Black Widow — Marvels Problem mit der Frau im Team

Dominik Bärlocher
7 min readApr 29, 2016

Natasha Romanoff ist die Black Widow. Einst eine Agentin des KGB ist sie nun eines der Gründungsmitglieder des Superheldenteams The Avengers. Sie ist hart im Geben, intelligent und tritt genauso furchtlos gegen eine Horde Aliens an wie sie Waffenschieber gegenübertritt. Zudem hat sie eine Vergangenheit, die selbst nach dem Zerfall der Sowjetunion noch geheim ist. Kurz: Die Black Widow ist eine grossartige Figur im Team der Avengers.

Das Problem: Die Autoren der Filme scheinen keinen Plan zu haben, was sie mit Natasha Romanoff — gespielt von Scarlett Johansson — anfangen sollen. Ein Blick in die den Zuschauern bekannte Vergangenheit der Figur zeigt: Charakter-Konsistenz scheint bei Marvel Männersache zu sein.

Konsistenz scheint bei Marvel Männersache zu sein.

In diesem Artikel werden wir nicht nur sehen, dass Marvel nicht weiss, wer Black Widow ist oder sein soll, sondern sie auch weder als Charakter noch als Frau ernst nimmt.

Die Gründe für dieses Verhalten liegen — zumindest in Captain America: Civil War, dem jüngsten Film aus dem Hause Marvel — darin, dass sämtliches Support Cast komplett absent ist.

Vom KGB zu S.H.I.E.L.D. zu den Avengers

Das Problem in der Charakterisierung der Natasha Romanoff wird erst offensichtlich, wenn ihre Figur im Kontext des Marvel Film-Universums (MCU) betrachtet wird. In jedem einzelnen Film scheint sie konsistent, nimmt ihren eigenen Standpunkt ein, vertritt den auch souverän und hat manchmal sogar wichtige Funktionen für den Plot. Doch wo Iron Man (Robert Downey Jr.) und alle seine Mitstreiter bei den Avengers eine Charakterevolution durchmachen, dümpelt Romanoff hinterher und scheint grade den Part zu übernehmen, der noch von irgendwem übernommen werden muss. Das, und sie darf in der Regel den Part des Love Interest übernehmen, indem sie mit einer männlichen Figur flirtet und so dem Zuschauer die sexuelle Attraktivität der Figur zeigt.

In Iron Man 2 (2010) tritt Romanoff zum ersten Mal auf. Sie nennt sich im Film Natalie Rushman und ist die Sekretärin Tony Starks, der sich Ende des ersten Films öffentlich als Iron Man geoutet hatte. Wie sich herausstellt heisst sie aber weder Natalie Rushman noch ist sie Sekretärin. Sie ist die Black Widow und wurde von Nick Fury (Samuel L. Jackson), damals Direktor S.H.I.E.L.D.s, beauftragt, Stark auszuspionieren. Sie ist zwar das Action Girl des Films, doch sonst erhält sie recht wenig Charakterisierung.

Die Arbeit der Stuntmen and -women in dieser Szene ist bemerkenswert.

Der Kampfstil in dieser Szene ist von Zynikern unter Filmfans She-Fu getauft worden. Das ist ein Stil, der sich dadurch auszeichnet, dass er übermässig viele Überschläge und Salti enthält. Auch sei der Stil entwickelt worden, da Filmautoren sich zieren, eine Frau in eine Situation zu bringen, in der sie eine Faust ins Gesicht kassiert.

Romanoffs Art, zu kämpfen, und ihr schwarzes Outfit ist das einzige, was an ihrer Figur konsistent bleibt. Denn sobald die Autoren sich anschicken, mit der Figur etwas zu tun, zerfällt sie.

Mehr Charakter-Entwicklung erhält sie in The Avengers (2012), wo sie als mehr oder weniger subtil als Love Interest für den neuesten Avenger Clint Barton alias Hawkeye (Jeremy Renner) gehandelt wird. Die beiden scheint mehr zu verbinden als nur Freundschaft.

In Captain America: The Winter Soldier (2014), ihrem nächsten Auftritt, wird sie als romantischer Partner von Steve Rogers alias Captain America (Chris Evans) dargestellt und ihre Biographie wird komplett verkorkst. Im Film wird erstmals erklärt, weshalb Natasha Romanoff so tödlich ist: Sie, die im Jahre 1984 geboren wurde, war Agentin des KGB. Der russische Geheimdienst des kommunistischen Regimes fiel im Jahre 1991 mit dem Kommunismus. Also war Romanoff Agentin bevor sie sieben Jahre alt war. In folgenden Filmen wird das nicht erwähnt, da es wahrscheinlich irgendwem aufgefallen ist.

Ein Jahr später, in Avengers: Age of Ultron wird ihr jede Initiative genommen. In einem Interview sagt Schauspielerin Scarlett Johansson über ihre Figur:

Widow never made an active choice. She’s a product of other people’s imposition. That’s going to catch up with her. That’s bound to have a huge effect. There’s got to be a result of that realization… You’ll see her actively making some choices in her life, for better or worse.

Auf Deutsch:

Widow hat nie selbst eine Wahl getroffen. Sie ist ein Produkt der Entscheidungen anderer Menschen. Das wird einholen. Es wird einen grossen Effekt haben. Diese Realisation muss ein Resultat erbringen… Sie werden sehen, wie sie aktiv eine Entscheidung in ihrem Leben trifft, egal, ob das nun eine gute oder schlechte Wahl ist.

Die Wahl ist Folgende: Nachdem Natasha Romanoff den ganzen Film über mit Bruce Banner alias The Hulk (Mark Ruffalo) flirtet und ihm allgemein recht nahe steht, flieht sie mit ihm am Ende des Films und verlässt die Avengers. Weil er die Avengers verlassen will. Somit agiert sie als Bestätigung für die Meinung des Mannes, da er sonst alleine als Exzentriker abgehauen wäre und das geht nicht in einem Film, der Zuschauern das emotionale Innenleben eines grünen Riesen mit Superkräften näher bringen will. Dazu kommt, dass sich im Film herausstellt, dass sie im Zuge ihres KGB-Trainings sterilisiert worden ist und dass ihr das zu Schaffen macht.

Aktuell ist Natasha Romanoff in Captain America: Civil War (2016) zu sehen. Im Streit, ob ein UN-Ausschuss die Avengers leiten soll, schlägt sie sich auf die Seite Tony Starks, der sich für eine solche Regelung ausspricht. Damit wird sie zur Gegnerin Steve Rogers, der sich vehement dagegen stellt. Doch so ganz kann sie ihre Zuneigung zu Steve Rogers nicht verleugnen, ist sie doch die einzige, die nach der Beerdigung von Steve Rogers Ex-Freundin bei ihm ist und ihn innig umarmt. In der Folge wechselt sie beim Showdown die Seiten und lässt Captain America entkommen. Weil sie sich nicht enscheiden kann, wer denn nun Recht hat in der Superheldenregulationsfrage. Die Frage ist eigentlich eine, die der Zuschauer beantworten soll, denn alle Figuren im Film — mit Ausnahme Black Widows — sind sich der Antwort sicher. Dazu kommt, dass die Beziehung zu Bruce Banner alias The Hulk anscheinend vorbei ist. Obwohl danach gefragt, verliert die ex-KGB-Agentin kein Wort dazu. Die Sterilisationsfrage und alles scheint vergessen.

Black Widow wird von den Filmemachern nicht als menschliche Figur ernst genommen, sondern nur als Plot Device genutzt.

Daraus kann geschlossen werden, dass Black Widow von den Filmemachern nicht als eine Figur verstanden wird, die einen Menschen darstellen soll. Black Widow in den Filmen ist ein Plot Device — ein Element einer Geschichte, das nur dazu dient, die Story vorwärts zu treiben.

Keine schlechte Figur

Trotz der Inkonsistenz in Black Widows Charakterisierung, ihrer Motive und Allianzen wie auch ihrer Liaisons ist die Figur keine schlechte, wie ein Blick in die Comics zeigt. Die jünste Inkarnation der Figur, von vielen als der neue Standard angesehen, stammt aus der Feder von Nathan Edmondson mit Zeichnungen von Phil Noto.

Phil Noto hat 20 Ausgaben Black Widow gezeichnet, alle davon spektakulär. Quelle: Cover Black Widow #13

In der mittlerweile eingestellten Serie, die einen kleinen und loyalen Leserkreis zu seinen Fans zählen kann, wurde das Leben der Natasha Romanoff gezeigt, wenn sie nicht für S.H.I.E.L.D. arbeitet. In typischer Superhelden-Manier setzt sie ihre Fähigkeiten für das Gute ein. Da sie aber eine Killerin ist, geht das so:

  • Person A will Person B tot sehen
  • Wenn Person B ein böser Mensch ist, nimmt Natasha Romanoff den Job an
  • Person B stirbt, Romanoff kassiert Geld
  • Romanoff spendet das Geld für wohltätige Zwecke

Zu ihren Supporting Characters gehören sehr wenige Charaktere und — fast schon eine Besonderheit — keinen Liebhaber. Sogar eine Katze wird zu einer Figur, die von Lesern geliebt wird weil sie die Einsamkeit und die Isolation Romanoffs widerspiegelt. Ihr Buchhalter versucht die Black Widow auf den Weg des Profits oder nur schon des Nullsummenspiels zu bringen. Er ist die Verbindung zur echten Welt, in der auch die Leser sind, die versucht, der ex-KGB-Agentin versucht das echte Leben näher zu bringen.

Im Comic existiert Natasha Romanoff nicht, damit sie einen Mann oder mehrere Männer unterstützen oder anhimmeln kann. Als sie auf Frank Castle alias The Punisher trifft, ist die Interaktion kurz und sie sagt ihm klar, was sie von seiner Mission hält und wie egal sie ihr ist. Sie habe ihre eigenen Ziele und wenn Frank mit ihr in die Sicherheit fliegen möchte, habe er genau vier Minuten Zeit.

Der Unterschied zwischen der Film- und der Comicversion der Natasha Romanoff ist einfach: Im Comic wurde ihr von Nathan Edmondson Platz gegeben. Klar ist sie die Titelheldin, aber auch wenn sie auf andere etablierte Figuren des Universums traf beharrte sie auf ihren Standpunkten. Sie hatte eine Idee, stand dazu und hatte sowohl die Kraft wie auch den Willen, diese durchzuziehen.

Der Wille zur Gewalt

Edmondson und Noto wagten es auch, Natasha Romanoff als Kämpferin ernst zu nehmen. Also kein She-Fu, keine Salti, keine Elektroschocker, die eigentlich nichts bringen. Manchmal kassiert Black Widow so richtig eins in die Fresse, wie der Volksmund so schön sagt.

“Glaubst du, dass ich nicht gewusst habe, dass du hier bist? Du hast jeden Bewegungsmelder auf dem Schiff ausgelöst.” — Crossbones haut Black Widow mit der Faust ins Gesicht. Quelle: Black Widow #9

Das soll nun nicht verstanden werden als eine Aufforderung, Frauen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, aber die Art wie Frauen in Superheldenkämpfen behandelt werden ist indikativ, wie sie von den Autoren und Verlegern gesehen werden. Sind sie Personen oder Plot Devices? Sind sie nur zur Dekoration der männlichen Figuren da, oder sind sie — auch wenn sie sehr weiblich, sexy und so gar nicht männlich sind — genau so tough geschrieben, wie die Männer?

Die Frage, ob es sich beim Umgang mit Natasha Romanoff nun um Sexismus handelt, oder einfach nur um einen Fall von “Wir wissen nicht, was wir mit ihr anstellen sollen” — was bei der hohen Anzahl Figuren in den Marvel-Filmen durchaus realistisch ist — bleibt aber unbeantwortet ausserhalb der Gedanken der Leser.

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