22 Gedanken zu Paris

Mir geht es nicht gut. Ich mache mir Sorgen. Ich habe versucht, meine Angst wegzuschreiben.

Simon Hurtz
2 min readNov 16, 2015
Der Slack-Channel der Süddeutschen Zeitung. Am Freitagabend um 21:54 Uhr hatte ich ein mieses Gefühl. Kurz darauf kamen die Eilmeldungen.
  1. Vergangene Woche gab es drei entsetzliche Anschläge*: in Beirut, in Bagdad und in Paris.
    *Nils Kersten meint, dass wir nicht nicht von “Terroristen”, sondern von “feigen Mördern” sprechen sollten. Das finde ich nachvollziehbar. Deshalb habe ich das Wort “Terroranschläge” ersetzt.
  2. Ein Menschenleben ist ein Menschenleben.
  3. Westliche Medien haben die Opfer im Nahen Osten nicht ignoriert. Trotzdem kann man sie kritisieren.
  4. Am Sonntag war der meistgelesene Artikel auf BBC News ein Bericht über den Anschlag auf das Garissa University College in Kenia mit 147 Toten. Der Anschlag ereignete sich im April. Ich dachte, das Tausendfache Teilen dieses Berichts sei subversive (Medien-)kritik. Vermutlich lag ich falsch: Niemand liest das Datum.
  5. Zwischen Januar und Oktober sind 3329 Menschen im Mittelmeer ertrunken.
  6. Im Syrischen Bürgerkrieg sind Hunderttausende Menschen gestorben. Die genauen Opferzahlen kennt niemand. Täglich werden es mehr.
  7. Westliche “Anti-Terror-Kriege” haben unzählige Muslime getötet. Je nach Berechnungsgrundlage schwankt die erste Ziffer. In jedem Fall folgen danach noch sechs weitere. Es sind viele Millionen Tote.
  8. Ich weiß genau, wie und wann ich von 9/11 erfahren habe. Ich war elf Jahre, saß nach dem Fußballtraining um 17:05 Uhr in der Umkleidekabine und habe am Anfang gar nichts verstanden.
  9. Ich weiß genau, wie und wann ich von 11/13 erfahren habe. Ich saß zuhause, habe Fußball geguckt, ein paar Mails beantwortet und nebenbei meine Twitter Timeline gelesen. Um 21:54 Uhr habe ich einen Tweet im Redaktions-Slack der SZ geteilt (s.o.). Wenige Minuten später kamen die Eilmeldungen.
  10. Ich will nicht, dass Paris zum europäischen 9/11 wird. Ich will nicht, dass wir jetzt “im Krieg” sind.
  11. Ich wünsche mir weniger François Hollande und mehr Jens Stoltenberg.
  12. Es gibt Momente, die sich nicht für Medienkritik eignen.
  13. Menschen, die zu Allah beten, sind Moslems. Menschen, die für Allah töten, sind Islamisten. Menschen, die vor Islamisten fliehen, sind Flüchtlinge. Danke, Volker.
  14. Ein Großteil der Attentäter waren französische und belgische Staatsbürger.
  15. Frankreich hat schärfere Sicherheitsgesetze als Deutschland. Frankreich hat seit fast zehn Jahren die Vorratsdatenspeicherung. Frankreich hat eine restriktivere Einwanderungspolitik als Deutschland. Frankreich hat dieses Jahr zwei barbarische Anschläge erlebt. Deutschland nicht.
  16. Mit einem einzigen Klick kann man einen Tweet weiter verbreiten, ein Bild teilen, eine Nachricht in die Welt setzen. In Zeiten wie diesen gilt mehr denn je: Erst denken, dann teilen.
  17. Unwissenheit und Naivität sind das eine, bewusst gestreute, bösartige Falschmeldungen sind das andere.
  18. Ich habe keine Kraft mehr, mich über Menschen wie Markus Söder oder Matthias Matussek aufzuregen.
  19. Wenn du denkst, schlimmer als Söder geht’s nicht mehr, kommt von irgendwo ein polnischer Außenminister daher.
  20. Trotztanzen hilft. Kurzfristig.
  21. Ich habe viele Fragen. Aber keine Antworten.
  22. Ich bin müde und traurig. Ich habe jetzt Urlaub. Noch nie hatte Zeit zum Nachdenken so nötig wie jetzt.

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Simon Hurtz

Ich mag Geschichtenerzählen. Manchmal sterben dafür Bäume, meistens schreibe ich ins Internet. Die SZ bezahlt mich dafür, das Social Media Watchblog nicht.