Wie Christine Brückner ungehaltenen Frauen eine Stimme gibt — eine Rezension

von Mike Gehring

Lisa Eberle
Dem Schicksal Entkommen
2 min readApr 12, 2019

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Desdemona und Othello in Venedig (Théodore Chassériau, 1849)

In ihrem mutigen und letzten Werk „Wenn du geredet hättest, Desdemona“ zeigt Christine Brückner auf eine witzige und zugleich gut verständliche Art, wie schwer es für Frauen jeden Standes und in jeder Zeit doch sein konnte, gehört zu werden.

„Wenn du geredet hättest, Desdemona“ ist eine Sammlung von fiktiven Monologen aus der Feder von Christine Brückner, die 1983 bei Hoffmann und Campe veröffentlicht wurde. Brückner verleiht diversen weiblichen historischen Persönlichkeiten eine Stimme, die diese nutzen, um ihren Unmut darüber kundzutun, dass Frauen ihre Zeit nicht zu sprechen hatten und — sollten sie es doch wagen — nicht gehört wurden.

Das Werk umfasst die Monologe verschiedenster Frauen, die in verschiedensten Zeitpunkten der Geschichte anzusiedeln sind. Doch das zentrale Thema der Monologe bleibt ähnlich, sie sind Kritiken an der Welt, in der sich die jeweiligen Frauen wiederfinden, sie sprechen über Rede- und Zuhörgewohnheiten ihrer Zeit und es geht darum, dass Frauen zwar sprechen können, obwohl sie es meist nicht sollen, aber selbst, wenn sie es tun, nicht gehört werden.

Das Buch umfasste in der ersten Auflage elf Monologe, in der erweiterten Ausgabe ab 1996 kamen drei weitere hinzu. Die Frauen, denen Brückner ihre Worte in den Mund legt, sind von verschiedener Bekanntheit, manche sind real, andere fiktiv. So spricht zum Beispiel im Ersten Monolog des Buches Christiane von Goethe zur Oberstallmeisterin Charlotte von Stein, während im zweiten Monolog Klytämnestra zu Agamemnon spricht, den sie kurz zuvor ermordet hatte.

Nur in einem der insgesamt 14 Kapitel des Buches bekennt Brückner sich tatsächlich zu im Monolog getroffenen Aussagen. In dem Kapitel mit dem Titel „Eine Oktave tiefer, Fräulein von Meysenbug! Rede der ungehaltenen Christine Brückner an die Kollegin Meysenbug“ ergreift die Autorin selbst das Wort.

Obwohl die Reden, die in diesem Buch vorzufinden sind fiktiv sind, schafft Brückner sowohl sprachlich, als auch inhaltlich eine feinfühlige Zuordnung. Besonderes Augenmerk legt sie auf das Verhältnis von Mann und Frau, einerseits in der Vergangenheit, andererseits heute und stellt dabei heraus, dass sich in mancherlei Hinsicht nicht viel geändert hat. Die Gesellschaft wird von Männern dominiert, Frauen haben nichts zu sagen, oder genauer, sie haben gefälligst nichts zu sagen. Brückner gelingt es, die Protagonistinnen sagen zu lassen, was sich viele Frauen nicht zu sagen trauen.

Christine Brückner schafft es, in dieser Sammlung von Monologen auf eindrucksvolle Art und Weise den verschiedensten Frauen eine Stimme zu verleihen, die diese nutzen, um zum Einen über persönliche Anliegen und Probleme zu sprechen und zum Anderen, um darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen, auch wenn ihnen schon immer gelehrt wurde nicht zu sprechen, vieles zu sagen haben und ihnen das Recht gebührt, sich auszudrücken.

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