Der Prostatakrebs-Test, der mein Leben rettete

von Ben Stiller übersetzt von Medium auf Deutsch

Medium auf Deutsch
6 min readOct 18, 2016

Der Prostatakrebs-Test, der mein Leben rettete

“Mhm, ja, es ist Krebs.”

Gerade noch hatte sich mein Urologe darüber ausgelassen, wie lästig es war, dass er seine Tochter heute von der Schule abholen musste — und nun überbrachte er mir nahtlos meine Krebsdiagnose. Vor zwei Wochen wusste ich noch gar nicht, dass ich überhaupt einen Urologen habe.

“Ja”, sagte er und blickte etwas perplex auf die Ergebnisse: “Ich war selbst überrascht.”

Als mein neuer Arzt, der meine Welt ins Wanken brachte, anfing, von Zellkernen, Gleason-Werten, Überlebenschancen, Inkontinenz und Impotenz zu sprechen, und darüber, was für eine Operation spricht und welche am besten geeignet wäre, war es wie in einem Film, in dem jemand die Nachricht bekommt, dass er Krebs hat: Die Worte zogen an mir vorbei, ohne dass ich mich auf ihren Inhalt konzentrieren konnte… ein klassischer Walter White-Moment, nur dass ich es war, der die Diagnose erhielt und keiner irgendetwas filmte.

Ich habe meine Prostatakrebs-Diagnose am Freitag, den 13. Juni 2014 erhalten. Am 17. September desselben Jahres bekam ich die Ergebnisse eines Tests, die besagten, dass ich krebsfrei war. Die drei Monate dazwischen waren eine verrückte Achterbahnfahrt, die ungefähr 180.000 Männer in den USA kennen.

Gleich nachdem mir die unglückliche Botschaft überbracht wurde — als ich immer noch versuchte, die Schlüsselworte, die durch meinen Kopf hallten, zu verstehen (“Überlebenswahrscheinlichkeit, Inkontinenz-enz-enz-enz…) — setzte ich mich an meinen Computer und googelte “Männer, die Prostatakrebs hatten”. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und wollte mich davon überzeugen, dass das nicht das Ende der Welt war.

John Kerry … Joe Torre … ausgezeichnet, beide immer noch stark. Mandy Patinkin … Robert DeNiro. Beiden geht es blendend. OK, großartig. Ich fühlte mich relativ optimistisch, als ich schließlich in meinem Suchfenster “starben” mit “hatten” austauschte.

Je mehr ich über meine Krankheit erfuhr (und eine der wesentlichen Erkenntnisse ist, dass man nicht sofort “Männer, die Prostatakrebs hatten” googeln sollte, wenn man mit Prostatakrebs diagnostiziert wurde), desto stärker wurde mir bewusst, was für ein Glück ich gehabt hatte. Weil mein Krebs früh genug erkannt wurde, um behandelt werden zu können. Und auch, weil mein Allgemeinarzt mit mir einen Test machte, den er nicht hätte machen müssen.

Der PSA-Test hat mir das Leben gerettet. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nur deshalb kann ich gerade diese Zeilen schreiben. Dabei war dieser Test in den letzten Jahren sehr umstritten. Artikel und Kommentare zweifelten an der Sicherheit des Tests, Studien konnten auf diese oder jene Weise interpretiert werden und es wurde in zahlreichen Debatten diskutiert, ob Männer diesen Test überhaupt machen lassen sollte. Ich kann hier keinen wissenschaftlichen Standpunkt vertreten, sondern nur aus eigener Erfahrung sprechen. Mein persönliches Fazit ist: Ich hatte das große Glück, einen Doktor zu haben, der mir einen PSA-Test vorschlug, als ich etwa 46 war. Ich habe keine Familienmitglieder mit Prostatakrebs und ich gehöre keiner Risikogruppe an, da ich — meines Wissens nach — weder afrikanische noch skandinavische Vorfahren habe. Ich hatte keine Symptome.

Ich hatte — und deshalb bin ich heute gesund — einen aufmerksamen Allgemeinarzt, der fand, dass ich in einem Alter bin, in dem ich anfangen sollte, meine PSA-Werte testen zu lassen, und mir den Test vorgeschlagen hat.

Wenn er, wie es die amerikanische Krebsgemeinschaft empfiehlt, gewartet hätte, bis ich 50 bin, hätte ich erst zwei Jahre später erfahren, dass ein Tumor in mir wächst. Wenn ich mich nach den Empfehlungen der, vom amerikanischen Gesundheitsministerium finanzierten, Präventionsstelle US Preventive Services Task Force gerichtet hätte, hätte ich mich überhaupt nicht testen lassen und erst erfahren, dass ich Krebs habe, bis es für eine erfolgreiche Behandlung viel zu spät gewesen wäre.

Es kam aber anders. Mein Arzt, Bernard Kruger, testete mich jedes halbe Jahr und beobachtete, wie meine PSA-Testwerte über eineinhalb Jahre hinweg immer weiter anstiegen. Da die Werte immer höher wurden, schickte er mich zu einem Urologen, der mich einer leicht invasiven physischen Untersuchung mithilfe seines behandschuhten Fingers unterzog. Das Ganze dauerte keine zehn Sekunden. Auch wenn ich es nicht nur zum Spaß empfehlen würde, ist es doch erstaunlich, dass manche diese Untersuchung gar nicht empfehlen. In Anbetracht meiner steigenden PSA-Werte empfahl er im Anschluss ein MRT, um sich ein umfassendes Bild von meiner Prostata machen zu können.

Dabei handelt es sich um ein nicht invasives Verfahren — dasselbe, das man bei Sportlern bei Verdacht auf einen Kreuzbandriss anwendet. Laut, aber schmerzfrei. Erst nachdem er die Ergebnisse des MRTs studiert hatte, empfahl mein Doktor mir eine wenig angenehme Biopsie. Im Gegensatz zum MRT ist eine Biopsie so invasiv wie es nur geht: Lange Nadeln an empfindlichen Stellen und währenddessen noch mehr Smalltalk über Kinder, die von der Schule abgeholt werden müssen.

Die Ergebnisse der Biopsie waren positiv. Und “positiv” bei medizinischen Tests ist in der Regel nicht so positiv. Ich hatte einen Gleason-Wert von 7 (3+4), was in die Kategorie “mittelschwerer, aggressiver Krebs” fällt. Mir wurde eine Operation empfohlen. Ich beschloss, mir unterschiedliche Meinungen einzuholen, aber alle Ärzte, mit denen ich sprach, stimmten darin überein, dass der Tumor heraus musste.

Letztendlich fand ich einen wunderbaren Chirurg namens Edward Schaeffer, bei dem ich mich wohl fühlte. Er führte eine roboterassistierte laparoskopische radikale Prostatektomie durch, bei der er, dank seiner Expertise und dem Wohlwollen irgendeiner höheren Macht, den Krebs vollständig herausnehmen konnte. Zum Zeitpunkt, zu dem ich diese Zeilen schreibe, bin ich seit zwei Jahren krebsfrei und über alle Maße hinaus dankbar.

Was ist nun also das Problem mit dem PSA-Test und der Kontroverse darum?

Es ist ein einfacher, schmerzloser Bluttest. Er ist in keiner Weise gefährlich Wenn der PSA (Prostataspezifisches Antigen)-Wert im Blut erhöht ist, oder die Werte im Laufe der Zeit stark ansteigen, könnte das auf das Vorhandensein von Prostatakrebs hinweisen. Der Test ist definitiv nicht narrensicher.

Die Kritik begründet sich darin, dass, je nachdem, wie die Daten interpretiert werden, Ärzte ihre Patienten zu weiteren Tests wie dem MRT oder der invasiveren Biopsie schicken, auch wenn das evt. nicht notwendig ist. Ärzte können risikoarme Krebsarten finden, die nicht lebensbedrohlich sind, besonders nicht bei älteren Patienten. In manchen Fällen werden Männer mit diesen Krebsarten “überbehandelt”, z.B. durch Bestrahlung oder eine OP, die in Nebenwirkungen wie Impotenz oder Inkontinenz münden können. Das ist ganz offensichtlich keine schöne Sache. Aber hier ist der behandelnde Arzt in der Verantwortung.

Wie sollen Ärzte ohne den PSA-Test asymptomatische Fälle wie meinen entdecken, bevor der Krebs gestreut hat und Metastasen überall im Körper eine Behandlung unmöglich machen? Und was ist mit den Männern, die ein besonders hohes Risiko tragen, weil sie afrikanische Vorfahren haben oder Familienangehörige mit Prostatakrebs? Sollen wir sie, wie die Präventionsstelle USPSTF empfiehlt, überhaupt nicht testen? Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass diese Empfehlungen zu einer höheren Rate an Prostatakrebsfällen geführt hat, die zu spät entdeckt werden, um behandelt werden zu können.

Fünf Jahre nach ihrer ersten Empfehlung, die PSA-Tests zu stoppen, ist die USPSTF derzeit, gemäß ihrer Website, dabei, “ihre Empfehlungen zu überarbeiten.” Meiner Meinung nach sollten Männer im Alter von 40 die Möglichkeit haben, von ihrem Arzt mehr über den Test zu erfahren, sodass sie die Chance haben, sich testen zu lassen. Danach kann der informierter Patient eine verantwortliche Entscheidungen darüber treffen, wie er weiter vorgehen möchte.

Ich schätze mich glücklich, dass ich einen Arzt hatte, der mir diese Möglichkeiten gegeben hat. Nachdem ich mich dafür entschieden hatte, den Test zu machen, hat er mich an Ärzte überwiesen, die in Exzellenz-Zentren auf diesem Gebiet arbeiten, um die nächsten Schritte zu bestimmen. Das ist eine komplizierte Angelegenheit, aber hier tut sich gerade viel. In einer unperfekten Welt, ist der beste Weg, um gegen den am leichtesten zu behandelnden und trotzdem tödlichsten Krebs vorzugehen, ihn früh zu erkennen.

HILFREICHE LINKS ZUM THEMA PROSTATAKREBS:

Dr. Edward M. Schaeffer

Northwestern Medicine: Prostate Cancer

Prostate Cancer Foundation

MEHR ZUM THEMA PSA-TESTS

American Urological Association’s Guidelines on Prostate Cancer Screening ( Leitlinien zum Prostatakrebs-Screening)

American Cancer Society on Prostate Cancer Screening

The Melbourne Consensus Statement on Prostate Cancer Screening

FINDE EXPERTEN IN DEINER NÄHE

Das amerikanische National Cancer Inst hat eine Liste mit Krebszentren in den USA.

MEHR ZU PROSTATAKREBS

Dr. Patrick Walsh’s Guide to Surviving Prostate Cancer

Anmerkung der Übersetzung:

LINKS IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM:

Informationen des Deutsches Krebsforschungszentrums zu Prostatakrebs

Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe e.V

Dieser Artikel erschien auch auf Französisch, Spanisch und Italienisch.

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