Russische Willkür in Höchstform

Anna Kolumna
3 min readOct 7, 2016

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Die Unabhängigkeit der russischen Medien zehn Jahre nach dem Tod von Anna Politkowskaja. Ein Überblick.

Quelle: Unsplash, Pixabay.com

Anna Politkowskaja war eine Ikone des investigativen Journalismus in Russland. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, berichtete über die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und kritisierte öffentlich Präsident Wladimir Putin. Dafür bezahlte sie am 7. Oktober 2006, am Geburtstag des russischen Präsidenten, mit ihrem Leben, als sie im Treppenhaus ihrer Moskauer Wohnung durch mehrere Schüsse getötet wurde. Die Täter sind mittlerweile bekannt und wurden 2014 vom Moskauer Stadtgericht zu lebenslanger Straflager-Haft verurteilt. Die Hintermänner konnten bis heute nicht aufgespürt werden.

Die Urteile seien nur ein „kleiner Schritt“ bei der Herstellung der Gerechtigkeit, sagt Russland-Chef von Amnesty International, Sergej Nikitin. Das Verbrechen sei noch nicht aufgeklärt, denn die Täter hatten kein persönliches Motiv, Anna Politkowskaja zum Schweigen zu bringen. Dass ihre Familie und Freunde selbst zehn Jahre nach ihrem Mord noch keine Antworten finden konnten, lässt immer wieder Zweifel an der russischen Justiz und ihren Aufklärungsmaßnahmen aufkommen. „Der Mord zeigt die große Gefahr, die allen droht, die über Menschenrechtsverstöße oder Korruption in Russland sprechen oder schreiben“, so Sergej Nikitin.

Dass die Unabhängigkeit der russischen Medienlandschaft in Gefahr ist, verdeutlichen die regen Bemühungen des Kremls, sein Monopol über die Berichterstattung Schritt für Schritt auszuweiten. Bereits jetzt nutzt er alle staatlichen Fernsehsender zu Propagandazwecken. Die Schließung großer, oppositioneller Redaktionen ist keine Seltenheit mehr. In den letzten fünf Jahren sollen es nach Angaben von Reporter ohne Grenzen mindestens zwölf gewesen sein. Zuletzt traf es Mitte 2016 die Medienholding RBK, das bis dahin größte Medienhaus des Landes, bestehend aus einer Tageszeitung, einer Nachrichtenagentur, einem Onlinemagazin und einem Fernsehsender. Im Zuge dessen durchsuchten Steuerfahnder die Unternehmensbüros des Oligarchen Michail Prochorow, zu dessen Konzern RBK gehörte. Maxim Soljus, Chefredakteur der Tageszeitung RBK, und Roman Badanin, Chefredakteur der Agentur, räumten „freiwillig“ ihre Posten. Weitere leitende Redakteure verließen die RBK.

Nicht nur Kreml-kritische Journalisten müssen sich in Acht nehmen, auch das Internet stellt keine Plattform für freie Meinungsäußerungen mehr dar. Nach Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation Agora stieg die Anzahl gesperrter Webseiten von 1000 im Jahr 2014 auf 9000 im Jahr 2015. Seit Wladimir Putins Amtsantritt im Jahr 2012 darf die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren. Ihre Kriterien sind schwammig: zum Schutz von Kindern oder der Sicherheit des Landes, wegen Extremismus und beim Gebrauch von Schimpfwörtern.

Ein Ende der Einschränkungen und Verbote scheint nicht in Sicht, zumindest solange der kleine Bürger frei denken kann. Im Juli 2016 wurden erneut Strafgesetzte verabschiedet, um freie Meinungsäußerungen weiter einzuschränken, und die Massenüberwachung ausgebaut. Agora zufolge wurden seit 2015 mindestens 18 Internetnutzer wegen der Veröffentlichung kritischer Inhalte verurteilt. Als Verbreitung von Informationen zählt nach Ansicht der russischen Gerichte bereits ein simples „Like“. Der Blogger Wadim Tjumenzew musste sich bereits Ende 2015 für seine beiden Ukraine-Videos verantworten und befindet sich seitdem in Haft — für fünf Jahre.

Kritischer, unabhängiger Journalismus oder freie Meinungsäußerungen bleiben auch zehn Jahre nach Anna Politkowskajas Tod nicht folgenlos. Immer öfter sind sie das Ziel willkürlicher Strafverfolgung oder werden vom russischen Propagandaapparat als Angriff gegen den russischen Staat dargestellt. Der Moskauer Investigativjournalist Alexander Sokolow ist eines der Kreml-Opfer. Der ehemalige RBK-Journalist sitzt wegen konstruierter Extremismus-Vorwürfe im Gefängnis. Ende Juli wurde seine Haftstrafe sogar verlängert.

Willkür in ihrer Höchstform …

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