Big Data vergrößert die persönliche Komfortzone

Rolli Vogel
Digital Rethinking of Business Models
5 min readMay 18, 2015

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Was uns die schöne neue digitale Welt alles abnimmt — in beiderlei Sinne

Wir entscheiden noch in fast allen Lebensbereichen selbst, wie quantifizierbar wir leben wollen. Wann Big Data die Komfortzone vergrößert — oder der vielfach erhoffte Filter gegen Information Overload zur berechnenden Manipulation pervertiert. Wie häufig und stark wir uns in unseren Entscheidungen von lernenden Algorithmen oder persönlichen Empfehlungen leiten lassen.

Wir müssen ein sensibles Bauchgefühl entwickeln, wann welche besser sind.

Wir kaufen Bücher, die Amazon uns empfiehlt

Wir lesen nur noch Relevantes, weil Flipboard schon ausreichend recherchiert hat

Wir streamen und laden Musik herunter, die Apple uns vorschlägt

Wir konsumieren über unseren Bedarf, weil Google den richtigen Zeitpunkt für den letzten Kaufimpuls kennt

Wir kommen dem für die Werbewirtschaft zentralen Begriff “Zielgruppe” so nah wie nie, da Apples IDFA (Identifier for Advertisers) wie ein umgehängtes Namensschild funktioniert

Wir schließen Versicherungen ab, die unsere Sorgen-Suchanfragen gemeinsam mit der Fitness-App als sinnvoll einstufen

Wir befreunden uns mit Menschen, die Facebook für uns vorsortiert

Wir entdecken die Geheimtipps einer Stadt, die Foursquare dem Schwarm der Freunde abschaut

Wir wissen auch gleich auf den Meter genau, wer jetzt gerade dort in der Nähe ist, da der Facebook Messenger zu fast jeder Nachricht einen Location-Tag speichert, der dank einer Sicherheitslücke öffentlich zugänglich ist

Wir verlieben uns in Menschen, die ElitePartner als Seelenverwandte errechnet

Wir betrügen dieselben mit Gelegenheiten, die Badoo und Tinder für in jeder Hinsicht naheliegend halten

Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft, wie die Big-Data-Spezialisten des Taxi-Schrecks Uber in ihren zumindest offiziell gelöschten One-Night-Stands-Karten zeigen

Wir warten nur Minuten auf unser Taxi, da Alcohoot unseren Blutalkohol treffend analysiert, speichert und die Konsequenzen zieht

Wir wissen, wann unser Partner wieder zuhause ist, da uns SmartThings über alle Bewegungen zu Hause tadellos informiert

Wir geben preis, wo sich unser Zuhause befindet, da unser WLAN nicht erst durch die Street-View-Kamerawagen von Google weltweit auffindbar kartografiert ist

Wir belegen, dass unser Auto wieder in der Garage steht, weil Vimcar SPOTS an der OBD-Schnittstelle dank SIM-Karte und GPS keinen Meter Fahrt vergisst

Wir dokumentieren, dass wir keine Rowdys auf der Straße waren, weil wir ein paar Prozent bei der Autoversicherung sparen wollen und der Sparkassen-Tochter S-Direkt unser Bewegungsprofil frei Haus mitliefern

Wir werden unser Auto im Falle eines Falles vielleicht als gegnerischen Anwalt neu kennenlernen, wenn das Connected Car mit dem Datenspeicher des OBD2-Dongles zum Unfallhergang gegen uns aussagt

Wir lassen unser Auto vom DHL-Paketboten orten und öffnen, dass er unser Amazon-Paket in den Audi-Kofferraum legen kann

Wir finden digital viele wirklich Bekannte, weil WhatsApp und LinkedIn unser Telefonbuch kennen

Wir folgen Menschen, die Twitter ohne Ansehen der Person für würdig hält

Wir laufen ein paar Runden mehr, weil uns Runtastic über die motivierten Aktivitäten anderer auf dem Laufenden hält

Wir prüfen unseren Blutzuckerspiegel, ohne aktiv zu werden, weil die Smart Contact Lens von Google bereits die sekündlich gemessenen Glukosewerte in der Tränenflüssigkeit drahtlos übertragen hat

Wir prüfen die Werte nochmal nach, auch wenn das Wegwerf-Wearable auf der Haut die letzten Male ähnliche Glukosewerte lieferte, wie uns unsere mHealth-Dashboard-App in Erinnung ruft

Wir zögern dennoch bei der Bestätigung, dass wir keinen Hausarzt brauchen, was uns die eingewebten Biosensoren im Cityzen Smart-Sensing-Shirt nüchtern nahelegen

Wir werden selbst Teil des Internet of Things, indem wir Always-online-Sensoren — tattooähnliche Wearables — wie die kleinen rechteckigen Aufkleber von MC10 auf der Haut befestigen

Wir finden günstige Umzugshelfer, Mietwagen und Kreditangebote, weil der NFC-Ring nach den Wohnungsbesichtigungen ohne Makler ein ordentliches Profil erstellt

Wir intensivieren unsere Stimmungen mit Musik, die Spotify gerade passend findet

Wir wissen nicht so genau, wer sonst noch mithört und seine Schlüsse zieht, da Amazons Cloud-Lautsprecher Echo — Rufname “Alexa” — oder auch die Samsung SmartTVs ganz offen zu ihren großen Ohren stehen

Wir perfektionieren unsere Wohnumgebung, weil Pinterest guten Geschmack verkauft

Wir kosten unser Zuhausegefühl voll aus, weil Instagram dem oPhone unsere Wohlfühldüfte verrät

Wir sind potenzielle Grünen-Wähler, weil sich unsere Heizung dank tado selbst runterregelt, wenn wir nicht zu Hause sind

Wir essen nur noch Fleisch von glücklichen Kühen, die uns das sogar selbst via IoT-Sensor wissen lassen

Wir beglückwünschen uns selbst zum Lebenswandel, den Payback schon deutlich früher ahnt — und zur selbsterfüllenden Prophezeiung macht

Wir buchen die nächste Flugreise, wenn sich unser Wallet über neu verteilte Interessen wundert und ein Miles&More-Special empfiehlt

Wir reizen unser gewachsenes Kreditvolumen aus, zu dem uns ein paar der 20.000 Datenpunkte im Big-Data-Scoring von Kreditech verholfen haben — von Social Media über eCommerce bis hin zu unserem Surfverhalten

Wir kaufen trotz Zweifeln, weil die Beacons im Geschäft mit unserem inneren Sparfuchs auf du sind

Wir zücken das Portemonnaie gleich nochmal, weil der Mammut Beacon.Store meine auf Facebook und Pinterest favorisierten Artikel mit Philips Hue für mich anleuchtet

Wir verfeinern dabei gleich selbst unser Zielgruppenprofil, da unser WLAN-Signal mit anonymisierter MAC-ID Grundlage für Mobile-Device-basierte Passantenzählungen und Bewegungsanalysen von 42reports ist

Wir vergessen keine Einkäufe mehr, weil wir vom sprechenden Kühlschrank vorbei an den aktuellen Angeboten zum Mobile Check-out gelenkt werden

Wir fühlen uns wie ein Stammkunde bei Tante Emma, wenn uns der Starbucks-Barista mit Vorname und warmem Lieblingsgetränk begrüßt

Wir kommunizieren mit Gesten so eindeutig wie Esperanto, weil Google Glass sie patentiert hat

Wir vertrauen darauf, dass zumindest unsere öffentlichen Profile irgendwann im digitalen Nirwana abtauchen, weil Columba sie gezielt löscht

Digitales Stalking gab es 1983 noch nicht, als Sting mit The Police erstmals diese Zeilen sang:

Every breath you take
And every move you make
Every bond you break, every step you take
I’ll be watching you
Every single day
And every word you say
Every game you play, every night you stay
I’ll be watching you

Inspiriert durch Miriam Meckels 2011 erschienenes Buch “NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns”:

“Zwanzig Datenpunkte sind ausreichend, um einen Menschen berechnen zu können. Wo wir leben, was wir kaufen, wohin wir reisen, mit wem wir sprechen, was wir mögen, wen wir lieben — all das ist in den Computernetzwerken längst über uns gespeichert und wird so ausgewertet, dass wir vorhersagbar werden.”

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Rolli Vogel
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