Abschlussdiskussion Open vs. Closed Innovation mit Onno Szillis (DB mindbox), Evgeni Kouris (Gamewheel), Martin Kotynek (ZEIT ONLINE) und Moderator Nico Lumma (Next Media Accelerator) | von Rolli Vogel

„Der Durchschnittsnutzer installiert monatlich null Apps!“

Wie passt das mit dem Branchenmantra „Die Zukunft der Medien ist Mobile!“ zusammen? Die vereinende Lösung kann nur Content heißen.

Rolli Vogel
6 min readFeb 7, 2017

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Beide Aussagen fehlen derzeit in keiner Medienstudie und zeigen das Dilemma der Produktentwicklung der Verlage. Und sie sind nur auf den ersten Blick ein unlösbarer Widerspruch. Welche Inhalte, welche Formate funktionieren digital? Wie wird die Produktentwicklung schneller und kundennäher? Wie lässt sich intern und extern eine echte Innovationskultur fördern? Und wie lassen sich deren Ergebnisse monetarisieren?

Neue Mietwährung ist Content statt Euro

Alter Klinker, modernes Konzept: Die Blogfabrik in Berlin-Kreuzberg

Statt eines sterilen Hotelraums hatte sich die VDZ Akademie für den Content Innovation Day Mitte November 2016 in einen hippen Coworking Space eingemietet. Als die sog. Blogfabrik an der pulsierenden Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg eröffnete, titelte die deutsche »WIRED«, dass die dahinter stehende MELO Group (bayerischer Grossist, ehem. Unternehmensgruppe Trunk) damit am Verlagsmodell der Zukunft bastele. Die gängige Währung für die Miete ist Content statt Euro. Und die unbequemen Hocker machten manche originelle — teils unbequeme — Idee unmittelbar erlebbar. Die Kreuzung aus Content-Marketing-Agentur, Coworking Space und Magazin — so stellte es Claudio Rimmele, der Chefredakteur des Community-Mediums »Daily Bread Mag« dar — kann dabei auf der kombinierten Reichweite seiner Content Creators aufbauen: 1,5 Mio. Follower auf Instagram, eine Million Facebook Reach, 200.000 bei Twitter.

Mobile Nutzererfahrung plattformübergreifend verbessern

Nutzungsdauer verlängern durch Wahrscheinlichkeitsrechnung: Serendipity-Empfehlungen von Alexander Erlmeier (Outbrain)

Erfolgskritischer wird für Publisher zudem Distributed Content, die Reichweite abseits eigener Plattformen. Deren Inhalte konsumieren immer mehr Nutzer nicht im ursprünglichen Medienmarkenumfeld, so Alexander Erlmeier (Managing Director Central Europe, Outbrain). Die Content-Discovery-Plattform sieht im anhaltenden Trend zu mehr Mobile-Nutzung — insbesondere von Messengern wie WhatsApp oder Facebook Messenger — Handlungsbedarf für viele Verlagshäuser. So fiel allein in den 12 Monaten bis Mai dieses Jahres die Facebook-Reichweite von Medienunternehmen um 42 % (SocialFlow, Juni 2016). Gleichzeitig wachsen die Klickraten (CTR) beim Einsatz von Googles Accelerated Mobile Pages Project (AMP) im Vergleich zum normalen Mobile Traffic.

Dieses veränderte Nutzerverhalten sieht Susanne Fittkau (Geschäftsführerin Fittkau & Maaß Consulting) in der exklusiven Vorabauswertung des »W3B Trendreports« bestätigt. Von Generation Y bis zu Silver Surfern stehen Smartphones und Notebooks einheitlich vor der Tablet-Nutzung. In der Generation Y jünger als 30 Jahre löst das Smartphone inzwischen TV und Print ab, ein Drittel konsumiert ausschließlich darüber Zeitschriften und Zeitungen.

Paid Content etabliert sich mobil

Der Medienwandel namens Mobile geht weit über Apps hinaus — und damit auch dessen Monetarisierung. Erstmals sind 75 % der repräsentativ befragten Internet-Nutzer bereit, für kostenpflichtigen Online-Content zu zahlen. Grund zum Jubel gibt es dennoch nicht, nur jeder Fünfte würde für Online-Publikationen oder einzelne Artikel bezahlen. Zudem verzerren E-Books, Musik und Filme inklusive Streaming das Umsatzranking. Und alle Altersgruppen sind in ihren Erwartungen anspruchsvoll.

Mindmap der Digitalwirtschaft: Die »WirtschaftsWoche« und »Der Kontext« widmen ihre gemeinsame Ausgabe einer interaktiven Entdeckungsreise zu den Treibern und Themen der digitalen Transformation

Genau die will Julia Köberlein (Geschäftsführerin / Creative Director, Kontextlab) mit ihrem interaktiven Hintergrundmagazin »Der Kontext« erreichen. In die Zeit passend erarbeitet das Start-up Alternativen zum Information Overload. Komplexe Themen wie der Syrien-Krieg oder die Energiewende werden visuell aufbereitet. Der Leser navigiert ähnlich einer Mindmap zwischen einzelnen Themenfeldern, die weiter ins Detail gehen und unterschiedliche Formate von Text über Grafiken bis Audio- und Videocontent bereithalten. Alle Inhalte liegen hinter der Bezahlschranke. Einzige Ausnahme ist eine Entdeckungsreise durch die Digitalwirtschaft, die in Zusammenarbeit mit der »WirtschaftsWoche« entstand (s. o.). Bisherige Erkenntnis: Statt Infosnacker sind die Leser „Thementieftaucher“.

Mobil-optimiert ist weiterhin unverzichtbar

Beide stehen sicherlich in der Zielgruppenbeschreibung der meisten Corporate-Publishing-Titel. Die Allianz legt mit ihrem inzwischen in Eigenregie entstehenden Magazin »1890« die Benchmark-Latte hoch bei Kauf-Magazinen wie »GEO« oder »ZEIT MAGAZIN«. Kampf dem Klischee, Kundengeschichten, authentische Inhalte mit der Kompetenz eines Versicherers — und mit optisch klar abgegrenzten Advertorial-Strecken, so skizziert Mario Vigl (Leiter Corporate Media, Allianz Deutschland) die Leitlinien des Kundenmagazins. Dazu gehören Geschichten wie acht echte kuriose Tierunfälle, die sich viral verselbstständigten oder eine genaue Schadensaufstellung der internen Experten, was der Kinohit »Paddington« als Versicherungsfall wohl gekostet hätte. Mobil-optimierte Webseiten sind für die monothematischen Magazine von Demenz über Digital bis Durchschnitt selbstverständlich, über 50 % der Leser sind Mobile-Nutzer.

Open Innovation und Start-up-Zusammenarbeit treibt kreative Inhalte und Lösungen

Die stellen für die Deutsche Bahn im Optimalfall knapp 100 % der Kunden. Neben Dauerbrennern wie zeitlich und örtlich besser abgestimmten Informationen oder WLAN im Fernverkehr ab Januar 2017 stellt der Staatskonzern seine Innovationsprozesse neu auf. Über interne Fragestellungen hinaus testet die Bahn, wie sie mit Open Innovation kreative Lösungen schneller auf die Schiene bringen kann. Onno Szillis (Leiter DB mindbox, Deutsche Bahn) schlägt einen weiten Bogen von Hackathons und dem Open-Data-Portal bis zum Förderprogramm DB Accelerator und ersten umgesetzten Projekten. Die Zusammenarbeit interner Experten mit Entwicklern und Start-ups führt zu erstaunlichen Konstellationen. So könnten die jährlich 5 Millionen Schließfachnutzungen künftig noch steigen: als Abholstation für EDEKA-Einkäufe oder einen Wäscheservice, wie ein Pilotprojekt an Berliner Bahnhöfen derzeit testet.

Neuen Partnern, neuen Lösungen für Bestandskunden und neuen Produkten hat sich auch dpa next verschrieben. Ausgehend vom Feedback von 350 Kunden und 250 Mitarbeitern wurden Innovationsansätze gesammelt, geclustert, nochmals intern und anschließend mit Kunden gegengeprüft. Daraus wurden im next lab 15 Prototypen, wie Antje Homburger (stv. Chefredakteurin / Chefin Aktuelles, dpa Deutsche Presse-Agentur) zusammenfasst. Neben direkt umsetzbaren Vorschlägen entstanden so neue Angebote wie ein Online-Monitoring, mit dem sich Artikel und ihre Verbreitung im Netz verfolgen lassen, oder passend zu den vielerorts erfolgreichen Frühstücks-Newslettern eine »Morgenlage« für Radio-, TV- und Online-Redakteure. Die externe Programmperspektive ist die Förderung europäischer Medien-Start-ups. Moderator Nico Lumma wechselte kurz die Stimmlage, er ist COO des von der dpa initiierten next media accelerator in Hamburg. Davon profitieren Unternehmen wie PushApps, das Push-Nachrichten auf Smartphones mit variablen Ein-Klick-Aktionen anreichert.

Social-Web-Plattformen wie Twitter und Instagram generieren mit diesen Push Notifications viel Nutzer-Engagement. Als Kuratierungstool könnten die populären #Hashtags so auch soziale Medien als Nachrichtenquelle nutzbar machen, schlägt HashtagNow-Mitgründer Jan König vor. 60 % ihrer Nutzer seien mobil, zwischen 18 und 25 Jahren und zu 57 % weiblich.

Führen diese Push-Nachrichten zu relevanten Inhalten, verlängert sich die Lesedauer — oder entsprechend die Nutzungszeit mit intelligenten Gamification-Ansätzen. Die nächsten Content-Formate sind Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), ist sich Evgeni Kouris (CEO & Co-Founder, Gamewheel) sicher. In den USA und Asien ist deutlich sichtbar, wohin sich die mobile User Experience (UX) entwickelt. Ein Content Innovation Day ist dafür erst ein Auftakt.

Dieser Artikel wurde zuerst im Magazin »PRINT&more« 4/2016 des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (VDZ) veröffentlicht. Den Artikel im Original-Layout gibt es sowohl als ePaper und Download als auch in den VDZ-Magazin-Apps für iOS und Android.

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