FeminisMus(s), oder: Not Smiling Enough?

Brigitta Buzinszki
5 min readOct 7, 2016

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Über die tatsächliche Bedeutung des Feminismus kursieren zahlreiche Mythen. Man munkelt er sei ein erbarmungsloser Gegner, eine gefährliche Kraft, die Männer in Ketten legt, um Frauen an die Weltspitze zu setzen.
Anstatt sich jedoch auf Erzählungen zu stützen, ziehe ich die deutliche Definition eines Wörterbuchs vor:

feminism, NOUN, The advocacy of women’s rights on the ground of the equality of the sexes — Oxford dictionary

So unspektakulär es sich im Vergleich zu den Mythen auch liest, bedeutet Feminismus nicht mehr, als den Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Damit geschieht den Männern selbst nichts; die Kraft der Bewegung zerlegt höchtens mit der Zeit das Patriarchat — was überraschend viele in eine aggressive Deffensive treibt.
Warum sich aber vor einer gerechten Gesellschaftsform fürchten? Warum sollte Gleichheit auf jeglicher Ebene jemals ein Problem sein?
Schließlich geht es hier um all die Töchter und Schwestern, die mit ihren Kompetenzen glänzen und ihr volles Potential ausschöpfen könnten, wäre die Ebenbürdigkeit bloß präsent.

http://www.genderandeducation.com/issues/feminist-pedagogy/

Meine Mutter warf in klassischer Rollenverteilung den Haushalt. Sie wischt, wäscht, kocht, putzt, verräumt und ordnet auch heute noch alles, was ihr in die Hände kommt, spielt private Seelsorge für die komplette Familie und arbeitet, wie mein Vater, als Lehrer in Vollzeit.
Mein Vater reicht Beschwerden ein, achtet auf den Geldfluss, das Auto, stapelt Holz, flickt und streicht, mäht und dreht und informiert sich über Gesellschaft sowie Politik.
Ohne Frage stellt jede dieser Aufgaben ein wichtiges Zahnrad in der großen Maschinerie unseres Haushaltes dar; was mir lediglich stets fehlte, war die Fluidität. Nie sah ich meinen Vater am Herd stehen und noch seltener die Wäsche sortieren, waschen oder aufhängen. Das seien weibliche Aufgaben. Und das sieht der Rest Deutschlands ebenso; auf 163,9 Minuten Hausarbeit der Frau, kommen in 2016 im Durchschnitt 89,9 Minuten Hausarbeit des Mannes. In anderen Ländern gehen die Werte noch weiter auseinander, mit Indien und Japan als Spitzeneiter, was in Anbetracht ihrer Genderpolitik verständlich ist. Die gesetzten Aufgaben sind folglich heute ebenfalls die Regel, nicht die Ausnahme.

Weil in meinen Augen jedoch Aufgaben keinem Geschlecht zugeordnet werden können, gab ich mich mit dieser Antwort nicht zufrieden — vor allem dann nicht, wenn das Festhalten an strengen Ideen für mich einen Nachteil bedeuten sollte. Deswegen bin ich Feministin.

Weil du ein Mädchen bist

— das Argument gegen nächtliche Ausflüge, zu viel Alkohol, weiten Hosen, das Interesse an Sport, Politik und lauten Debatten. Während mein vier Jahre jüngerer Bruder mit sechzehn trank, rauchte und von Zuhause ausblieb, wurde ich bis zu meinem Auszug von Daheim mit Fragen bombardiert, sobald ich nach Mitternacht, ganz nüchtern und gesund, auf Zehenspitzen über die Haustürschwelle schlich.
Mädchen bereits in jungen Jahren zu vermitteln sie seien anders, ist ein gut gemeinter, jedoch unfeiner Akt. Im Vorgang, sie nach den Erwartungen der Gesellschaft zu formen, werden sie für eine Rolle der Nachgiebigkeit prädestiniert.
Das führt zu Zahlen wie 6,3% (Frauenanteil in den Vorständen der Top 200 Unternehmen Deutschlands) und 22% (Frauenanteil in der Professorenschaft in Deutschland).
Frauen halten sich durch die anerzogenen Rollen auch in Gehaltsverhandlungen zurück, wobei sie mit einem Nachteil von 21% (Gender Pay Gap in 2016) die Gespräche um eine Gehaltserhöhung beginnen.
Das bedeutet gesonderte Überzeugungskraft, Energie wie Aufwand, um für 100% Arbeit mehr als 79% Lohn zu erhalten.

http://ec.europa.eu/justice/gender-equality/gender-pay-gap/index_de.htm

Es gibt heute noch ein festgesetztes Bild der Frau, welches sie warm und mitfühlend darstellt. Sie nehme sich anderer Probleme an, lächle viel, sei höflich und nett. Sobald Frauen von diesem Bild abweichen, gelten sie als harsch, wirsch, burschikos oder kalt und unzugänglich.
Drehen wir den Spieß nun einmal um und hängen dabei einem Mann, der durchzugreifen weiß, einige Artikel an, glänzen Ausdrücke wie
kompetent, selbstbewusst, hart aber fair; ein Herr mit Führungsqualitäten.

Dieses Phänomen kann zur Zeit in den amerikanischen Medien bezüglich der Präsidentschaftskampagne wieder gut beobachtet werden. Ich möchte aus dem großen Pool an Angeboten nur zwei Beispiele aufgreifen:
Hillary Clinton leistet sich gegen Trump die Wochen den Endkampf, um eventuell die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden. Derweil hieß eine Schlagzeile der NewYorkTimes vom 8. September: “Not Smiling Enough?” .
Es war ein Bericht über den ominösen Tweet von Reince Priebus, dem Vorsitzenden des republikanischen Nationalkomitees, bezüglich des Auftrittes der demokratischen Clinton auf einer Kampagne am Vortag:

Die passende Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Man kann nun Frau Clinton mögen oder nicht; das sei nicht die Frage, die zur Debatte steht. Es geht viel mehr darum, ob einem Mann ein anderer Mann, in demselben Kontext, ebenfalls vorgeworfen hätte, zu grimmig und ernst dreinzuschauen.
Der erwähnte Versuch war nicht der Erste, seitens der Opposition Cliton auf ihr Aussehen zu beschränken. Trump äußerte offen, seine Gegnerin habe nicht das passende Aussehen, oder auch “pesidential look”, um Kopf der USA zu werden. Es sei an dieser Stelle gesagt, dass Trumps sämltiche Aussagen frei in die Tonne getreten gehören, interessant ist dennoch, dass er wieder lediglich das Aussehen einer Frau angreift.
Er korrigierte sich am 26. September in der ersten offiziellen Fernsehdebatte mit dem Ausdruck “stamina”.
Die Behauptung Clintons Alter hege irgendwelche Nachteile, lässt sich mit etwas Geschichte kontern.
W.H.Harrison, James Buchanan und auch der ältere Busch waren allesamt Mitte Sechzig, als sie ihre Amtszeit antraten; Ronald Reagan war 69 Jahre und damit genau so alt wie Clinton es zu einem eventuellen Amtsantritt wäre.
Es gab also keine logischen Gründe das Äußere Clintons oder ihr Alter in ein Argument gegen ihre Kompetenz zu formen, weshalb die Annahme bleibt, dass diese zwei Dinge das Erste sind, worauf ein Mann bei der Einschätzung einer Frau achtet.

Intellekt, Motivation und Qualifikation sollten die einzigen Punkte sein, die beim Ermessen des geeigneten Kandidaten für einen Job ins Gewicht fallen, ganz gleich ob dieser Kandidat ein Mann oder eine Frau ist.
Solange sich der Sexismus — in beide Richtungen fortzieht, brauchen wir im Alltag einen feministischen Ansatz, um Normen zu brechen und Grenzen zu verwischen.

Feminismus betrifft uns alle

Daher möchte ich mich an die Väter, Brüder, Söhne und Ehemänner richten; an Lehrer, Nachbarn, Bekannte und Fremde. Es geht um die Frauen eurer Umgebung, um Mütter, Freundinnen und auch die nette Verkäuferin aus der Trafik.
Es geht darum euren Töchtern eine Welt zu schaffen in der sie nicht um jeden Cent kämpfen müssen, der ihnen zusteht. Es geht um ihre Rechte; dass sie frei ihre Meinung äußern oder ein Land führen können — obwohl sie nicht gerne lächeln. Feminismus schränkt die Welt der Männer nicht ein, sie bereichert sie. Auflösung der Geschlechterrollen bedeutet eine Fluidität in beide Richtungen, damit Hausmänner ebenso natürlich werden, wie Karrieredamen, die nach einem Tag im Vollzeitjob fragen:
“Liebling, was hast du gekocht?”

Der Begriff bedeutet Offenheit neuen Strukturen gegenüber, bringt frischen Wind in Form der femininen Sicht und zerstört damit die Festgefahrenheit auf männliche Autorität in der Wirtschaft, Gesellschaft sowie der Politik.
Er ist keine Waffe gegen die Männer dieser Welt, er soll nicht besiegen, einschränken oder verkleinern, sondern zu der allgemeinen Freiheit beitragen zu sein, wer man sein möchte — ohne Entschuldigung, ohne Vorbehalte.

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Brigitta Buzinszki

Lehrerin und Mutter // meine Meinung meist mit Humor verfeinert // Writes occasionally in English about Germany, Hungary and Brazil