Buzzword der Stunde — Part 1: Streifzug durch den Transformationsdschungel

Nicole Forrai
Digital Hills
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5 min readMay 2, 2016

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Das Buzzword „Digitale Transformation“ erfreut sich derzeit reger Beachtung. Doch was versteht man eigentlich darunter? In dieser 3-teiligen Artikelserie will ich einen etwas anderen Ansatz wagen, um dem Verständnis von digitaler Transformation auf die Spur zu kommen. Ein interdisziplinärer Streifzug durch unterschiedliche, vielleicht auch wirtschaftsferne, Gebiete mit lohnenswerten Umwegen: Diese führen in Part 1 zu einer fächerübergreifenden Auseinandersetzung mit dem Begriff Transformation, streifen in Part 2 anschlussfähige Synonymkonzepte und werden als Essenz in Part 3 mit Digitalisierung zusammengeführt.

Jeder Mensch verfügt über Routinen, um sein Verlangen nach Information zu stillen und damit seinen individuellen Grad an Informiertheit zu erreichen. In unserer heutigen Welt können wir für diesen Zweck auf fast mannigfaltige Möglichkeiten der Informationsbeschaffung zurückgreifen: Zeitungen, Zeitschriften und Magazine lesen, Radio-Sendungen und Podcasts hören oder die Fernsehnachrichten verfolgen, News-Apps nutzen, die Timeline unterschiedlicher sozialer Netzwerke durchforsten, Tweets lesen, Snaps ansehen und, und, und.

Eine meiner persönlichen Routinen ist das Lesen von Mails, die ich vom Dienst Google Alerts erhalte. Ich habe mir Benachrichtigungen insbesondere zu den Suchbegriffen „Digitale Transformation“ und „Digitalisierung“ eingerichtet. In täglichen Mails verschaffe ich mir einen Überblick über die Ergebnisse dieser Suchanfrage und folge einigen der Links zu den hinterlegten Artikeln. Was ich beim Lesen immer häufiger bemerke, ist die fast schon „ästhetische“ Widersprüchlichkeit mancher Artikel-Überschriften: Nicht selten liest man einen Satz wie „Digitale Transformation im Bewusstsein des Managements angekommen“ und gleich nachfolgend, mit dem fast identischen, aber dennoch gegenteiligen Wortlaut „Digitale Transformation im Management noch nicht angekommen „. Diese Auffälligkeit zieht sich beständig durch die Ergebnisse und scheint wahrnehmbar kein Einzelfall zu sein.

Ist dies ein Indiz dafür, dass das Buzzword und das Themenfeld, welches dahinter liegt, doch nicht so klar sind, wie jeder meint? Ist es vielleicht sogar so, dass wir das Buzzword deshalb verwenden, eben weil wir nicht ganz sicher sind, was wir damit bezeichnen?

Dass es angesichts des widersprüchlichen Einsatz des Begriffs auch dem „digital geneigten“ Leser schwerfallen muss, Licht in das Dunkel des Digitalisierungsdschungels zu bringen, wundert nicht (mehr). Mir liegt es an dieser Stelle fern, Unterstellungen in jeglicher Form zu adressieren. Ganz im Gegenteil: Hier offenbart sich die wahre Krux. Hier liegt, wie man so schön sagt, „des Pudels Kern“. Denn: Buzzword Hin oder Her, digitale Transformation zu verstehen und ihre Breite und Tiefe zu erfassen ist nicht einfach. Denn sie ist vieles zugleich und gleichzeitig (un)eindeutig notwendig!

Eintauchen ins Dickicht

Für eine erste Annäherung bietet sich klassischerweise eine begriffliche Klärung an . Was vielerorts bereits unternommen wurde (vgl. hier oder hier oder hier), muss nicht neu gesagt werden. Mein Ansatz ist vielmehr darüber nachzudenken, was wir meinen, wenn wir von Transformation sprechen. Also zunächst zum Kern des Begriffs vorzudringen (Teil 1 und Teil 2). Und dies dann als Essenz in Teil 3 dieser Serie in Zusammenhang mit Digitalisierung zu setzen.

Transformation, gleichzeitig Buzzword der Stunde und umbrella term, bezeichnet umfassende, grundlegende Veränderungen und Umwälzungen. Abstrakt gesprochen ist der Begriff eng mit der Veränderung von Systemen und dem Übergang von einem Systemzustand in einen anderen verknüpft. Transformation wird daher in entsprechend vielen Themenfeldern und Disziplinen definiert und behandelt . Allerdings das, was der Begriff bezeichnet, könnte dort nicht unterschiedlicher sein. Denken wir z.B. an den Schmetterling, der sich von der Raupe hin zu einem ganz anderen Tier entwickelt. Ein widerum anderer Typ von Transformation fand damals zu Zeiten der „Wende“ statt: Der Systemwechsel von der ehemaligen DDR hin zur Bundesrepublik Deutschland. Auch hier handelte es sich um einen „transformativen“ Umgestaltungsprozess.

So unterschiedliche Formen von Transformation es auch geben mag — eines ist ihnen allen gemein, nämlich die zeitliche Komponente: Transformation beschreibt einen Prozess zwischen einem spezifischen, wenn auch fließenden Anfang und einem spezifischen, wenngleich beweglichen Ende. Transformation ist ganzheitlich, jedoch in Zielbild und Endzustand ergebnisoffen. Manchmal handelt es sich sogar um eine komplette Ablösung des vorherigen Systems, wie sich am Beispiel Schmetterling beobachten lässt.

Lichtblick im Unterholz

Transformation wird also „groß“ gedacht: Zumeist sind mehrere Teile, wenn nicht sogar das ganze System involviert. Und man tut gut daran, auch die Nebenschauplätze des Prozesses nicht aus dem Blick zu verlieren. Im obigen Beispiel aus der Politik ging nämlich mit der Auflösung der politischen Ordnung ebenfalls eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Neuaufstellung einher. Zudem vollzieht sich eine derartig umfassende Veränderung in mehreren Teilschritten, wie wir — um bei diesem Beispiel zu bleiben — in den letzten Jahrzehnten (!) gesehen haben und heute immer noch sehen.

Transformation findet weder in einem „abgeriegelten“ Raum statt, noch geschieht sie von Heute auf Morgen. Es handelt sich nicht um einen marginalen Pfadwechsel, wie auch Unternehmen im Zuge der Digitalisierung und Entwicklung neuer technologischer Möglichkeiten zunehmend feststellen (müssen) — im Gegenteil.

Digitale Dschungelcamps

Den Mega-Trend Soziale Netzwerke als Enterprise 2.0-Lösung in Unternehmen aufzugreifen, ist ein kleines aber greifbares Beispiel. Es verdeutlicht das Wechselspiel von mehreren Teilbereichen der Unternehmenspraxis, wenn das Prinzip Social Software in den unternehmerischen Alltag übertragen wird. Hier reicht es z.B. nicht aus, eine Kollaborationssoftware zu implementieren, ohne traditionelle Organisationsmodelle und gängige Informationsflüsse im Unternehmen zu hinterfragen. Oder auch Gewohnheiten oder Workflows der Mitarbeiter außer Acht zu lassen, die von Heute auf Morgen neue Wege der digitalen Kollaboration in ihren Alltag integrieren sollen. Auf einmal ist jeder mit jedem vernetzt, jederzeit ansprechbar, verbunden über örtliche Grenzen hinweg. Digital Natives mögen sich hier einfach tun. Für das gesamte Unternehmen ist es dennoch eine tiefgreifende Änderung, bei der mittel- bis langfristig nicht nur Kommunikation und Zusammenarbeit von Grund auf transformiert werden. Nicht zuletzt sind Unternehmenskultur und bisherige Steuerungsprinzipien (zentrale vs. autonome Steuerung von Teams) von diesem Prozess betroffen.

Zwar löst bei unserem Unternehmensbeispiel das Digitale das Analoge nicht ab, jedoch reichen die Auswirkungen weit über rein technologische Aspekte hinaus. Die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, wie wir kommunizieren und wo wir uns aufhalten wenn wir arbeiten, ist nur ein kleines Puzzlestück im „Urwald“ der Digitalisierung.

Ein erstes Abstecken des Feldes ist getan — bleiben Sie gespannt, was wir von weiteren Disziplinen auf unserer Expedition lernen können. Sobald der nächste Teil der Artikelreihe erschienen ist, finden Sie ihn hier.

Originally published at www.digital-hills.de on May 2, 2016.

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Nicole Forrai
Digital Hills

Passionate for organizationaldesign & people striving for their purpose. Convinced about intuition in business. Interdisciplinary thinking, generalist.