Ein Traum in Rund - das Leben in einer Jurte

Nadine Carolin
4 min readAug 9, 2015

von Nadine Carolin Wahl

Es ist früher Morgen, als ich vom Zwitschern der Vögel erwache. Draußen streicht der Wind sanft um die Rundungen unserer Behausung. Es ist kühl. Aber die Kühle erfrischt. Und im Bett ist es ohnehin noch kuschelig warm.

Einen kleinen Moment lang genieße ich noch die Friedlichkeit des Augenblicks. Lausche allen Geräuschen, um mich herum. Den Vögeln, dem Wind, dem ruhigen Atem neben mir.

Dann ziehe ich mir den warmen Pullover über, der neben meiner Seite des Bettes liegt, und traue mich schließlich aus der Wärme heraus zu steigen.

Ganz leise und vorsichtig schleiche ich zum Ofen in der Mitte unseres Heims und beginne, meine übliche Pyramide zum Feuer machen zu bauen. Alles liegt griffbereit.

Auch wenn ich mich langsam an die kühlere Temperatur gewöhne, freue ich mich schon auf die Wärme, die unser Ofen gleich verbreiten wird. Auf sein vertrautes Knistern und den herrlichen Geruch des Feuers.

Dann der magische Moment, wenn mein Feuerstahl mit seinen Funken auf dem Papier die ersten Flammen erzeugt… es knistert… das Feuer wächst und ich lege immer größere Stücke nach.

Noch immer kommen aus Richtung des Bettes ruhige Schlummergeräusche.

„Na der wird sich freuen über das vorgeheizte Zelt!“ denke ich, und als besagtes Feuer schließlich groß genug ist, um es für eine Weile sich selbst zu überlassen, schlüpfe ich in meine Schuhe und verschwinde nach draußen.

Hier ist es nicht viel kälter, als es bis eben noch drinnen war.

Für einen Moment bleibe ich vor der Tür stehen, sehe mich um, schließe die Augen, atme tief ein. Und lausche nochmal den Geräuschen von den Wiesen und Wäldern her. Wie verschwindend gering doch der Unterschied zwischen außen und innen ist. Und trotzdem fühlen wir uns sicher und geborgen in unserer Hülle aus Holz, Filz und Hightech-Goretex-Plane.

Die Sonne spickelt gerade so über den Horizont hinüber. Tau liegt auf den Wiesen. In der Ferne meine ich einige Rehe zu sehen, aber so ohne Brille bin ich mir nicht sicher.

Schließlich stapfe ich durch das nasse Gras in Richtung unserer Komposttoilette am Waldrand. Diesen Weg finde ich inzwischen selbst bei tiefster Dunkelheit und im Halbschlaf.

Wer so lebt wie wir, gewöhnt sich an so einiges. Man plant anders. Man lernt alte, fast vergessene Üblichkeiten wie die Schlafmütze zu schätzen.

Ob wir das Bad und die Toilette unserer früheren Wohnung vermissen?

Ein klares Nein.

Für uns haben diese Räume noch nie eine große Bedeutung gehabt. Als wir zum ersten Mal zusammen auf der Suche nach einer Wohnung waren, haben wir uns schon über die unverhältnismäßig riesigen Bäder amüsiert, die uns auch noch als besonders tolles Feature der Wohnungen verkauft werden sollten.

Damals waren wir noch Meilen entfernt von unserem Leben von heute.

Jetzt sind der Wald und der Fluss unser „Badezimmer“, unsere Rückzugsorte, unser Kühlschrank, unsere Apotheke und noch einiges mehr.

Von der Komposttoilette aus gehe ich einige Schritte weiter zum Fluss, der sich sanft aber zügig durch den Wald schlängelt.

Ich ziehe meine Schuhe aus, kremple die Hosenbeine nach oben und steige ins kalte Nass. Es kribbelt in den Beinen. So gehe ich ein paar Schritte, strecke schließlich meine Hände ins Wasser und klatsche mir die erste, große Portion davon ins Gesicht.

Herrlich! Jetzt bin ich endgültig wach!

Nach einer kleinen Katzenwäsche spaziere ich schließlich schuhlos zurück zu unserer Jurte, unserem Feuerzelt — unserem Traum in Rund.

Inzwischen ist auch mein Jurtenmitbewohner wach und schaut gerade zur Tür heraus.

Während ich mich nochmal für eine Weile nach drinnen auf unser Sofa kuschele, um für einen Moment zu meditieren und ein wenig zu lesen, macht auch er sich auf zu seiner eigenen Morgenroutine.

Da wir beide selbständig sind und zudem noch mit Garten und einigen Tieren teilselbstversorgerisch leben, gleicht kein Tag dem anderen.

Schon lange sind wir der früheren morgendlichen Hektik entkommen und beginnen unsere Tage ruhig, zuerst jeder für sich, und dann mit einem gemeinsamen Frühstück, meistens auf der kleinen Terrasse vor unserer Hütte.

Von Anfang an teilten wir beide unsere Faszination für das einfache und naturnahe Leben im Zelt. Dass wir irgendwann einmal dauerhaft so leben würden, hatten wir uns lange nicht ausgemalt.

Und trotzdem fühlt es sich so natürlich, so richtig an.

Nur… noch ist es nicht so weit.

Noch ist alles nur ein schöner Traum in Rund.

Noch leben wir in den üblichen steinernen Ecken und malen uns in bunten Farben aus, wie es einmal sein könnte. Wenn wir dann unser eigenes Feuerzelt gebaut haben. Wenn wir für uns und unser kleines Heim einen passenden Platz gefunden haben.

Und wenn wir dann wirklich am Morgen vom Wind und den Vögeln geweckt werden.

Veröffentlicht auf de.nadinecarolin.com am 10.07. 2015.

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Nadine Carolin

Awkward, anxious, idealistic — and often found wandering in the woods with 1 to 4 cats. || Wild craft, wild food, wild life: wildekultur.net (EN / DE)