Der CIO gehört ins Top-Management, aber aus anderen Gründen als ich dachte

5 kontroverse Punkte zum Thema Agiles IT-Management

André Claaßen
Digitalfabrik
7 min readJan 28, 2018

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Book Cover: “A Seat at the Table”

Tatsache: Nur 17% der CIOs sitzen im Top-Management

Die Rolle des CIO (Chief Information Officers) gibt es schon seit über 25 Jahren. Der CIO soll die IT strategisch an das Business ausrichten (Business Alignment) und Kosten und Prozesse unter Kontrolle haben. Der CIO gehört nach Einschätzung der IT-Branche ins Top-Management, damit er diese Rolle optimal ausfüllen kann. So beschreibt auch das Beratungshaus Ernst & Young in seiner neuen Studie, DNA of the CIO, unter anderem die Erwartung der Geschäftsführer an Ihre CIOs:

Erwartungen des Top-Managements an den CIO (aus DNA of the CIO von EY)
  • Basics: Betrieb einer kosteneffizienten zuverlässigen IT
  • Sicherstellung der IT-Sicherheit
  • Technische Beratung für das Top-Management
  • Veränderungsbereitschaft
  • Flexibilität für das Business

Aber auch Ernst & Young stellt fest: Nur die wenigsten Geschäftsführer trauen ihren IT-Leitern die oberen Punkte überhaupt zu. Sie haben nur geringe Erwartungen an sie. Und Ernst & Young folgert richtig: Das ist weder für das Unternehmen, noch für die Rolle des CIO vorteilhaft.

Das Ergebnis der aktuellen Studie: Nur 17% der CIOs haben einen Platz am Tisch des Top-Managements.

Das ist überraschend wenig. Warum ist das so und wie kann der CIO das ändern?

Das Buch: A Seat at the Table

Mit Interesse habe ich daher das Buch von Mark Schwartz „A Seat At The Table“ gelesen, der versucht die Rolle des CIO neu zu positionieren. Und zwar in Richtung Top-Management! Dabei bricht Schwartz mit vielen Glaubenssätzen des IT-Managements.

Kurz ein paar Worte zu Mark Schwartz. Er ist langjähriger CIO und spezialisiert auf das Thema Business Value. Zuletzt arbeitete er als CIO in der US Bundesbehörde für Einwanderung und Immigration. Da ich selbst im Umfeld einer Bundesbehörde gearbeitet habe weiß ich, dass dort noch dickere Bretter las in der Privatwirtschaft zu bohren sind, damit sich Dinge bewegen.

Die folgenden fünf Positionen sind keine Zusammenfassung des Buches, stellen aber für mich zentrale Aussagen aus dem Buch von Mark Schwartz dar, die ich mir im folgenden auch zueigen mache:

Position 1: Das Paradigma der IT als interner Dienstleister zerstört Unternehmenswerte

Es wird den IT-Leitern immer wieder erzählt: Die IT müsse sich professionalisieren. Sie solle ein interner Dienstleister sein und das Unternehmen sei der Kunde der IT-Services.

Die Gründe für die Rolle der IT als interner Dienstleister liegen auf der Hand:

  • Notwendigkeit zur Kostenkontrolle der IT
  • Vergleichbarkeit des internen Dienstleisters mit externen Dienstleistern.
  • Verlässliche Vereinbarungen und Sicherstellung von Ergebnissen der IT.

Schwartz sagt: Langfristig zerstört dieses Denken Geschäftswerte, fördert die Arbeit im Silo und verhindert, dass die IT ein Innovationstreiber wird.

Das Paradigma “IT als interner Dienstleister” treibt letztendlich einen Keil zwischen der IT und dem Rest des Unternehms.

Die Gründe:

  • Aus Kollegen werden Geschäftspartner und Kunden. Damit wird eine gefährliche Distanz zwischen der IT und dem Rest des Unternehmens aufgebaut. Hat der Kunde nicht immer Recht? Wissen die Kunden wirklich immer, was sie brauchen? Geschäftspartner arbeiten nicht zusammen, sondern verhandeln Verträge.
  • Der Vergleich der internen IT mit externen Dienstleistern ist schwierig. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Externe Dienstleister kennen weder das Unternehmen noch dessen Bedürfnisse oder Prozesse. Das ist diffzil, weil damit Outsourcing-Angebot trotz scheinbarer Vergleichbarkeit nicht mit den Leistungen der internen IT verglichen werden können. Wir reden hier über nicht vergleichbare Produkte.
  • Die IT wird zum Cost-Center. Ein interner Dienstleister wird schnell nur noch nach den Kosten bewertet. Er stiftet als Cost-Center keine nennenswerten Mehrwerte und muss daher kontrolliert werden.

Position 2: Eine plangetriebene IT verhindert das Lernen und fördert Risiken

Klassischerweise werden IT-Projekte budgetiert und geplant. Der CIO leistet nur ganze Arbeit, wenn seine Projekte in Qualität, zum Termin mit hohem Kundennutzen geliefert werden. Die klassische CIO-Literatur sagt sogar: Der CIO sollte erst einige Projekte dieser Art realisieren, bevor er sich den Platz am Tisch des Top-Management verdient.

Aber IT-Projekte sind hochkomplex und oft sehr fremdbestimmt. Das verzweifelte Festhalten an Plänen führt dazu,

  1. dass halb erledigtes als erledigt gemeldet wird,
  2. dass ein Status “grün” gemeldet wird, obwohl das Projekt schon in Verzug ist
  3. oder dass das Team meldet, dass es im Plan zurückgefallen ist aber dass man den Rückstand im nächsten Meilenstein aufholen wird.

Der letzte Punkt ist der Schlimmste, weil er die Lerneffekte der Verzögerung vollständig ignoriert werden. Die Folgen des starren Festhaltens an Planungen und Budgets kann man bei IT-Großprojekten insbesondere im öffentlichen Sektor sehen.

Agile und Lean Methoden können helfen, aus dem Dilemma herauszukommen:

  • Große Pläne und seltene Lieferungen sind aus Sicht des Lean Production Verschwendung und Vernichtung von Geld. Besser ist es, kleiner zu planen und häufiger zu liefern.
  • Lean sagt, dass Entscheidungen zum spätmöglichsten Zeitpunkt getroffen werden sollen. Obwohl sich das intuitiv falsch anhört, ist es richtig. Zum spätmöglichsten Zeitpunkt stehen die bestmöglichen Informationen für eine bestmögliche Entscheidungsfindung zur Verfügung.
  • Gutes Management ist das Management zum Lernen. Das Lernen führt zu neuen Informationen. Die neuen Informationen führen zu besseren Entscheidungen. Die besseren Entscheidungen sparen Geld. So einfach ist das.

Position 3: Unternehmenskritsche IT-Lösungen sollten entwickelt und nicht gekauft werden

So kennen wir es: Der CIO sollte prüfen, ob eine IT-Lösung am Markt bezogen oder selbst entwickelt wird. Make or Buy! Dabei sagt die klassische IT-Lehre auch: Kaufen ist grundsätzlicher besser als machen.

Die Gründe für die Bevorzugung des Kaufes liegen auch auf der Hand:

  • Eine Lösung am Markt kann sofort beschafft und nach Konfiguration unmittelbar eingesetzt werden.
  • Die Risiken der Nutzung sind im Vergleich zu einer Neuentwicklung gering. Die gekaufte Lösung hat sich am Markt bereits etabliert.
  • Die Kosten für gekaufte Lösungen sind kalkulierbar.

Schwartz nennt folgende Gründe, warum die Entwicklung von IT-Lösungen bevorzugt werden sollte:

  • Gekaufte Lösungen müssen an die Veränderung der Geschäftsmodelle angepasst werden. Hat der Lieferant ein Interesse an die Optimierung Ihres Geschäftsmodells? Nein, für ihn sind die nächsten Kunden wichtiger. Individuelle Anforderungen Ihres Unternehmens werden nicht oder nur schlecht umgesetzt.
  • Wenn man auf die Gesamtkosten einer IT-Lösung schaut, ist die Beschaffung oder Lizenzierung nur der kleinste Betrag. Schnittstellen, Integration und oft auch der Betrieb treiben die Kosten hoch. Am Ende ist es oft so, dass die bezogene Lösung sich nur schlecht in Unternehmensprozesse integrieren lassen, weil erforderliche Schnittstellen und Kompetenzen fehlen.
  • Wir greifen heute auf einen riesigen Schatz an fertigen Komponenten, Lösungen und Frameworks in Form von Open-Source Lösungen zu. Auch kommerzielle Lösungen basieren heute in der Regel auf Open-Source. Es gibt daher keine Neuentwicklung mehr, sondern immer eine Nutzung von bestehenden Komponenten.
  • Cloudbasierende Ansätze ermöglichen die Abbildung der vollständigen IT-Infrastruktur als Software. Das vereinfacht den Betrieb dramatisch, wenn Software und Infrastruktur per Knopfdruck wieder hergestellt werden können.

Meine Sicht dazu ist: Die Digitalisierung ist voll im Gang. Unternehmen müssen neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln. Sie müssen sich vernetzen und digital agieren. Durch die Digitalisierung bekommt die IT einen unglaublich hohen Stellenwert am zukünftigen Unternehmenserfolg. Und dieser sollte nicht an Fremdsoftware hängen.

Position 4: Nutze die Schatten-IT für den Aufbau einer Community im Unternehmen

Das ist harter Tobak. Schatten-IT entsteht, wenn die IT den Anforderungen des Unternehmens nicht gerecht werden kann oder bestimmte Regelungen aus der IT-Governance das verhindern. Schatten-IT ist, wenn eine Abteilung oder irgendjemand selbst die IT-Lösung beschafft oder entwickelt, oft ohne Wissen der IT-Abteilung.

Das Entstehen von Schatten-IT ist für die IT-Abteilung in der Regel ein absolutes Alarmsignal oder rotes Tuch.

Und es gibt auch Gründe dafür:

  • Schatten-IT gefährdet die IT-Sicherheit
  • Schatten-IT kann zu nicht pflegbaren Lösungen führen.
  • Schatten-IT verletzt die IT-Standards.

Aber die Schatten-IT gibt es ja nicht ohne Grund. Vielleicht gibt es ja eine Möglichkeit, die Begeisterung der Nutzer für die heutigen technischen Lösungen zu nutzen? Wenn die Projektleute WhatsApp zur Kommunikation nutzen, oder das Projektmanagement im Vertrieb über Trello durchgeführt wird, dann sind diese Tools durchaus ernst zu nehmen.

Eine Idee wäre es, das Silo-Denken der IT aufzugeben. Silos führen zu einer Abgrenzung. Unternehmen wie Google machen es vor. Das Unternehmen ist eine Community. Der Software-Code und die IT-Lösungen stehen der Unternehmung insgesamt zur Verfügung. Gegenseitige Hilfe wird gefördert und ist absolut erwünscht. Vor dem Hintergrund ist Schatten-IT für den CIO die Aufforderung zur Bildung einer Community und die gemeinsame Schaffung von Lösungen.

Position 5: Der CIO sollte aufhören, die IT im Top-Management über Kennzahlen zu verkaufen

Beratungshäuser sagen, Der CIO erobert seinen Platz am Tisch des Top-Managements, wenn er den Nutzen der IT darstellen kann. Die Mehrwerte der IT soll er über Kennzahlen darstellen: Beispielsweise Verfügbarkeit, Kosten, Stabilität oder Projekte, die in Zeit und Budget und mit Zufriedenheit der Ergebnisse abgeschlossen wurden.

Schwartz sagt, das ständige Aufzeigen des Mehrwertes der IT durch Kennzahlen, Berichte oder Präsentation hilft keinem. Die IT bleibt in der Cost-Center Rolle. Sie hält das Licht am Leuchten und sollte möglichst nichts kosten.

Was brauchen wir statt dessen? Ganz einfach, echte Mitarbeit und Ausgestaltung der Geschäftsziele. Die IT arbeitet daran genauso mit, wie das Marketing, die Produktentwicklung oder das Controlling.

Das bedeutet wiederum, dass die IT raus aus Ihrem Silo und rein in die Abteilungen muss und dort mit unterstützt. Wir sind also wieder beim Thema Community-Bildung als ein Ziel der künftigen Unternehmensgestaltung im Kontext der Digitalisierung.

Mein Resümee: Mut für echte Zusammenarbeit!

Aus meiner Sicht ist das Buch von Mark Schwartz ein erster Schritt in eine Diskussion über die künftige Rolle der IT. Viele Ideen und Thesen wirken noch fremdartig oder geradezu absurd, aber die Digitalisierung nimmt ihren Lauf und die Ausgestalter der Digitalisierung sind oftmals Hacker, die mit hohem Engagement an gemeinsamen offenen Lösungen arbeiten.

Die wichtigste Voraussetzung für den neuen CIO ist Mut. Der Mut, die IT aus Ihrem Silo als Dienstleister herauszuführen und zu einem echten Unternehmensbestandteil zu machen. Genauso, wie die Produktentwicklung, das Marketing oder das Controlling.

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André Claaßen
Digitalfabrik

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