Kleine Fallstudie zur Prozessdigitalisierung — Die defekte Heizung

Die Fallstudie dient als Beispiel um die Methoden des Digineering im Workshop anzuwenden. Der erste Teil beschreibt den Prozess aus Sicht des Kunden. Im zweiten Teil wird der Blickwinkel der Mitarbeiter des Unternehmens gewählt.

Arno Müller
Digineering
4 min readJun 9, 2020

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Digineering beginnt mit der Analyse der Kunden und deren Anforderungen. Hierbei werden Methoden aus dem Design Thinking, der Customer Journey Optimierung, dem BPM und dem agilen Software Engineering zu einem durchgängigen Ansatz kombiniert. Dieses Vorgehen bietet einen Ansatz mit begrenztem Aufwand von einem Kundenproblem über die Prozesse zu konkreten User Stories zu gelangen.

Kundenpotenzialanalyse — Sicht der Persona

Lilli Meier steht wie immer morgens um 7.30 Uhr auf und geht zum Duschen ins Bad. Sie wundert sich, dass es recht kühl im Bad ist, denkt sich aber nichts dabei. Sie dreht wie immer die Dusche auf und springt erschrocken aus der Duschwanne — Das Wasser ist eiskalt!

Offensichtlich ist die Heiztherme in der schicken Etagenwohnung auf der Schanze ausgefallen. Die wurde erst vor 3 Jahren bei der Modernisierung der Altbauwohnung erneuert. Wie immer: kaum läuft die Garantie ab kommt der Ärger.

Vielleicht ist es ja nur eine Kleinigkeit. Am liebsten würde sie selbst und sofort die Heizung wieder starten. Sie hat schon noch etwas Zeit.

Lilli ist IT-Expertin und denkt auch bei der Heizung — jeder Boot tut gut. Also mal ein Reset wagen. Sie geht an die Therme, die mit einem gelben Blinken und der Anzeige E8 eine Störung anzeigt. Wenn man nur wüsste, was E8 bedeutet?

Das wird ja wohl in der Anleitung stehen. Sie kann in der Wohnung nichts finden und deshalb geht sie auf die Website der VieBu AG und findet einen Bereich „Service und Support“. Wenn man die Seriennummer seiner Anlage eingibt, findet man tatsächlich alle möglichen technischen Informationen — darunter auch ein pdf mit der Anleitung. Sie denkt sich beim Download noch: „Das ist ja echt Digitalisierung der 90er. Jetzt muss ich im pdf den Fehlercode E8 suchen!“

Sie findet dann den Code E8 — das bedeutet „Druck zu gering“ und dann auf der letzten Seite der Anleitung auch den Lösungshinweis „Wasser in Heizung nachfüllen“. Sie versucht jetzt mit der Anleitung vor sich den Schlauch mit der Heizung zu verbinden und das Wasser nachzufüllen. Das klappt aber nicht. Die Anleitung ist total verwirrend.

Also ruft sie die Support Hotline an und nach langem Warten kommt eine Person ans Telefon, die anbietet, ihr mit Tipps zu helfen. Frohgemut erwartet sie die Hinweise des Experten und versucht Wasser nachzufüllen. Sie kommen aber nicht weiter — Lilli bemerkt dabei, dass der „Experte“ nichts Anderes macht, als die Anleitung vorzulesen.

Da die Heizung nicht ans Laufen zu bringen ist, setzt sie auf der Website eine Serviceanfrage ab. Nach dem Erstellen eines Kontos und dem Ausfüllen eines schier endlosen Formulars ist die Anfrage platziert.

Drei Stunden später kommt ein E-Mail von der VieBu AG mit der frohen Botschaft, dass ihre Anfrage bearbeitet wird. Am späten Nachmittag dann eine weitere Mail mit der Information, dass der Techniker übermorgen am Vormittag kommt. Nach Rückfragen per Mail stellt sich heraus, dass er entweder dann oder gar nicht kommt — also nimmt sich Lilli den Vormittag frei.

Pünktlich um 10 Uhr kommt ein netter und motivierter Techniker. Er verbindet den Schlauch mit der Therme, dreht kurz das Wasser auf und fragt dann: „Warum haben sie das nicht selbst gemacht, das ist doch eine Kleinigkeit. Soll ich gleich die Wartung machen, wenn ich jetzt schon mal da bin?“

Lilli ist froh, dass die Wohnung wieder warm wird und sie Duschen kann. Und zudem ist die Therme top gewartet. Was das wohl kostet?

Prozesspotenzialanalyse — Der Customer Service der VieBu AG

Ständig treffen über das Service Portal oder per Mail Serviceanfragen ein. Jeder Kunde braucht natürlich sofort einen Techniker. Meist kann man den Anfragen entnehmen, dass die Kunden richtig mies gelaunt sind. Niemand kann sich erklären warum.

Die Anfragen werden vom Service-Mitarbeiter erfasst und der Kunde erhält eine Eingangsbestätigung per Mail. Im Detail läuft das wie folgt ab:

Der Service Mitarbeiter prüft, ob es sich um einen VIP Kunden handelt und wie verärgert der Kunde ist. Bei sehr verärgerten VIP Kunden wird der Leiter Kundendienst per Mail informiert und der Kunde erhält zudem eine individuell geschriebene Mail. Zudem müssen bei vielen Anfragen fehlende Kundendaten erhoben werden. Damit dies nicht vergessen wird, wird ein Ticket im Service Tool angelegt. Die Mails der Eingangsbestätigung werden auf die Kundenverärgerung angepasst. Es gibt verschiedene Standardtexte, die manuell ausgewählt werden.

Diese Aufgaben sind bei jeder Anfrage zu durchlaufen. Wenn viel los ist, werden oft falsche Mails versendet. Es erfordert mehrere Minuten bis zu einer halben Stunde Zeit je Anfrage und wenn der Leiter Kundendienst eingebunden werden muss, dauert es sehr lange.

Wenn alle Daten vorliegen geht es weiter: Entweder kann direkt eine Service Anfrage in SAP eröffnet werden oder es müssen zuvor fehlende Kundendaten eingepflegt werden. Neben SAP muss auch im Service Tool die Anfrage eingegeben werden.

Danach plant die Einsatzsteuerung im Service Tool mögliche Besuchstermine und stimmt diese mit den Kunden ab.

Dann ändert der Service Mitarbeiter den Status des Auftrages in SAP und im Service Tool in „freigegeben“.

Freigegebene Aufträge werden von dem Service Tool auf die Tablets der Techniker übertragen, die die Reparatur beim Kunden durchführen. Der Techniker meldet den Auftrag im Service Tool fertig und gibt seine Daten ein. Die Rechnungsstelle erstellt dann in SAP die Rechnung.

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