Big Data vergrößert die persönliche Komfortzone
Was uns die schöne neue digitale Welt alles abnimmt — in beiderlei Sinne
Wir entscheiden noch in fast allen Lebensbereichen selbst, wie quantifizierbar wir leben wollen. Wann Big Data die Komfortzone vergrößert — oder der vielfach erhoffte Filter gegen Information Overload zur berechnenden Manipulation pervertiert. Wie häufig und stark wir uns in unseren Entscheidungen von lernenden Algorithmen oder persönlichen Empfehlungen leiten lassen.
Wir müssen ein sensibles Bauchgefühl entwickeln, wann welche besser sind.
Wir kaufen Bücher, die Amazon uns empfiehlt
Wir lesen nur noch Relevantes, weil Flipboard schon ausreichend recherchiert hat
Wir streamen und laden Musik herunter, die Apple uns vorschlägt
Wir konsumieren über unseren Bedarf, weil Google den richtigen Zeitpunkt für den letzten Kaufimpuls kennt
Wir kommen dem für die Werbewirtschaft zentralen Begriff “Zielgruppe” so nah wie nie, da Apples IDFA (Identifier for Advertisers) wie ein umgehängtes Namensschild funktioniert
Wir schließen Versicherungen ab, die unsere Sorgen-Suchanfragen gemeinsam mit der Fitness-App als sinnvoll einstufen
Wir befreunden uns mit Menschen, die Facebook für uns vorsortiert
Wir entdecken die Geheimtipps einer Stadt, die Foursquare dem Schwarm der Freunde abschaut
Wir wissen auch gleich auf den Meter genau, wer jetzt gerade dort in der Nähe ist, da der Facebook Messenger zu fast jeder Nachricht einen Location-Tag speichert, der dank einer Sicherheitslücke öffentlich zugänglich ist
Wir verlieben uns in Menschen, die ElitePartner als Seelenverwandte errechnet
Wir betrügen dieselben mit Gelegenheiten, die Badoo und Tinder für in jeder Hinsicht naheliegend halten
Wir befinden uns dabei in guter Gesellschaft, wie die Big-Data-Spezialisten des Taxi-Schrecks Uber in ihren zumindest offiziell gelöschten One-Night-Stands-Karten zeigen
Wir warten nur Minuten auf unser Taxi, da Alcohoot unseren Blutalkohol treffend analysiert, speichert und die Konsequenzen zieht
Wir wissen, wann unser Partner wieder zuhause ist, da uns SmartThings über alle Bewegungen zu Hause tadellos informiert
Wir geben preis, wo sich unser Zuhause befindet, da unser WLAN nicht erst durch die Street-View-Kamerawagen von Google weltweit auffindbar kartografiert ist
Wir belegen, dass unser Auto wieder in der Garage steht, weil Vimcar SPOTS an der OBD-Schnittstelle dank SIM-Karte und GPS keinen Meter Fahrt vergisst
Wir dokumentieren, dass wir keine Rowdys auf der Straße waren, weil wir ein paar Prozent bei der Autoversicherung sparen wollen und der Sparkassen-Tochter S-Direkt unser Bewegungsprofil frei Haus mitliefern
Wir werden unser Auto im Falle eines Falles vielleicht als gegnerischen Anwalt neu kennenlernen, wenn das Connected Car mit dem Datenspeicher des OBD2-Dongles zum Unfallhergang gegen uns aussagt
Wir lassen unser Auto vom DHL-Paketboten orten und öffnen, dass er unser Amazon-Paket in den Audi-Kofferraum legen kann
Wir finden digital viele wirklich Bekannte, weil WhatsApp und LinkedIn unser Telefonbuch kennen
Wir folgen Menschen, die Twitter ohne Ansehen der Person für würdig hält
Wir laufen ein paar Runden mehr, weil uns Runtastic über die motivierten Aktivitäten anderer auf dem Laufenden hält
Wir prüfen unseren Blutzuckerspiegel, ohne aktiv zu werden, weil die Smart Contact Lens von Google bereits die sekündlich gemessenen Glukosewerte in der Tränenflüssigkeit drahtlos übertragen hat
Wir prüfen die Werte nochmal nach, auch wenn das Wegwerf-Wearable auf der Haut die letzten Male ähnliche Glukosewerte lieferte, wie uns unsere mHealth-Dashboard-App in Erinnung ruft
Wir zögern dennoch bei der Bestätigung, dass wir keinen Hausarzt brauchen, was uns die eingewebten Biosensoren im Cityzen Smart-Sensing-Shirt nüchtern nahelegen
Wir werden selbst Teil des Internet of Things, indem wir Always-online-Sensoren — tattooähnliche Wearables — wie die kleinen rechteckigen Aufkleber von MC10 auf der Haut befestigen
Wir finden günstige Umzugshelfer, Mietwagen und Kreditangebote, weil der NFC-Ring nach den Wohnungsbesichtigungen ohne Makler ein ordentliches Profil erstellt
Wir intensivieren unsere Stimmungen mit Musik, die Spotify gerade passend findet
Wir wissen nicht so genau, wer sonst noch mithört und seine Schlüsse zieht, da Amazons Cloud-Lautsprecher Echo — Rufname “Alexa” — oder auch die Samsung SmartTVs ganz offen zu ihren großen Ohren stehen
Wir perfektionieren unsere Wohnumgebung, weil Pinterest guten Geschmack verkauft
Wir kosten unser Zuhausegefühl voll aus, weil Instagram dem oPhone unsere Wohlfühldüfte verrät
Wir sind potenzielle Grünen-Wähler, weil sich unsere Heizung dank tado selbst runterregelt, wenn wir nicht zu Hause sind
Wir essen nur noch Fleisch von glücklichen Kühen, die uns das sogar selbst via IoT-Sensor wissen lassen
Wir beglückwünschen uns selbst zum Lebenswandel, den Payback schon deutlich früher ahnt — und zur selbsterfüllenden Prophezeiung macht
Wir buchen die nächste Flugreise, wenn sich unser Wallet über neu verteilte Interessen wundert und ein Miles&More-Special empfiehlt
Wir reizen unser gewachsenes Kreditvolumen aus, zu dem uns ein paar der 20.000 Datenpunkte im Big-Data-Scoring von Kreditech verholfen haben — von Social Media über eCommerce bis hin zu unserem Surfverhalten
Wir kaufen trotz Zweifeln, weil die Beacons im Geschäft mit unserem inneren Sparfuchs auf du sind
Wir zücken das Portemonnaie gleich nochmal, weil der Mammut Beacon.Store meine auf Facebook und Pinterest favorisierten Artikel mit Philips Hue für mich anleuchtet
Wir verfeinern dabei gleich selbst unser Zielgruppenprofil, da unser WLAN-Signal mit anonymisierter MAC-ID Grundlage für Mobile-Device-basierte Passantenzählungen und Bewegungsanalysen von 42reports ist
Wir vergessen keine Einkäufe mehr, weil wir vom sprechenden Kühlschrank vorbei an den aktuellen Angeboten zum Mobile Check-out gelenkt werden
Wir fühlen uns wie ein Stammkunde bei Tante Emma, wenn uns der Starbucks-Barista mit Vorname und warmem Lieblingsgetränk begrüßt
Wir kommunizieren mit Gesten so eindeutig wie Esperanto, weil Google Glass sie patentiert hat
Wir vertrauen darauf, dass zumindest unsere öffentlichen Profile irgendwann im digitalen Nirwana abtauchen, weil Columba sie gezielt löscht
Digitales Stalking gab es 1983 noch nicht, als Sting mit The Police erstmals diese Zeilen sang:
Every breath you take
And every move you make
Every bond you break, every step you take
I’ll be watching you
Every single day
And every word you say
Every game you play, every night you stay
I’ll be watching you
Inspiriert durch Miriam Meckels 2011 erschienenes Buch “NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns”:
“Zwanzig Datenpunkte sind ausreichend, um einen Menschen berechnen zu können. Wo wir leben, was wir kaufen, wohin wir reisen, mit wem wir sprechen, was wir mögen, wen wir lieben — all das ist in den Computernetzwerken längst über uns gespeichert und wird so ausgewertet, dass wir vorhersagbar werden.”