Heißt die Zukunft der Automobilbranche “Mobility as a Service”?

Thomas Euler
Digital Hills
Published in
4 min readJun 8, 2016

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Die Zukunft der Automobilbranche könnte deutlich anders aussehen als ihre Gegenwart. Das glaube nicht nur ich, sondern eine ganze Reihe aktueller Investitionen zeigt: Die Industrie ist in Unruhe. Einen kurzer Marktüberblick und ein Zukunftsszenario.

Letzte Woche erhielt Uber 3.5 Milliarden US Dollar frisches Kapital von Saudi Arabien bzw. dessen öffentlichem Investment Fond. Und das nur kurz nach Toyotas Einstieg bei der Ride-Hailing-Company in Form eines „strategischen Investments“ unbekannter Größenordnung Ende Mai. Grund genug, innezuhalten und ein einen Blick auf das ‚bigger picture‘ zu werfen, das sich aktuell zwischen Ride-Hailing-Markt und Automobilindustrie abzeichnet :

  • Toyota und Saudi Arabien sind groß in Uber investiert
  • GM ist mit $500 Millionen an Lyft beteiligt, um gemeinsam selbstfahrende Autos zu entwickeln
  • Volkswagen will laut seiner (durchaus zweifelhaften) Strategie 2025 zum wichtigen Mobilitätsdienstleister werden und hat in diesem Zuge $300 Millionen in das israelische Gett investiert
  • Apple hat sich mit $1 Milliarde am chinesischen Ride Hailing Marktführer Didi Chuxing beteiligt.

Noch ein bisschen weiter gefasst auf den Mobilitätsmarkt geblickt, gibt es noch ein paar weitere spannende Entwicklungen:

  • Es ist mittlerweile mehr oder minder ein offenes Geheimnis, dass Apple an einem eigenen Auto arbeitet (Elon Musk meinte dazu übrigens auf der Code Conference, dass er glaubt, Apple habe eine Chance vertan, weil sie nicht früher mit der Arbeit daran begonnen zu haben)
  • Tesla, so rumort es, könne mit dem Model 3 ein autonom fahrendes Auto vorstellen. Darauf angesprochen gab sich Musk auf der Code Conference kryptisch, ohne es aber zu dementieren. Stattdessen kündigte er an, dass es vermutlich gegen Ende des Jahres eine große Bekanntmachung von Tesla geben werde
  • Bekanntermaßen arbeiten Google und Uber ebenfalls am autonomen Fahren.

Zwischenfazit: Es geht hoch her in der Automobilindustrie.

Die Digitalisierung holt die Automobilbranche ein

Zurecht. Denn zählt man die diversen Entwicklungen zusammen, steht uns einiges an Veränderungen ins Haus. Das wissen und davor fürchten sich auch die Automobilkonzerne. Die Kombination aus Ride Hailing und autonom fahrenden Autos macht nämlich — zumindest in urbanen Gefilden — Szenarien denkbar, in denen deutlich weniger Menschen Autos kaufen, als heute. Stattdessen greifen sie on-demand auf eine Flotte selbstfahrender Vehikel zurück, die als Service bereitsteht und die dank Apps effizient organisiert werden kann.

Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir mittel- bis langfristig auf dieses Szenario zusteuern — wenngleich kurzfristig natürlich diverse Hürden zu nehmen sind, nicht zuletzt solche regulatorischer Natur. Doch allen Beteiligten sollte klar sein: Es ist schlicht die viel effizientere Weise, unsere Mobilität zu organisieren. Zum Beispiel, weil unsere eigenen Autos heute den Großteil der Zeit in Garagen und auf Parkplätzen stehen. Weil es urbane Flächen von letzteren befreit. Und natürlich, weil es deutlich weniger Kapital des Kunden bindet.

Bei all dem handelt es sich natürlich höchstwahrscheinlich um generationsumspannende Veränderungsprozesse, zumindest was den globalen Maßstab anbelangt. Doch die Anfänge zeichnen sich klar ab und ich würde mich nicht wundern, wenn z.B. im extrem ride-hailing-affinen, chinesischen Markt — dem China, in dem ganze Metropolen neu aus dem Boden gestampft werden — schon in wenigen Jahren einige Städte primär auf derartigen Mobilitätskonzepten basieren würden.

Cars as a Service ist demnach die Zukunft, auf die wir zusteuern.

Die oben skizzierten Investitionen zeigen mir: Auch die Automobilindustrie hat den Handlungsbedarf erkannt. Trotzdem bin ich tendenziell pessimistisch, was ihre Zukunft anbelangt. Gucken wir auf andere Branchen, in denen wir einen derartigen Paradigmenwechsel gesehen haben, taten und tun sich die meisten Alteingesessenen schwer. Natürlich wird es Autohersteller nicht so hart treffen, wie etwa diverse Zeitungsverlage, da ihr Produkt nicht komplett substituiert werden wird. Allerdings wird sich der Markt gänzlich neu organisieren. Und das wird Schmerzen verursachen. Weil sich Rahmenbedingungen verändern, weil gelernte Mechanismen plötzlich nicht mehr greifen und weil es extrem schwer ist, eine tief verankerte Kultur zu verändern.

Es wird spannend!

Update 07.06.2016: Gerade bin ich auf einen Beitrag von Johann Jungwirth gestoßen, seines Zeichens CDO der Volkswagen AG. Es lautet auf den Titel Die Disruption der Automobilindustrie und Neuerfindung der Mobilität. Darin beschreibt Jungwirth ziemlich genau die Szenarien, die ich hier ebenfalls aufgemacht habe. Sieht man von einigen Passagen mit PR Fluff ab — in einem Konzern wie Volkswagen wohl unvermeidlich — ist es ein erstaunlich offenes Stück. Alleine seine Existenz zeigt, dass zumindest an einigen Stellen im Unternehmen konsequent über das Thema nachgedacht wird.

Nichtsdestoweniger bleibt es natürlich eine Mammutaufgabe, einen Konzern mit über 600.000 Mitarbeitern rechtzeitig „auf Kurs“ zu bringen. Ein gutes Signal ist es aber allemal. Bezeichnend ist für mich dieser Satz:

„Auch damit bringen wir ein Stück Silicon-Valley-Kultur, dessen Denk- und Arbeitsweise in den Volkswagen Konzern und unsere Marken.“

Genau dies wird die Herausforderung sein. Wie gesagt: Spannende Zeiten!

Dies ist ein Ausschnitt meiner (i.d.R.) wöchentlichen Kolumne Recommended Reading, die auf LinkedIn erscheint. Vernetzen Sie sich dort gerne mit mir, wenn Sie auch künftige Ausgaben lesen wollen!

Originally published at www.digital-hills.de on June 8, 2016.

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Thomas Euler
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