechtfertigte Aggression mir gegenüber einfach hinzunehmen. Natürlich, im Nachhinein fallen einem‘r immer die besten Antworten oder Kontermöglichkeiten ein. Doch trotzdem habe ich oft Angst davor etwas zu sagen, denn die Furcht vor den Konsequenzen meiner Worte hält mich davon ab. Wie würden die Personen, mit denen ich spreche, reagieren? Ich habe Angst davor, nicht verstanden zu werden, auf taube Ohren zu stoßen und ignoriert oder sogar angeschrien zu werden.

Die Protagonistinnen in Christine Brückners Wenn du geredet hättest, Desdemona scheinen nicht von solchen Ängsten geplagt. Brückner lässt Frauen reden. Sie zeigt Frauen, die sprechen, ihren Mund aufmachen und sagen, was ihnen im Kopf herumschwirrt. Und das sind nicht irgendwelche Frauen, sondern bekannte Figuren aus Geschichte und Literatur: von Desdemona bis Klytemnestra, von Katharina Luther bis Gudrun Ensslin.

Trotz der Tatsache, dass die Monologe, die Bückner niederschrieb, nur fiktiv sind und niemals stattgefunden haben, zeigen sie trotzdem zunächst einmal eine andere Perspektive auf Ereignisse und historische Momente, die gut bekannt sind. Die eigentliche Qualität des Buchs besteht aber darin, dass Brückner nicht nur neue Perspektiven auf Altbekanntes eröffnet. Sie geht auch darauf ein, wie anders Geschichte(n) hätte(n) verlaufen können, wenn diese Frauen gesprochen hätten und das ausgedrückt hätten, was sie dachten. Schon im Titel Wenn du geredet hättest zeigt Brückner ganz klar, dass Frauen, wenn sie denn reden, einen anderen Lauf der Dinge möglich machen. In der Tat, Desdemona’s Rede scheint Othello davon abzuhalten sie umzubringen. Indem sie redet, schreibt sie ihr eigene Geschichte neu.

Durch die verschiedenen Alltagssituationen und auch die verschiedenen Zeiten, in denen die einzelnen Protagonistinnen leben — von der Antike bis zur Neuzeit –, macht Brückner deutlich, dass Frauen etwas durch Reden bewirken können, egal wann, wo und wie. In meinen Augen macht sie gerade den weiblichen Lesern Mut, sich auszusprechen und zu zeigen, dass es hilfreich sein kann, einfach mal zu reden.

Manchmal ist die Sprache von Brückners Protagonistinnen einem‘r heute vielleicht fremd. „Schweig und sei still! hast [sic] du gesagt. Nein, Othello, nein. Ich werde nicht schweigen. Hier, in unserem Schlafgemach, habe ich mitzureden.“[1] So redet zum Beispiel Desdemona mit Othello. Gleichzeitig ist aber die Energie, die dieser Rede innewohnt, ansteckend. Eben diese Energie sollten mehr Frauen an den Tag legen, sich ausdrücken und endlich mal nicht auf das hören, was andere zu ihnen sagen, sondern das tun, was ihnen selbst gefällt.

In meiner Recherche zur Geschichte von Frauenbildern stieß ich auf Werbung aus den 50er Jahren und war schockiert darüber, wie eine Frau damals gesehen wurde. Das Idealbild einer Frau war gegenüber dem heutigen klar limitiert. Putzen, Kochen, Aufräumen und den Mann versorgen, sodass in erster Linie er zufrieden gestellt ist — das waren die Aufgaben einer Frau. Gleichzeitig schien mir auch die Wirkkraft dieser Werbungen enorm. Sich dem dort vermittelten Bild entgegenzustellen kam mir, nach dem Betrachten dieser Videos, vollkommen unmöglich vor.

Vor diesem Hintergrund scheint es noch einmal wichtiger, dass Frauen reden, sich ausdrücken und ihre Wünsche und Probleme selbst artikulieren, auch wenn das mit großer Angst und Unsicherheit verbunden sein kann.

Mir zumindest hat Christine Brückners Buch ein Stück weit die Augen geöffnet und mir Mut geschenkt, das nächste Mal, wenn ich mich in einer unangenehmen Situation befinde, den Mund aufzubekommen und auf keinen Fall alles mit mir machen zu lassen. Denn was habe ich im Endeffekt zu verlieren? Statt mich selbst einer psychischen Belastung auszusetzen, versuche ich wenigstens mich zu artikulieren und meine Sichtweise deutlich zu machen. Und wer weiß, vielleicht verändert sich dadurch ja auch etwas in der Welt um mich herum.

[1] Brückner, Christine: Wenn du geredet hättest, Desdemona. Berlin 1996. S. 23

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