Ein kurzes Intermezzo: Social Media Manager sterben ab 2016 wieder aus

Der Beruf des Social Media Managers ist wahrlich keiner der klassischen Berufe, die durch fehlende Nachfrage sterben sollten. Trotzdem braucht man sie bald nicht mehr. Ein Ausblick.

Michael Reinicke
6 min readJan 5, 2016

Wenn man verstehen will, wie rasant die technologischen Entwicklungen in der Wirtschaft, vor allem aber in der Kommunikation voranschreiten, dient der Blick auf das Jobprofil des Social Media Managers. Vor gar nicht so langer Zeit wurde dieser Beruf aus der Taufe erhoben, um die “neuen Medien” und das veränderte Kommunikationsverhalten ihrer Nutzer besser zu verstehen und für Marken nutzbar machen zu können. Ein wichtiger Job, der vor allem für Quereinsteiger und unerfahrene Absolventen interessant war, wenn die Ignoranz eines Geschäftsführers nicht dafür sorgte, dass der Praktikant Facebook “nebenbei” zu betreuen hatte. Mittlerweile hat sich die Kunde der Wichtigkeit von professionell betreuten Social Media-Kanälen auch bis in die letzte Ecke des Landes verbreitet und es werden immer noch viele Stellen für Social Media Manager in Unternehmen und Agenturen geschaffen.

“Social Media Manager sind nicht mehr zeitgemäß.”

2016 könnte also ein gutes Jahr für mich und alle anderen Social Media Manager werden, wenn da nicht die Veränderungsgeschwindigkeit des Internets und der mit ihm arbeitenden Menschen wäre. Denn bevor es in der deutschen Hochschullandschaft Angebote für diesen Bereich der digitalen Kommunikation überhaupt flächendeckend gibt, ist der Beruf schon wieder mehr oder weniger überflüssig. Bevor jetzt jeder in dem Bereich tätige nervös wird: nur der Titel ist nicht mehr zeitgemäß — nicht die Fähigkeiten, die er voraussetzt.

Spezialisierung und Perspektivwechsel

“Für diejenigen, die all die Anforderungen an einen Social Media Manager kennen, wirkt die Jobbezeichnung schlichtweg inadäquat.”

Schon früh hat sich gezeigt, dass ein Social Media Manager eigentlich die eierlegende Wollmilchsau ist.

Das liegt einerseits an den äußerst diversen und spezifischen Anforderungen rund um Community Management, Beratung in Performance- und Brandingthemen und Ads Management — eine Person kann die gesamte Bandbreite kaum noch hinsichtlich des Wissens abdecken und gleichzeitig auch operativ umsetzen, geschweige denn höchsten Ansprüchen an die Qualität gerecht werden. Dazu kommt, dass Facebook nicht mehr das Allheilmittel bei den Social Media-Aktivitäten ist, sondern mit Instagram, Pinterest, Twitter, Xing und Snapchat nach und nach weitere Big Player auf den Markt mit der Aufmerksamkeit gekommen sind. Allesamt mit verschiedenen Mechanismen, Nutzungsweisen und Anforderungen an die Inhalte. Und wenn zusätzlich noch die Verwaltung und Bespielung des (Corporate) Blogs dazukommt, wirkt ein Jobtitel für alle Maßnahmen all dieser Kanäle seltsam unrealistisch.

In großen online-orientierten Unternehmen und Agenturen wurde schnell und schon vor Jahren hinsichtlich der Anforderungen gesplittet:

  • Community Manager, die einen redaktionellen oder journalistischen Background haben und die “Frontlinie” zu den Nutzern bilden.
  • Social Media Strategen, die die Distribution von Inhalten von der Markenseite betrachten und mit Unternehmenszielen abgleichen.
  • Ads Manager/Mediaplaner, die sich um den Bereich Advertising auf den Plattformen kümmern.
  • Spezialisierte, kanalbasierte Social Media Manager (z.B. für Facebook), die tief in der Plattform stecken und alle Mechanismen kennen.
  • Social Media Berater, die den Kunden aufschlauen.

Gleichzeitig wurde klar, dass Social Media-Aktivitäten im Unternehmen eigene, bisherige Prozesse vereinfachen oder kannibalisieren können. Beispiele für den zielgerichteten Austausch mit den Kunden über die sozialen Netzwerke anstatt z.B. eines Call Centers finden sich zuhauf. Auch die zunehmende Qualität von Facebook als Trafficbringer (egal ob Instant Articles oder Linkpostings) wird von Publishern geschätzt: Es gibt immer weniger eigene Plattformen und spannende alternative Monetarisierungsmöglichkeiten zu Bannerwerbung und Paywalls.

Das alles beeinflusst die Entwicklung und die Anforderungen an einen Social Media Manager erheblich, da plötzlich der Blick auf das “große Ganze” in der Online-Kommunikation eine höhere Bedeutung bekommt. Das Aufzeigen von Nutzungsmöglichkeiten gegenüber Kunden und Vorgesetzten wird immer wichtiger (was die Anforderungen an den Job extrem erhöht), während die operative Umsetzung und nachhaltige Erstellung von Inhalten immer redaktioneller abläuft. Zu diversifiziert also für einen Job und eine Person. Sie sehen, worauf ich hinaus will.

Ein weiterer Punkt ist die Fragmentierung des Marktes mit der Reichweite: Konnte man früher noch eigene Community-Reichweiten nutzen und später die “großen Publisher” problemlos um Kooperationen fragen, wird heute schon klar, dass in Zukunft Privatpersonen diejenigen sind, die Reichweite mit Authentizität verknüpfen. Influencer Relations nennt man das Ganze dann auf Neudeutsch und hat wiederum komplett andere Anforderungen, die sich eher um nachhaltige Beziehungen zu den Meinungsführern drehen als um die Produktion von Inhalten.

Warum ich das alles aufzähle? Weil all diese Teilbereiche und ein spezifisches Wissen in eben jenen momentan für Social Media Manager vorausgesetzt wird. Dieser Artikel ist ein persönlicher Schlussstrich, da es nicht mehr möglich ist, alle Bereiche in höchster Qualität zu verbinden. Dafür haben die Tage auf der Erde “leider” zu wenige Stunden.

“Irgendwann muss Social Media einfach jeder können.”

Interessant wird es, wenn man sich in klassischen Werbeagenturen umsieht: Jeder Projekt- oder Accountmanager lernt, welche spezifischen Anforderungen verschiedene Medien haben: Egal ob Print, TV, Funk oder OoH — man weiß, was man zu tun hat. Online ist das nicht der Fall. Weil die Produktion von Websites wahnsinnig langfristige (budgetintensive) Projekte bedeuten, setzt man sich damit gerne aus strategischen Markengesichtspunkten auseinander und übergibt das dann an einen in Programmierfragen bewanderten Dienstleister. Das klappt bei Social Media-Aktivitäten nicht, da das gesamte Markenführungs-, Design- und Beziehungs-Know How benötigt wird, was in der Klassik liegt, dort sich aber keiner ernsthaft mit Social Media beschäftigt. Ganz im Gegenteil: Wenn man heute ein klassisches Text-Art-Team (und meist auch Konzepter) mit Ideenentwicklung für soziale Netzwerke beauftragen würde, kann man fest davon ausgehen, dass die Mechaniken der Netzwerke nicht 100%ig bekannt sind oder zumindest in der Konzeption nicht state of the art beachtet werden. Wie auch, die Erfahrung damit, was funktioniert und was nicht, fehlt gänzlich! Währenddessen sitzen die Wollmilchsäue in einer anderen Abteilung und haben gerade keine Kapazitäten.

Das ist kein Zustand, der noch lange so sein wird: In Zukunft müssen 360°-Kampagnen wirklich aus einem Guss kommen und nicht mehr “ins Netz verlängert” werden. Das Mediennutzungsverhalten der Kreativen muss sich ändern, um gute Social Media-Kampagnen ausdenken zu können.

“Für das Recruiting in Agenturen ist die Reichweite der Mitarbeiter vielleicht schon wichtiger als die der Agentur selbst.”

Man darf keinen Social Media Manager brauchen, um gute Social Media-Aktivitäten ausdenken zu können: Das muss jeder können! Nicht en detail, nicht in der Tiefe, mit der sich heute ein Social Media Manager damit auseinandersetzen muss, aber deutlich intensiver als bisher. Agenturen, die ihre Kreativen nicht dazu anhalten, auf sozialen Netzwerken herumzuturnen, gehen fahrlässig mit der eigenen Optionalität in diesem Bereich um. Erst recht, wenn in nicht allzu ferner Zukunft die eigenen Reichweiten der Agenturmitarbeiter für das Recruiting wichtiger werden, als die Reichweite der Agentur selbst. Wenn es nicht sogar schon so ist. Ein “Social Media Specialist” schadet dabei dann trotzdem nicht.

Content killed the Social Media Star

Wieso aber kann ich einerseits in diesem Text Loblieder auf Social Media Manager verstecken und ihnen gleichzeitig den Tod erklären?

Es gibt zwei einfache Begründungen: Die erste ist die am menschlichen Leistungsvermögen orientierte — niemand kann alle Kanäle zu höchster Qualität gleichzitig redaktionell, strategisch und operativ betreuen. Das geht nicht.
Die zweite Begründung ist eine prozessuale. Mittlerweile blühen einzelne Spezialisierungen bereits wieder dort auf, von wo Leute früher kamen: Es ist selbstverständlich, dass ein PR-Manager auch operatives Social Media kann. Ein Online-Redakteur kann auch für Facebook schreiben. Kreative müssen sich zwangsläufig mit Sharing-Mechaniken auseinandersetzen. Und Digitale Berater müssen auch wissen, was man auf den Netzwerken so machen kann.

“Es lebe der Social Media Specialist!”

Im Endeffekt sind die sozialen Netzwerke Distributionskanäle für Unternehmensinhalte. Der springende Punkt liegt wieder im großen Ganzen: Content Marketing ist heute hip, diverse Kampagnen belegen, dass es die nachhaltigste und (neben advertising as a service) am wenigsten mit Werbung verwandte Kommunikationsgattung ist. Das mögen die User. Dazu kommt, dass der Arbeitsprozess bei seriösem Content Marketing vom Inhalt oder vom Thema ausgeht und danach die Kanalauswahl getroffen wird — im Gegensatz zu bisher, wo sich die Inhalte mehr am Kanal orientiert haben und man lieber “irgendetwas für Facebook/Instagram/Pinterest” gemacht hat, als sich am Inhalt auszurichten und diesen für jeden Kanal passend aufzubereiten.

Wenn man Content Marketing macht, muss man die sozialen Medien als fundamentalen Bestandteil einfach können. Dafür kann man dann Spezialisten haben, die die Kanäle in- und auswendig kennen — vielmehr ein “Social Media Specialist” als ein Social Media Manager. Man kann auch dafür sorgen, dass jeder Mitarbeiter über genügend Fachwissen im Bereich verfügt. Wie man’s macht ist es dann schon fast egal. Nur nicht mit einem Social Media Manager.

In Zukunft muss jeder der Betroffenen sehen, in welche Richtung es geht. Möchte man der Spezialist sein, der übergreifendes Fachwissen mitbringt und beraten kann? Oder liebt man den Job aufgrund der redaktionellen Herausforderungen? Möchte man sich mit der Community beschäftigen oder Ads schalten? Will ich Influencer betreuen und Beziehungen knüpfen? Die Antworten auf diese Fragen führen zum neuen Jobprofil eines aussterbenden Berufs. Und wer weiß schon, was 2016 noch alles in der Branche passiert.

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