Blog-Plattform oder soziales Netzwerk?

Erik Meyer
4 min readMay 28, 2015

--

An einer Einlassung von Medium-CEO Ev Williams hat sich eine Debatte entzündet, in der es um die zukünftige Ausrichtung des Angebots geht.

Medium is not a publishing tool“, so statuiert Medium-Mastermind Ev Williams in einem Beitrag auf der bei “digital influencers” recht beliebten Plattform. Anhaltspunkt für diese Feststellung sind die in letzter Zeit eingeführten Innovationen zur Interaktion mit den dort eingestellten Texten. Beobachter erkennen in den Veränderungen einen veritablen Strategiewechsel, der das Angebot im Kampf um Aufmerksamkeit und Nutzer neu positioniert. Eine andere Ausrichtung ist derweil auch beim Journalismus-Experiment reported.ly zu erkennen, das nun auch eine eigene Website hat.

Ausgangspunkt für die Ausführungen von Ev Williams sind seine Erfahrungen mit von ihm verantworteten Diensten. Dabei handelt es sich zunächst um Blogger.com, ein umfassendes Publikationsportal, das schon seit über zehn Jahren zu Google gehört. Als Anbieter sei man seinerzeit in einen unbefriedigenden Wettbewerb eingetreten:

“Understanding Blogger as we did at the time — as a software tool for creating and publishing web sites — we found ourselves in the race many software makers know well: Add features, get more users. Competitor adds more features, lose users. (Marketing and others factors have some effect, depending on the market. In blogging, that was minimal.)“

Mehr Konversation als Publikation

Bekannter ist Williams für den von ihm im Anschluss gemeinsam mit Biz Stone und Jack Dorsey entwickelten Microblogging-Service Twitter. Dessen Popularität verdankt er die Einsicht, dass der Wert von Online-Kommunikationsangeboten weniger in der attraktiven Gestaltung liege. Relevant sei vielmehr die Möglichkeit, sich mit Akteuren zu vernetzen, die Inhalte produzieren, welche für andere von Interesse sind:

“No one moves where they tweet because some other tool has better formatting or profile customization. That’s because a tiny percentage of the value Twitter brings comes from the software itself. It’s all about the network — the connection with other users and the content they create.“

Aus diesem Grund sei seine Aufmerksamkeit inzwischen weniger auf die Weiterentwicklung der Bearbeitungsmöglichkeiten als auf kommunikative Aspekte gerichtet. Dazu gehört beispielsweise die Option der Hervorhebung von Textpassagen sowie deren Distribution als Screenshort via Twitter. Ein qualitatives Feedback sieht Williams ebenfalls durch die Funktion verbessert, direkt auf Einträge antworten zu können. Und darin manifestiert sich schließlich auch ein Verständnis von Medium, das weniger an Publikationen als an Konversationen orientiert ist:

Quiz-Formate, Status-Updates und Kommentare statt ausführlicher Artikel?

Die Einlassungen von Ev Williams stoßen nicht nur auf Begeisterung. Bei BuzzFeed fragt Charlie Warzel: “What’s Going On At Medium?“. Seiner Meinung nach stellen die Änderungen einen fundamentalen Strategiewechsel hinsichtlich des Benchmarking dar:

“Company sources and individuals familiar with its strategy tell BuzzFeed News that companywide changes intended to increase user sign-ups and interactions are on the way, with a greater emphasis on increasing the number of logged-in users, and getting them to share content with their friends and favorite posts by clicking on heart-shaped icons.

Dies markiere eine Abkehr von der bislang im Fokus stehenden Produktion und Rezeption von Texten hin zu einem eher unspezifischen Engagement möglichst vieler registrierter Nutzer. Als exemplarisch für diese Entwicklung führt er ein gerade realisiertes Quiz-Format an, das Nutzer zu vielen Interaktionen innerhalb kürzester Zeit verführen kann:

Für seine Annahme sprechen auch weitere Änderungen, die Nutzer zu eigenen Beiträgen ermutigen sollen: Auf der eigenen Startseite lässt sich inzwischen direkt ein Eintrag anlegen. So verschiebt sich der Fokus tendenziell vom Verfassen eines ausführlichen Artikels hin zum Status-Update. Ähnlich könnte ein Bookmarklet wirken, das Medium quasi zum universellen Kommentar-Werkzeug macht: Mit dem Klick auf “Write on Medium” startet der Anwender dort einen Eintrag in dessen Kopfzeile der Titel des jeweiligen Textes sowie der betreffenden Website steht.

Dieses Tool hat Mark Lotto genutzt, der die Medium-Publikation “Matter” herausgibt, um den Buzfeed-Beitrag zu kommentieren. Denn er besteht darauf, dass Medium nicht nur an einer neuen Metrik interessiert ist:

We’re also talking about what comes after a story is read, or what can: that high-quality conversation around the issues and ideas that matter to people. How do you measure that? (…) Maybe that even means inventing new categories in media — as staggering and novel and elastic as newspapers once were, print magazines once were, zines once were, blogs once were, websites once were.

Die Suchbewegung nach neuen Formaten verkörpert auch das Experiment reported.ly aus dem von eBay-Gründer Pierre Omidyar finanzierten journalistischen Projektzusammenhang First Look Media. Die Macher verstanden ihre Form eines kollaborativen Online-Journalismus zunächst als Format, das sich ausschließlich in sozialen Netzwerken vollzieht:

Nun gibt es aber doch wieder eine Website, die die fluiden Inhalte sozialer Medien plattform-übergreifend thematisch und chronologisch bündelt. Vielleicht handelt es sich dabei um eines der flexiblen Formate zwischen Konversation und Publikation, die im Zuge des Medienwandels zu erfinden sind.

Originally published at www.netzpiloten.de.

Siehe zu diesem Thema auch einen früheren Beitrag von mir:

--

--