Wenn Wenzel Strapinski ein Handy gehabt hätte …

Klassiker lesen im Deutschunterricht — für viele Deutschlehrpersonen ein “Must” — für viele SchülerInnen und Schüler ein Frust. Ein etwas anderen Zugang hat Daniel Rickenbacker gewählt: Er hat der Hauptfigur aus Gottfried Kellers Klassiker “Kleider machen Leute” kurzerhand ein Mobiltelefon in die Hand gedrückt.

Sandra Steiner Matt
DIGITALE SCHULE
4 min readMar 28, 2021

--

Von Nicole, Raja, Lisa, 2Pa

Handlungs- und produktorientierter Unterricht: Diese Unterrichtsform ist laut Spinner (2003, S. 175) “am Ende des 20. Jahrhunderts zum meistdiskutierten Paradigma des Literaturunterrichts im deutschen Sprachraum geworden.” Dabei setzen sich SchülerInnen selbsttätig mit Literatur auseinander (handlungsorientiert) und produzieren eigene Texte, Bilder oder andere Medien zu einem vorgelegten Text (produktionsorientiert). Dabei, so Haas (2011, S. 40) sollen die SchülerInnen “Texte in andere Medien, Aussageformen und Situationen hinein übersetzen, sie variieren, modifizieren, ergänzen, verändern, ihnen widersprechen, sie spielen, aktualisieren, verfremden — alles in allem sie ohne falsche Ehrfurcht, aber mit wachsender Sensibilität als etwas Gemachtes und damit auch zumindest versuchs- und probeweise Veränderbares verstehen, produktiv und aktiv mit ihnen umgehen, ihnen nicht nur mit Gedanken, sondern auch mit Gefühlen begegnen, auf sie in jeder realisierbaren Form reagieren.”

Fake-WhatsApp-Generator im Unterricht — ja oder nein?

Von Tamina, 2Pa

Wunderbar funktioniert dieser Ansatz auch in Kombination mit den neuen Medien: Deutschlehrer Daniel Rickenbacher hat Gottfried Kellers Hauptfigur Wenzel Strapinski kurzerhand ein Mobiltelefon in die Hand gedrückt. Der Auftrag: Die Schülerinnen und Schüler sollen zu den ersten Kapitel einen WhatsApp-Dialog zwsichen Wenzel und seinem Freund erfinden — transferiert in unsere heutige Zeit.

Von Sophia und Chiara, 2Pa

Für die Umsetzung gab es verschiedenen Möglichkeiten. Einerseits existieren Fake-WhatsApp-Generatoren im Internet wie etwa FakeWhats der Medienpädagodik-Praxisblog hat diese hier aufgelistet. Nach mehreren Fake-WhatsApp-Meldungen in inoffiziellen Klassen-Chats zu anscheinend kranken Lehrpersonen oder ausgefallenen Prüfungen im letzten Jahr waren wir vorsichtig: Wecken wir nicht schlafende Hunde, wenn wir den Jugendlichen zeigen, wie sie Fälschungen professioneller erstellen können, als sie es sonst schon taten?

Im Gespräch mit der Klasse zu diesem Thema haben die Schülerinnen entschieden, ihre persönlichen Kontakt-Daten in den Chat-Diensten, die sie bereits nutzen, kurzfristig zu ändern in die Namen der Figurten aus der Novelle und die Aufgabe damit zu lösen. Eine Gruppe hat eine ganz andere Lösung gefunden und die Chat-Unterhaltung in Word visualisiert.

Einmal Hauptfigur einer Novelle sein

Eine der Begründungen: So fühlt es sich echter an. In der Tat merkt man an den Dialogen, dass die Jugendliche richtig reingezogfen wurden in die Geschichte: Die Dialoge sind schnell, rund, in ihrer Sprache. Sie waren für eine halbe Stunde der Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der sich trotz Armut gut kleidet und in der ihm fremden Stadt Goldach wegen seines Äusseren für einen polnischen Grafen gehalten wird, und dessen Freund.

Das Resultat ist auf jeden Fall erfrischend, hat SchülerInnen und Lehrperson Spass gemacht, den Klassiker in ein neues Licht getaucht und den fächerübergreifenden Diskurs eröffnet über weitere Themen: Die Jugendsprache und das Thema FakeNews.

Teams anstatt WhatsApp

Da gemäss Jurist und Datenschutzexperte Martin Steiger (13.1.2021, SRF Espresso) nicht ganz klar ist, was WhatsApp mit unseren Daten genau treibt, werden wir bei einem nächsten solchen Projekt auf die Chat-Funktion in unserem schulinternen Teams zurückgreifen.

Von Fiona, 2Pa

--

--

Sandra Steiner Matt
DIGITALE SCHULE

Dieser Blog dokumentiert und reflektiert meine Gedanken, Ideen und Aufträge im Rahmen des CAS MIM 2020/21 an der PHLuzern.