Lektionen des Lebens.

Rudolf T. A. Greger
Die Transformation
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3 min readMay 11, 2022

(Logbuch-Eintrag 20220511.1053) — Ich hole mir heute Früh eine Topfengolatsche. Bevorzugtes Geschäft hat aber noch geschlossen, also gehe ich zum nächstgelegenen Bäcker. Der verlangt 2.20 €, während ein Supermarkt nur 0,89 € dafür berechnet. Diese Bäcker-Golatsche, so denke ich mir, muss nun drastisch besser sein.

Sie war es nicht.

Trocken, nicht warm (wie es manchmal die vom bevorzugten Geschäft ist), auch nicht flaumig, der Blätterteig fest und dick und … eine fette Enttäuschung!

Dabei ums zweineinhalbfache teurer.

Zurück daheim schreibt mir ein potentieller Kunde, dass ein Mitbewerber für 90 €/h UX Design macht, während ich für meinen Leuchtturm-Workshop 3936 berechne. »Was ist bei dir anders?,« fragt er berechtigterweise.

Die spontane Antwort ist leicht: Wieviele Stunden arbeiten die?

Doch darüber muss man nachdenken. Es ist das Golatschen-Bespiel in UX. Also fast, denn wir wissen nicht, ob diese anderen tatsächlich nur 8 Stunden arbeiten, denn wenn sie 43 Stunden arbeiten, erreichen sie meinen Betrag und wenn sie weiterarbeiten müssen, um meine Ergebnisse zu erreichen, sind sie tatsächlich teurer. Dazu kommt (Vor- und Nachteil) ihre jugendliche Freude und Begeisterung und der damit zusammenhängende Mangel an Lebenserfahrung und (vielleicht auch) an Einfühlungsvermögen. Junge Menschen kommen mit IT deutlich besser zurecht und können sich (ich spreche aus Erfahrung) nicht vorstellen, dass ältere nicht mithalten können (oder wollen).

Ich erinnere mich an eine Zeit als ich darauf beharrte die Schriftgröße nicht zu vergrößern, weil wer nicht gut sieht, soll den Sehbehelf aufsetzen. Heute weiß ich, dass größere Schrift einfach bequemer ist — für mich. Die Penetranz der Jugend fehlt bei mir (auch ein Vor- und Nachteil) — heute.

Heute habe ich das Gefühl, ich brauche mich nicht mehr zu profilieren. Ich kennen meinen Wert, ich weiß, was ich kann, ich bin mir auch bewusst, dass ich Dinge und Tatsachen erschaffe. Ich werde immer besser darin, die Bestätigung nicht im Aussen zu suchen, sondern ich finde sie in mir.

Und ich finde sie dort, wenn andere Menschen mit einer von mir gestalteten Sache oder Prozess oder Dienstleistung (einem Produkt) gut zurecht kommen. Es ist befriedigender zu sehen, dass jemand selbstsicher den richtigen Button drückt als dass es »geil« und »cool« aussieht oder animiert ist. Der Effekt interessiert nur noch, wenn dadurch Verständnis gefördert und Unsicherheit der Nutzer aufgelöst wird.

Das ist bei mir anders!

Aber diese Koinzidenz der beiden Ereignisse, die teure Golatsche, die der billigen nicht das Wasser reichen kann, und der Hinweis auf meine vermeintlich deutlich teurere Dienstleistung, regen mich zum Nachdenken an.

Eine Leistung darf nicht teurer sein, wenn sie nicht besser ist. Wenn sie nicht als besser wahrgenommen wird.

Doch das brauchen wir nicht besonders behandeln, das ergibt sich, und ich kaufe meine nächste Golatsche nicht mehr bei dieser Bäcker-Kette, sondern nur noch im Supermarkt.

Analog würde es mein Kunde machen, wenn ich nicht die bessere Leistung erbringe.

Dagegen kann man nichts einwenden. Das ist logisch und sinnvoll. Es ist letztlich auch eine Frage des Vertrauens, so scheint mir. Wir müssen vertrauensvoll miteinander umgehen und uns wohlfühlen in der Zusammenarbeit. Das Honorar ist zweitrangig, notwendiges Übel, weil wir damit unseren Lebensunterhalt finanzieren und den Leviathan füttern. Es fungiert dabei auch als Zeichen der Wertschätzung der Leistung durch den Kunden.

Und, wie ich jüngstens erkannt habe, es ist auch ein Mittel für Commitment, für überzeugtes Wollen.

Ich will mit meinem Kunden Einverständnis über das Ergebnis und seinem Wert für den Kunden finden und dann dieses Ergebnis und den Wert erzielen. Ich werde das auch schaffen, weil der Kunden vertrauensvoll das Honorar im Voraus bezahlt hat. Es wird auch gelingen, weil der Kunden (durch seinen Vorschuß) auch höchst interessiert mitarbeitet und den Erfolg dadurch begünstigt.

Eine Leistung darf teurer, sogar deutlich teurer sein, wenn sie entsprechend wertvoll für den Kunden ist. Zum Beispiel durch individuelle Betreuung, ein Concierge-Service. Freilich muss es auch zum Budget passen, muss man es sich leisten können und wollen.

Unglücklicherweise glauben wir aber oft, dass wir mit dem billigeren zurecht kommen und erkennen erst später, dass zwei- oder dreimal billig letztlich teurer war als einmal teuer. Weil der Teurere meist sorgfältiger und nachhaltiger agiert.

Lektionen des Lebens muss jeder selbst machen.

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Rudolf T. A. Greger
Die Transformation

Management Designer and Design Philosopher; a Business-Coach for Design-Thinking & Service Design; a Writer, Facilitator, and Public Speaker in Vienna, Austria