Links und Senf #1

Thomas Pleil
7 min readSep 25, 2016

Die Sommerpause hat mir Schwung genommen. Viel zu lange ist es hier, seit ich die letzten Lesetipps veröffentlicht habe. Jetzt, da die Abende kühl werden, ist vielleicht ein guter Moment für einen neuen Anlauf. Ich taufe ihn mal: „Links und Senf“ — denn wie bisher möchte ich Links teilen, die für mich in letzter Zeit wertvoll waren. Und ab und zu gebe ich meinen Senf zu Themen, die mich beschäftigten. Keine Sorge, zu allem gebe ich nicht meinen Senf dazu — wen interessiert das schon? — aber gelegentlich könnte es thematisch über Marketing, PR und Onlinekommunikation ein wenig hinaus gehen.

Tja, das Bloggen. Eine schöne Sache. Klaus Eck hat dieser Tage ausführlich beschrieben, warum er’s tut. Für ihn als Unternehmer in der Kommunikationsbranche ist das natürlich besonders naheliegend, wobei die Eigen-PR nicht das einzige Argument ist. Ich empfinde es ganz ähnlich, wenn er schreibt:

„Mir ist eine große Freude, meine Gedanken freizulassen und Ideen in der Schriftform zu entfalten. Wenn ich dabei neue Ideen ausfindig mache und meine Synapsen neu verdrahten konnte, ist jeder Blogartikel es mir Wert publiziert zu werden. Die Arbeit besteht gar nicht im Schreiben selbst, viel bedeutender sind das Denken und die Recherche für einen Beitrag.“

So, nun aber los. Worüber bin ich in den letzten Tagen gestolpert bzw. wo hängen geblieben? Das politische Klima ist sicher seit langem ein Thema, dem man sich nicht entziehen kann. Diese Woche wurde in Berlin die Aktion „365 Tage für die offene Gesellschaft“ vorgestellt. Die politische Bürgerbewegung will bis zur Bundestagswahl mit vielen Aktionen Demokratie und Offenheit in der Gesellschaft sichern. Mit dabei sind laut eigener Aussage 500 Persönlichkeiten und Institutionen, hauptsächlich aus der Kultur. Bisher schon hat ein Kreis um den Sozialpsychologen Harald Welzer 50 Townhall-Meetings organisiert, auf denen über gesellschaftliche Werte und die Wahrnehmung des aktuellen Klimas diskutiert wurden. Weitere Aktionen für eine offene Gesellschaft sollen unterstützt werden — wer dazu eine Idee hat, kann sich beraten lassen und sich um eine Förderung aus einem Fonds der Robert Bosch-Stiftung bewerben.

Mir scheinen solche Initiativen dringend nötig — werden doch schon einzelne Bundestagsabgeordnete, die als Repräsentanten des Volkes gewählt sind, zu rassistischen Pöblern und machen das Feindselige und Gestrige mit allerlei bescheuerten Statements und Nazijargon alltäglich. Apropos alltäglich: Viel Aufmerksamkeit hat zu Recht die Berliner CDU-Abgeordnete Jenna Behrends für einen offenen Brief erhalten, in dem sie den Sexismus in der Politik thematisiert und eine wichtige Diskussion in Gang gebracht hat.

Wenn wir über den Schutz der Demokratie schon sprechen, ist es umso wichtiger, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen — Verhaltensweisen, die sich gegen Personen(gruppen) wenden genauso wie Dinge, die zwar alle Bürger betreffen, aber diese nicht wissen sollen. So wie den Bericht der Datenschutzbeauftragten zu den nach ihrer Einschätzung illegalen Praktiken des BND, den netzpolitik Anfang des Monats öffentlich gemacht hatte. Lesenswert in diesem Zusammenhang auch ein Artikel bei vocer, der der Frage nachgeht, warum das Veröffentlichen geheim eingestufter Informationen notwendig sein kann. Die kurze Zusammenfassung, die auch aus dem ersten Semester Kommunikationswissenschaft stammen könnte: Journalismus muss unabhängig beobachten und der Gesellschaft Informationen zur Verfügung stellen, damit sich alle am Diskurs über sie selbst beteiligen können. Anders ausgedrückt: Wir müssen darüber streiten, in welcher Gesellschaft wir leben möchten.

Und welchen Journalismus wollen wir? In der NZZ diskutiert der Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren das Thema Qualität. Seine Kritik: Die Medien hätten es versäumt, hierüber zu sprechen und auch in Bezug auf Qualität ein konkretes Produktversprechen abzugeben, das dann auch beim Publikum klarere Preisvorstellungen bewirken würde. Umso härter würden nun heute Defizite sichtbar — auch durch die schwächere Rolle des Journalismus in einem Social Media-Umfeld und durch den neuen Wettbewerb um Anzeigen und Aufmerksamkeit mit Plattformen und Suchmaschinen. Jarrens Fazit:

„Die Gesellschaft wird sich weiter ausdifferenzieren und noch mobiler werden. Damit steigt der Informations- und Kommunikations-, Bewertungs- und Orientierungsbedarf kontinuierlich weiter an — eine Chance für publizistische Medien. Das Zeitalter der Massenmedien, zumal der Massenproduktion, aber ist vorbei.“

Telefónica, Google, HRS: Daten sind vielschichtig

Die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, gilt bekanntlich auch für den Umgang mit Daten. Wie wertvoll diese sind, wissen natürlich auch Mobilfunkbetreiber, die auf wahren Schätzen sitzen, wenn man die Sache ökonomisch betrachtet. Schon vor ein paar Jahren hatte Telefónica versucht, aus Daten ein Geschäft zu machen und war zunächst an Datenschützern gescheitert. Nun gibt es einen neuen Anlauf. Mobilfunkdaten — dazu gehören zum Beispiel Bewegungsdaten — sollen künftig verkauft werden und sollen Verkehrsplaner, Außenwerber oder Besitzer von Geschäften unterstützen. Versprochen wird zum einen, dass nur aggregierte Daten weitergegeben werden und diese anonymisiert seien. Zum anderen sollen willige Kunden durch Rabatte zur Großzügigkeit mit ihren Daten bewegt werden bzw. unwillige Kunden haben die Möglichkeit, auszusteigen — vorausgesetzt, sie bekommen davon überhaupt mit. Fachlich wird von vielen bezweifelt, ob eine Anonymisierung von Bewegungs- und anderen Daten im Mobilfunk überhaupt sicher funktioniert.

Dass Daten nicht nur zum direkten Verkauf gut sind, sondern das eigene Geschäftsmodell gewaltig unterstützen, wissen wir unter anderem von Facebook und Google. Der Suchmaschinengigant ist ja manchmal ein bemerkenswerter Spätaufsteher. Da wird seit ein paar Jahren über die Bedeutung von Messengern gesprochen, und nun gibt es mit Allo auch einen aus dem digitalen Such- und Werbehaus. Dass Messenger so boomen, liegt zu einem guten Teil daran, dass sich Nutzer mehr ins Private zurückziehen möchten, was konsequent gedacht auch bedeutet, dass niemanden etwas angeht, wie wir dort kommunizieren. Nun, das fand Google bis vor kurzem auch, hat kurz vor dem Launch von Allo eine Kehrtwende beschlossen. Per Default wird die Kommunikation entgegen früheren Plänen unverschlüsselt auf deren Servern gespeichert. Hat eigentlich jemals jemand geglaubt, Instant Messenging — kurz , jaja, IM — sei nur für den Moment? Grüße an Yahoo. Nein, nein, wir können Google bestimmt vertrauen, denn erst der Zugriff der Google-Algorithmen auf die Kommunikation auf dem Server macht Allo zu einem tollen selbst lernenden System, das auch ein paar schlaue Integrationen von Aufgaben verspricht, wie wir sie aus Erzählungen von WeChat kennen. Wer redet am Ende dann noch über Daten, wenn die mit ihnen gefütterten Bots alles so bequem machen oder unsere Daten gar einen halben Latte Macchiato im Monat finanzieren?

Wie es geht, mit Algorithmen Kunden zu manipulieren, zeigt offenbar das Hotelportal HRS, wie correctiv berichtet. Demnach gehöre die Manipulation des Algorithmus, der Ergebnislisten produziert, zum Geschäftsmodell: So würden Hoteliers regelmäßig dazu aufgefordert, dafür zu bezahlen, damit sie besser gelistet werden. Für Hoteliers wird dieses Spiel logischerweise immer teurer, und Gäste ahnen wohl nicht, dass die Top-Treffer bei HRS nicht nur mit ihren Bedürfnissen, sondern mit der Zahlungsbereitschaft der Hotels zu tun haben könnten. Sind wir mal gespannt, ob das wettbewerbsrechtlich angegangen wird und wie sich das Vertrauen in HRS entwickelt.

Kommunikative Torheiten

Falls man mal zu jung an zu viel Geld kommt, kann man noch ganz andere Dinge finanzieren (ok, zu spät für mich): Der Gründer von Oculus, Palmer Luckey (24), steckt wohl hinter einer digitalen Hetzkampagne gegen Hillary Clinton. Tja, manche Donalds können offenbar auf einige dumme Jungs zählen.

Bloss keine Dummheiten und keine großen Tiere verärgern, dachte sich dagegen wohl Youtube. Das Unternehmen hatte eine Begegnung von Youtubern mit dem EU-Kommisssionspräsident Juncker mitorganisiert. Coole Sache, könnte man meinen und verbrämen, ein Unternehmen unterstütze Bürger-Journalismus. Man kann sicher trefflich streiten, ob das überhaupt ein wünschenswertes Modell ist — aber wenn man es so plump anfängt wie Youtube, dann sollte man es doch besser gleich lassen: Wie sich herausgestellt hat, hat ein Mitarbeiter der Videoplattform massiv versucht, Einfluss zu nehmen auf die Fragen einer Youtuberin, auf dass Juncker bloß nicht verärgert werde ob kritischer Fragen. Tja, Google bzw. Mutterkonzern Alphabet hat in Brüssel noch ein paar heikle Themen offen, da wäre es schon besser, wenn der hohe Herr nicht mit kritischen Fragen zu Steuerdeals belästigt würde.

Werber führen Journalisten zur Schlachtbank

Kaum gekauft, schon zerlegt: Erst vor etwa einem Jahr hatte der Werbevermarkter Ströer der Telekom zwei offenbar nicht passende Kinder abgekauft — die Redaktion von T-Online, aber auch den Digitalvermarkter Interactive Media. Und schon wird weiter umgebaut. Diese Woche hat die wohl größte deutsche Onlineredaktion erfahren, dass sie in Kürze arbeitslos wird und der Laden mit etwa 100 Journalisten in Darmstadt dicht gemacht wird. Statt der bisherigen Redaktion gibt es dann künftig in Berlin einen „Content Hub“, aus dem heraus künftig nicht nur t-online.de, sondern auch andere Plattformen bespielt werden sollen. Eine Idee, die so ähnlich vor ein paar Monaten vom Ströer-Wettbewerber JCDecaux bereits umgesetzt worden ist. Alles in allem könnte man natürlich den Verdacht hegen, dass die Ströer-Leute eine Redaktion vor allem in der Rolle sehen, das nötige Werbeumfeld zu schaffen, damit die Digitalvermarktung gut klappt. Oder in der Argumentation des oben erwähnten Otfried Jarren: Für mich klingt das wie ein Ansatz redaktioneller Massenproduktion; von einer journalistischen oder gesellschaftsbezogenen Idee habe ich dagegen nichts wahrgenommen.

Ach ja, und dann Berlin. Arm, aber sexy — wer hätte gedacht, dass in einer Hauptstadt investiert wird, um Billiglöhner einzusammeln? Man munkelt, dass die Content-Produzenten in Berlin etwa die Hälfte der bisherigen Redakteure kosten. Aber es klingt natürlich erst mal glitzern, wenn vom Aufbau eines modernsten Newsrooms die Rede ist. Und wie wird hierauf in der Fachöffentlichkeit reagiert? Die meisten Branchendienste transportierten halt die Presseinformation, und Turi2 machte mit dem Schlachtruf „Berlin, Berlin — wir fahren nach Berlin“ auf — was soll’s, es werden ja dabei nur 100 Leute arbeitslos (inzwischen ist der Einstieg bei Turi neu geschrieben, kam wohl bei manchen Lesern nicht gut an).

Und die Gewerkschaften? DJV und verdi haben in den letzten Jahren doch immer heftig aufgeschrieen, wenn eine Fünf-Mann-Lokalredaktion ausgegliedert wurde. Tja, zu diesem Thema herrscht erst mal donnerndes Schweigen auf den Websites und in den Twitterkanälen. Naja, was wollen Journalistengewerkschaften auch tun, wenn die einen Kollegen mit den anderen ausgespielt werden?

Verdi, grün angelaufen

Originally published at thomaspleil.de on September 25, 2016.

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Thomas Pleil

Teaching Public Relations in the B.Sc. programme Online Communications (onkomm.de) at Darmstadt University of Appl. Scs. https://thomaspleil.de