Financial Times & Nikkei: Digital-Pionier und japanische Link-Verbote

Der Medien-Musterschüler für digitale und mobile Geschäftsmodelle trifft auf ein sehr spezielles Verständnis von Paywalls.

Rolli Vogel
Digital Rethinking of Business Models

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Was die Ex-Economist- und bemerkenswert langjährige Pearson-Chefin Marjorie Scardino “nur über ihre Leiche” zugelassen hätte, fiel ihrem Nachfolger offenbar deutlich leichter. Sie war die erste Frau an der Spitze eines FTSE-100-Unternehmens und unter ihrer Ägide entwickelte sich die FT Group zu einem international geachteten Pionier in puncto Digitalisierung der Geschäftsmodelle. Den Zuschlag für die FT Group mit dem Flaggschiff Financial Times erhielt kein europäisches Medienhaus — Axel Springer fühlte sich zwischenzeitlich zum Dementi gezwungen — oder einer der großen Konzerne in Scardinos Heimat USA.

Pearson erfindet sich wieder einmal neu

Einig wurde sich die Mediengruppe Pearson mit der weltweit auflagenstärksten Wirtschafts- und Japans viertgrößter Zeitung Nikkei (“Nihon Keizai Shimbun” 日本經濟新聞) — und bewies einmal mehr die eigene Wandlungsfähigkeit. Samuel Pearson gründete vor gut 170 Jahren ein regionales Bauunternehmen; seine Nachfahren engagierten sich in der mexikanischen Erdölindustrie, was sie später an Royal Dutch Shell verkauften. Über Jahrzehnte war Pearson 45-%-Anteileigner am Londoner Bankhaus Lazard, die ersten Medien-Engagements begannen erst Mitte des 20. Jahrhunderts.

Die FT als Musterknabe unter den Digitalisierungsschülern

“…we are at an inflection point in global media. The pace of disruptive change in new technology — in particular, the explosive growth of mobile and social media — poses a direct challenge to how the FT produces and sells its journalism. It presents the FT with a great opportunity too — to reach more readers than ever before, in new and exciting ways.”

So drückt es Scardinos Nachfolger als CEO, John Fallon, in einem öffentlichen Blog-Beitrag aus. Auf dem Weg, mehr Leser als je zuvor zu erreichen, ist die FT Group bereits weit gekommen: Vor exakt einem Jahr hatte die “FT” mit 677.000 Abonnenten ein Allzeithoch erklommen (+13 %) — 455.000 davon, also zwei Drittel, sind Digitalabonnenten (+33 %). Mobile-Anteil: 20 % der neuen Digitalabos und knapp 50 % des gesamten Traffic.

Traurig, dass sich langer Atem und Abomodell nicht zumindest teilweise auf die Financial Times Deutschland übertragen ließen, das ehemalige Joint Venture mit G+J.

Digitaler Musterschüler trifft auf Paywall-Fanatiker

Bemerkenswert am Käufer: 2010 machte Nikkei von sich reden, indem sie die Verlinkung auf Artikel strikt reglementierten. Ohne schriftlich eingereichte Begründung sei selbst eine Verlinkung auf die Nikkei-Homepage unzulässig. Diese restriktive Handhabung stellt viele europäische Diskussionen über Paywall-Modelle in Europa und den USA in den Schatten. Wie sich diese Mentalität mit der bewusst deutlich digital orientierten FT verträgt, bleibt abzuwarten.

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Rolli Vogel
Digital Rethinking of Business Models

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