© Renate Schrattenecker-Fischer

Mach’s mir nochmal. Oder doch nicht?

Baby #1 wächst. Und alle fragen: Wollt ihr noch eins? Über den Versuch, eine emotionale und doch beruflich verträgliche Antwort zu finden.

Stephanie Doms
Published in
6 min readJul 28, 2016

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Die Frage nach dem zweiten Kind kam, als ich gefühlt gerade erst mit Nummer eins aus dem Kreißzimmer entlassen worden war. Seither schwanke ich zwischen einem euphorischen “Sofort! Es gibt nichts Abgefahreneres.” und einem überforderten “WTF?!”. Parallel dazu versuche ich herauszufinden, wann man als Mutter genug Runden gefahren ist, um wieder aus der Achterbahn der Gefühle aussteigen zu dürfen. Ich meine: Das kann doch nicht ewig so weitergehen— oder? Bisher haben alle Befragten die Aussage verweigert. Dabei hängt von dieser einen Antwort für mich sehr viel ab. Wird Baby #1 mit zwei Jahren schon so selbstständig sein, dass mir bei Baby #2 genau so viel Zeit bleibt, die Schwangerschaft zu genießen und jeden noch so winzigen Moment im ersten Lebensjahr fotografisch festzuhalten? Oder sollten wir lieber warten, bis Baby #1 so selbstständig ist, dass ich ihm nicht mit vielen Neinneinneins erklären muss, dass Griesbrei nicht in die Haare gehört, selbst dann nicht, wenn er statt mit dem Löffel mit den Fingern bis in die Wurzeln einmassiert wird? Aber wie sieht es dann mit der Geschwisterliebe aus, wenn wir noch länger warten? Kann ich sie dann mal zu zweit irgendwo harmonisch spielend parken und sich selbst überlassen, während ich einen Kaffee trinke oder aufs Klo gehe (nur ein einziges Mal ganz allein, bitte)? Und ab wann darf man Außenstehenden zustimmen, die gern pauschal behaupten “Was? So lange wollt ihr warten? Dann habt ihr zwei Einzelkinder!”?

Wenn wir im Baby-Gremium darüber beraten, kommen wir — wie so oft, wenn es um Kinder geht (und Kinder reden auch indirekt IMMER mit, sobald man welche hat) — zu dem Schluss, dass es keine Pauschalantwort gibt.

Verdammt!

Auf emotional-rationalener Ebene kommen wir hier also nicht weiter. Ich versuche deshalb seither, die Frage auf dem rein rationalen Weg zu beantworten. Und plötzlich ist diese wunderbare Geschichte von den Blümchen und Bienchen überhaupt nicht mehr so hübsch rosarot mit Mascherl.

Tatsache ist, dass ich mir derzeit so viele Gedanken über das Arbeitsleben von Frauen und Männern mit Kind mache, wie ich es bei Baby #1 nicht mal ansatzweise getan habe. Vermutlich, weil ich mittlerweile Experte für diverse Abgründe bin, die sich vor einem auftun. Hier ein klitzekleiner, auf die dramatischen Highlights fokussierter Blick in mein Gedanken-Karussell.

Mittelfristiges Ziel ersetzt große Vision? Face it!

Schon mit einem einzigen kleinen Kind kann man beruflich nicht unendlich in den Himmel wachsen. Dass ich nicht gerne auf etwas warte und ich mit Vorliebe Pläne in beachtlichen Dimensionen schmiede, prädestiniert mich nicht wirklich für die entspannte Mama mit Job, die sich mit Mittelmäßigkeit zufrieden gibt. Natürlich: Dass man gerade in den ersten Wochen, Monaten, Jahren als Mama ein Projekt am Laufen hat, das größtmöglichen Einsatz erfordert (und verdient!), steht außer Frage.

Aber wenn ich daran denke, dass meine großen beruflichen Träume noch länger auf Eis liegen, wenn wir unsere Familie erweitern, schrumpeln meine Eierstöcke. Das spricht entweder für ein Einzelkind oder dafür, sofort nachzulegen, um nur möglichst kurz in der beruflichen Warteschleife zu hängen. Angenommen, wir wählen Variante B: Haben wir bei Baby #2 nochmal so viel Glück oder sorgt das Universum für Gerechtigkeit in Form eines nicht ganz so entspannten Charakters? Bleibt mit zwei Kindern wenigstens noch ein bisschen Zeit, um Aufträge zu übernehmen, oder falle ich dann für einige Zeit beruflich komplett aus? Ist es gemein, Baby #1 frühzeitig in den Kindergarten zu geben, damit es daheim ähnlich abläuft wie bisher, nur halt mit Baby #2?

Bevor Sie jetzt etwas sagen: Ja, danke, ich weiß, dass es auch darauf keine allgemeingültigen Antworten gibt.

Familienfreundliche Arbeitgeber? Träum weiter!

Wenn man Mama ist, entwickelt man eine Menge Allergien. Ich reagiere zum Beispiel dezent allergisch auf den Wissensaustausch mit Wildfremden, wenn es um mein Kind geht (“Also wissens, bei dem Wetter — Anmerkung der Redaktion: 30 Grad im Schatten — müssens dem Bub aber schon a Hauberl aufsetzen. Im ersten Jahr geht ma net ohne Hauberl aus dem Haus.”). Phasenweise bekomme ich auch Ausschlag von den Putzmitteln, mit denen ich dreimal täglich den Küchenboden wische, seit der Kleine so groß ist, dass er selber essen will. Aber das fällt schon fast unter Situationskomik.

So richtig, richtig, RICHTIG allergisch reagiere ich mittlerweile darauf, wenn Unternehmen sich auf die Fahnen schreiben, familienfreundlich zu sein. Ist es wirklich im Sinne der Familie, wenn man als männlicher Arbeitnehmer der (entfernt bekannten) Kollegin Erziehungstipps gibt à la “Also ich an deiner Stelle würde schon länger beim Baby daheim bleiben, bevor ich wieder in den Job einsteige.”?

Dass Frauen es da nicht leicht haben, ist ein alter Hut. Aber Vätern geht es nicht besser. Nicht selten bekommen sie sehr direkt gesagt, dass sie sich aufs berufliche Abstellgleis stellen, wenn sie in Karenz gehen und — Gott bewahre — danach womöglich auch noch Stunden reduzieren. Aber wenn dann eine Firmenfeier ist, dann laden wir natürlich auch die Heimchen am Herd samt Kindern ein und rühmen uns anschließend in sozialen Netzwerken mit vielen Fotos dafür, dass wir so wahnsinnig lieb zu den Mamis und Papis sind, für deren Gleichberechtigung sind. Zumindest zu Werbezwecken.

Im Namen aller Allergiker fordere ich eine unabhängige Prüfstelle, die kontrolliert, ob hinter Mitarbeiterköderungen mit Familienfreundlichkeit keine leeren Versprechen stecken. Firmen, die dagegen verstoßen, sollten mit entsprechenden Kennzeichen ausgestattet werden. So wie beim Schnitzel mit Panier. Nur dass halt dann hinter dem Firmennamen etwas steht in die Richtung “F, *, *, *, Y, O, U”.

Kurz: Viele Arbeitgeber erleichtern uns die Entscheidung, ob Kind oder nicht bzw. ob Kind Nummer zwei, drei, vier, fünf, … oder nicht. Allerdings selten zugunsten der Kinder.

Nach der Resignation die Konvention? Sicher nicht!

Mein Mann ist Feminist. Wäre er es nicht, hätte ich ihn nicht geheiratet. Sich den Partner vor der Kinderproduktion genau anzusehen, schützt aber leider nicht davor, an patriarchalen Strukturen zu scheitern. Als Mann erntet man mancherorts immer noch schiefe Blicke, wenn man mehr Zeit daheim bei der Familie verbringen möchte. Blicke kann man ja ignorieren. Aber bei Zweifeln, die dabei aufkommen und tief im eigenen Inneren pochen, ist das schon sehr viel schwieriger: Geht es sich finanziell aus, wenn keiner von uns vollzeit arbeitet? Wie takten wir die Arbeitszeit? Wer kümmert sich sonst noch um die Kinder? Wann bleibt bei diesem ganzen Organisationsaufwand noch Zeit für uns als Paar? Sich so viele Fragen auf einmal zu stellen, auf die es keine Pauschalantworten gibt, verursacht ziemlich viele graue Haare, und ständig zu versuchen, einen anderen, neuen, zielführenden Weg für ein altbekanntes Problem zu finden, während alle rundherum die Augenbrauen hochziehen, fördert Sodbrennen.

Das Schockierende ist: An machen Tagen finde ich dieses ganze Grübeln so furchtbar anstrengend, dass ich mir denke “Ach, scheiß drauf, dann soll mein Mann Karriere machen und ich begnüge mich mit den wenigen beruflichen Möglichkeiten, die mir dann noch bleiben.” Doch dann gewinnt das System — was ich auch aus Fairness gegenüber meinem rebellischen, unangepassten Ich ebenso wenig zulassen kann wie aus Fairness gegenüber meinem Mann. Ich verdiene es, nicht nur die Jobkrümel unterm Tisch serviert zu bekommen. Und mein Mann verdient es, so viel Zeit mit unserem Sohn zu verbringen wie ich.

Also was tun gegen all die Familienmodelle, die für viele von uns nicht mehr zeitgemäß sind? Vermutlich müssen sich erst mal alle Frauen und ganz besonders alle Männer, die sich ein gleichberechtigtes Erziehungs- und Beziehungsleben wünschen, dickere Eier zulegen. Denn die braucht es, um für das kreative und vielleicht auch unkonventionelle Lebensmodell einzustehen, mit dem man sich wohl fühlt. Immerhin übernehmen wir als Eltern verdammt viel Verantwortung, die mit pausenlosem Entscheidungentreffen verbunden ist. Und Zweifel, die irgendwann zu Resignation führen, können wir echt nicht gebrauchen.

Ich habe überlegt, selber ein kleines Zeichen für mehr Lebensplanungskreativität zu und meinen Yogakurs für Mama und Baby umzubenennen in Yoga für Eltern und Babys. Der erste Mann, der sich ganz selbstverständlich anmeldet und keine Tausend Likes für das entsprechende Foto im Firmenintranet erwartet, erhält von mir ein Zertifikat.

Obwohl… Klassische Mama-Angebote zu gendern, ist ebenso ein Zeichen wie sich als Mann für so ein Angebot anzumelden. Auf beides darf man ruhig stolz sein. Tue Gutes und sprich darüber — denn diese Gesellschaft hat jede öffentliche Infragestellung von Rollenbildern immer noch dringend nötig.

Und jetzt?

Bleibt die Frage nach Baby #2. Aktuell tendiere ich dazu, es einfach mal zu versuchen. Schwerer als mit einem Kind kann das Job-Ding doch nicht sein. Andere Frauen haben das doch sicher auch ohne Nervenzusammenbruch geschafft (viele vermutlich sogar schaffen müssen), wieso sollte ich das dann nicht hinbekommen? Andererseits: Kann man es mit einem zweiten Kind einfach mal so “versuchen”?

Und — verdammt — hört man ab einem gewissen Alter der Kinder eigentlich auf, sich als Eltern ständig irgendwelche Fragen zu stellen, die keiner beantworten kann, außer der Bauch?! Liebe Leserschaft: Notlügen Ihrerseits sind an dieser Stelle erwünscht.

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Stephanie Doms
eins
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Wortspielerin und Freudentänzerin. Texterin, Autorin, Yoga- und Mentaltrainerin. www.stephaniedoms.com