LeFloid für die Generation YouTube #netzfragtmerkel

Daniel Seitz
7 min readJul 15, 2015

Viel wurde die letzten beiden Tage über das Aufeinandertreffen der Generationen und auch das Aufeinandertreffen verschiedener Mediensozialisationen geschrieben.

Dabei wird die Situation meist sehr simpel inszeniert: LeFloid als Vertreter der Jugend oder LeFloid als Vertreter der Generation YouTube trifft auf “die mächtigste Frau der Welt”. Mich interessiert als Medienpädagoge dabei vor allem der Blick auf LeFloid, der fälschlicherweise nicht nur als der Vertreter der Jugend inszeniert wird, sondern meist selbst auch als Jugendlicher. Das trifft für einen 27-Jährigen mit fast abgeschlossenem Psychologie-Studium nur noch bedingt zu — und wird ihm als erwachsenen Mann mit Haltung nicht gerecht, in manchen Artikeln wird es ihm damit sogar zu einfach gemacht.

Von Anfang an: LeFloid bekommt ein Interview mit Angela Merkel im Rahmen des Bürgerdialogs “Gut leben in Deutschland”. Die Richtung ist völlig klar, nicht LeFloid wollte ein Interview mit der Kanzlerin — die Kanzlerin hat bei LeFloid ein Interview angefragt. Das impliziert eine ganz gute Position für LeFloid, der a) die Entscheidung treffen kann, dieses Interview zu führen und b) unter welchen Bedingungen.

Ziele und Grundvereinbarungen

Es gab relativ viele Befürchtungen/Vorwürfe im Vorfeld, die Bundesregierung würde die Fragen bestimmen. Marie Meimberg, Managerin von LeFloid hat das klar verneint, Marie genießt mein Vertrauen, damit ist (für mich) das Thema klar, LeFloid konnte alle Inhalte — im Vorfeld und danach — selbst bestimmen.

Das war sicherlich ein zentraler Punkt, um sich auf das ganze einzulassen, was könnten weitere gewesen sein?

  • Community-Einbindung
  • eigenes Format und Verbreitung, Gestaltungsfreiraum
  • das Kernziel — junge Menschen für politische Inhalte begeistern
  • eigenen “Markt-Wert” steigern

Die Community-Einbindung ist gelungen, mit der Aktivität der angestrebten Zielgruppe auf #netzfragtmerkel kann man sicherlich mehr als zufrieden sein.

Die Frage nach dem Format

Quellen im Bild, Montage Daniel Seitz

In Sachen eigenes Format ist die große Frage, warum sich LeFloid in ein sehr typisch journalistisches Setting zwängen lassen hat, das kaum weiter vom eigenen Stil entfernt sein könnte. Sollte es staatstragend wirken? Sollte es an typische journalistische Formate erinnern? Gab es überhaupt Diskussion über das Setting oder war es von der Bundesregierung einfach festgelegt? Ganz sicher hat sich Florian Mundt aka. LeFloid keinen Gefallen damit getan — die zahlreichen Kommentare des (politischen) Journalismus sprechen Bände:

“Oh, was für eine Abreibung! Das muss weh getan haben. Beim Zusehen tat es das jedenfalls. Das Neue hat dem Alten definitiv nicht gezeigt, wie der Hase läuft. Das Alte hat den Hasen einfach geschlachtet, genüsslich gehäutet und entspannt verspeist.”, Stern: LeFloid scheitert an LaMerkel

deutlich fairere Töne findet Richard Gutjahr in einem Video-Kommentar:

“LeFloid hat sich ein Millionenpublikum aus eigener Kraft erarbeitet, mit politischen Themen — davor zieht Richard Gutjahr seinen Hut. Aber LeFloid ist kein Journalist — und so war das Youtube-Interview dann auch vor allem eines: Ein Heimspiel für die Kanzlerin.”, Video-Kommentar

Der Tenor bleibt fast überall gleich: Als Journalist hat LeFloid versagt.
Doch distanziert sich LeFloid sehr klar von einem Bild “Journalist”, das von ihm gezeichnet wird. Bei einer Reichweite von 1–2 Millionen Menschen mit zahlreichen Videos und jemand, der sich selbst zutraut, die Kanzlerin zu interviewen, muss aber der Vergleich erlaubt sein. Er macht nunmal journalistisch anmutende Videos, die regelmässig politische Inhalte einordnen. Auch ist für Jugendliche das Format nicht klar abgrenzbar als Nicht-Journalistisches Format zu erkennen — und wird eben als “Ersatz” klassischer Nachrichten-Formate konsumiert.

LeNews ist ein Boulevard-Format

Im Zweifelsfall ist LeNews aber Boulevard und nicht seriöser Journalismus, wie z.B. hier vom Bildblog/Stefan Niggemeier aufgezeigt wurde:

Über eine Million Mal wurde das Video schon angeklickt. Zum Vergleich: Das ist so viel wie die verkauften Auflagen der „Bravo“, der „FAZ“, der „taz“, des „Handelsblatts“, des „Hamburger Abendblatts“, des „Tagesspiegels“ und der „Welt“ zusammen. Damit hat LeFloid unter jungen Menschen eine Reichweite und Meinungsmacht wie kaum ein Journalist, und es ist sehr löblich, dass er das nutzt, um seine Zuschauer auch an komplexe politische Themen ranzuführen, sie zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen. Aber das macht es auch so gefährlich, wenn er solchen Unfug in die Welt setzt. — Bildblog

LeFloid reagiert mit einer Richtigstellung auf Facebook:

[…]Leider handelt es sich dabei trotzdem um einen Hoax, den ich nicht kannte und bei so vielen Referenzen auch nicht sofort als solchen erkannte.

Also habe ich mich fälschlicher Weise darüber lustig gemacht.

Ich bin in erster Linie Videoblogger und habe keine Redaktion, oder Leute, die gegenchecken können. Außerdm entseht so ein Video an nur einem kompletten Tag in Stunden Arbeit, trotzdem hätte ich so einen Fauxpas gerne vermieden und ärgere mich darüber.[…]

Das Video selbst blieb unverändert (in Kommentar und Video-Beschreibung gibt es Hinweise, doch werden diese sehr häufig nicht gelesen), also verbreitete er weiterhin die Falsch-Information. Auch zog er keine (bekannte) Konsequenz aus diesem Vorfall — wer (vorsichtig geschätzt) gut über 10.000€ mit einem YouTube-Channel verdient, könnte locker eine Vollzeit-Stelle für Recherchen einstellen, das ändert nichts an der wichtigen Authentizität, das ändert nichts an der Verbindung zur Community, erhöht die Qualität aber deutlich und würde klarer machen, das LeFloid die Verantwortung, die mit einer solchen Reichweite nunmal einher geht, ernst nimmt. Leider ist davon nichts zu sehen bei Florian Mundt und damit bleibt es — bei allem Respekt für das, was er erreicht hat - Boulevard.

Das ist erstmal nicht schlimm — wenn man das aber geklärt hat, ist die Erwartungshaltung an ihn eine andere. Und man kann sich zahlreiche enttäuschte Kommentare schenken.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=JD-0Ec76J60

Die Frage, warum sich LeFloid in ein Format zwängen lassen hat, das nicht seines ist, bleibt aber bestehen. Weder die Umgebung hat gepasst, noch konnte man einen LeFloid erleben, wie man ihn kennt. Ein politisches Interview wurde imitiert — und, auch abzüglich erlaubter Nervosität bei einem Spektakel dieser Größenordnung, leider zahnlos umgesetzt.

Bei diesem Video steht nunmal @LeFloid drauf, ist aber kein LeFloid drin.

#LeFloidArmy — was sagt die Community?

Was sagt denn die Community — denn letztlich wird diese die (einzig) relevante Gruppe für LeFloid sein — zu dem Interview?
Das Spektrum der Antworten ist riesig und selbst eine Tendenz zusammen zu fassen, sehr schwierig — die Zahlen sind sehr positiv, binnen 2 Tagen ist das Video unter den Top10 aller Videos von LeFloid, die “Daumen hoch” liegen bei 8%, wo sie sonst häufig bei 2–3% liegen.

Aus der Community lassen sich zahlreiche Kommentare wie diesen hier fischen:

Nachgefragt bei Mandy, 19 Jahre, warum sie das Interview gut fand bzw. was sich ausgebildete Journalisten abschauen können:

Das sind durchaus wichtige Punkte, die Mandy anspricht — ich würde dennoch behaupten, das vor allem das letzte Statement das entscheidende ist. Merkel hat sich nicht besonders auf LeFloid und seine Zielgruppe eingelassen, insofern hat LeFloid zum zweiten Punkt (“gut verständlich”) nicht viel beigetragen. “Rumgeschwänzelt” hat LeFloid auch bzw. meistens nichtmal das — wenn also “rumschwänzeln” Unklarheit in der Kommunikation oder Haltung meint, hat LeFloid durch das einfache Abarbeiten von Fragen ohne Nachhaken und Diskussion noch weniger geleistet, als ein “rumschwänzeln”. Aber auch das bekommt man kaum verglichen, wenn man sonst nicht/kaum von politischen Talks und Interviews angesprochen wird (und die Aufgabe sehe ich durchaus beim professionellen Journalismus, nicht als Vorwurf an Heranwachsende).

Der entscheidende Punkt, den Mandy anspricht, ist die Community-Einbindung, das “mitmachen” bei Politik — das ist es, was LeFloid erfolgreich macht und das ist es, was die meisten Journalisten nach wie vor nicht verstanden haben. Also nichtmal verstanden haben, danach käme ja dann auch noch das “verstanden haben, wie man das umsetzt”.

LeFloid dürfte mit seiner Aktion zufrieden sein, denn sein Kernziel — junge Menschen für politische Inhalte zu begeistern, scheint er mit der Aktion erreicht zu haben.

Wer instrumentalisiert wen?

http://socialblade.com/youtube/user/lefloid/monthly

Auch den eigenen “Markt-Wert” steigern hat ganz gut geklappt — LeFloid war wirklich auf allen Kanälen, hat viel Anerkennung in #YouTubeDeutschland erfahren und fand auf allen Kanälen, traditionell als auch in seiner peer-group, statt. Die Kanal-Abos in der Grafik oben zeigen auch ganz deutlich das aktuelle Wachstum.

Je nach Perspektive hat LeFloid also viel richtig, aber auch viel falsch gemacht — und eine Betrachtung im Nachgang ist immer leicht(er).
Aus falsch verstandener Solidarität keine Kritik zu üben, bringt die Themenfelder politische Bildung mit Webvideo, Journalismus und Social Media aber nicht weiter, deswegen: was hätte LeFloid anders machen können?

  • eine Absage des Interviews aus diversen Gründen — insbesondere “Das ist mir (noch) zu groß” und “ich laß mich nicht instrumentalisieren” — wäre eine Option gewesen und hätte durchaus Größe bewiesen
  • eine Besinnung auf die eigenen Stärken und das eigene Format wären authentischer und ehrlicher gewesen — und dank der Ausgangsposition als Angefragter auch durchaus eine Option gewesen (wenn nicht, hätte er alarmiert durch diese Signale immer noch absagen können)
  • wenn er eh schon das eigene Format verlässt, warum dann nicht gleich richtig — und z.B. weitere YouTuber zur Unterstützung dazu zu holen?Das er weder rethorisch noch inhaltlich Angela Merkel als Politik-Profi gewachsen ist, darauf kann ein durchaus cleverer LeFloid auch im Vorfeld kommen

Alles in allem zeigt die riesige Diskussion vor allem eines: Politische Themen/Bildung/Journalismus und Webvideo sind noch ganz am Anfang — all diese Ansprüche daran, kann allein ein LeFloid nicht erfüllen. Hat er auch nie versprochen.

Wird Zeit, das es noch viel, viel mehr davon gibt. Dabei zeichnen sich zahlreiche Formate am YouTube-Himmel ab. Los gehts.

@sondala

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Daniel Seitz

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