Reicht es, wenn ich “gut” bin?

Alternativen zum gegenwärtigen Energie-Regime

GeorgDiez
Disrupt Democracy
4 min readFeb 11, 2018

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Was sind Alternativen zum gegenwärtigen Energie-Regime? Also zu Öl, Kohle, all die fossilen Energiequellen, die für die Erderwärmung ursächlich verantwortlich sind.

Die Zeit drängt, sie ist womöglich schon abgelaufen. Das Klimaziel von weniger als zwei Grad Erderwärmung scheint nicht mehr zu schaffen.

Aber ist das so? Und was wären konkreten, positive, inspirierende Schritte, um aus der umfassenden Ratlosigkeit und Passivität auszubrechen, die viele Bürger so zu lähmen scheint?

Es geht um ein Vorwärts, um konkrete und innovative Lösungen, es geht darum, die technologischen, die rechtlichen, die lebenspraktischen und auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu kennen, um Schritte aus der Passivität zu finden.

Manchmal kann das sehr überraschend sein. Fossile Energieerzeuger etwa sind mit ihren Gegen-Interventionen oft sehr viel innovativer als viel NGOs und Intellektuelle — wichtig ist, dass die Interventionen einfach sind und smart und radikale Ziele verfolgen.

Was fehlt, ist ein heutiges Zielbild, eine mutige Utopie — es reicht eben nicht, dass Produkte oder Prozesse einfach energieneutral sind, wie heute oft gefordert und gelobt, wir brauchen Produkte und Prozesse mit negativen Emissionen. Dafür müssen wir unter anderem Stoffkreisläufe neu und lokal denken, auf fossil getriebene Mobilität und Transport komplett verzichten.

“Wir stehen vor einer der wirtschaftlich interessantesten Transformationen der Geschichte”, sagt etwa John E. Morton, der Energie-Berater von US-Präsident Barack Obama. In den nächsten Jahrzehnten werden Hunderte von Millionen von Jobs geschaffen und Billionen von Euros im Energiebereich investiert — und das von staatlichen Akteuren und Firmen, die an eine dekarbonisierte Zukunft bei gleichzeitigem Wohlstand glauben.

“Wir werden gigantische Veränderungen erleben, wie wir Energie und Ernährung erzeugen, wie wir uns fortbewegen und wie wir konsumieren”, so Morton. Und diese Veränderungen kommen viel schneller, als die meisten Menschen merken. Die schlechte Nachricht dabei: Die Veränderung ist immer noch viel zu langsam. Wie also können wir diesen Prozess beschleunigen?

Mortons Antwort: Wir müssen alle Hebel umlegen, Politik, Forschung und Entwicklung, Innovationsförderung, aber vor allem: private Kapitalströme müssen beschleunigt werden, von den 150 Milliarden US-Dollar, die von Industriestaaten pro Jahr für Entwicklungshilfe ausgegeben werden, sollten zehn Prozent für Projekte mit erneuerbarer Energie verwendet werden.

Diese 15 Milliarden US-Dollar werden dann mit privaten Geldern um den Faktor 20 gehebelt, somit erhält man 300 Milliarden US-Dollar, die in Märkte und Branchen investiert werden können, deren Aktivitäten dem globalen Klima besonders schaden. Es ist dabei kein Zufall, so Morton, dass diese 300 Milliarden US-Dollar auch genau jene Finanzierungslücke sind, die offen ist, um die Ziele des Pariser Klima­abkommens zu erreichen.

Also konkret, die Marke von weniger als zwei Grad Celsius, wobei für die Menschen auf den Inseln im Pazifik, die von Vernichtung bedroht sind, ein Ziel von 1,5, Grad Celsius nötig wären. Es bleiben nur noch maximal drei bis fünf Jahre, um einen Emissionsstop zu organisieren.

Das ist der Hintergrund der Initiative Fossil Free, für die etwa Tine Langkamp eintritt. Sie kämpfen um ein Umdenken von Kommunen: Auch die Berliner Finanzverwaltung ist bereits überzeugt, dass Pensionsfonds nur noch ethisch-ökologisch investieren. Im Juni 2016 haben alle fünf Fraktionen beschlossen, die Versorgungsrücklagen von rund 750 Millionen Euro nicht mehr bei den Energieriesen RWE und e.on und dem Ölmulti Total anzulegen.

Das sind konkrete Erfolge. So wie auch der Prozess des Peruaners Saúl Luciano Lliuya, der zusammen mit Germanwatch und einem Team von Anwälten Klage gegen einen Haupt-Verursacher von weltweiten Emissionen erhoben hat, RWE: Das Oberlandesgerichts Hamm gibt klar zu erkennen, dass große Emittenten wie RWE grundsätzlich verpflichtet sind, Betroffene von Klimaschäden in armen Ländern zu unterstützen. Auch Klagen in anderen Ländern, in den Niederlanden, Norwegen und den USA haben zunehmend Erfolg.

Ein anderer Ansatz ist der Konsum, ist das Verhalten der Menschen, die Dinge kaufen und verwenden — hier haben wir ein Design-Problem, sagt Nora Sophie Griefahn, eine Vertreterin der Bewegung Cradle to Cradle: Wir sollten unsere Konsumgüter so designen, dass wir sie nutzen können, aber dass die Umwelt sie später ebenfalls noch nutzen wird.

Bei Cradle-to-Cradle spricht man von einem biologischen und einem technischen Kreislauf: Produkte so gestalten, dass sie als Verbrauchsprodukt in biologische Systeme gehen können und als Gebrauchsprodukt in technischen Systemen immer wieder zirkulieren und nicht zu Abfall werden, sondern zu Nährstoffen, für etwas Anderes — also von der Wiege zur Wiege statt von der Wiege zur Bahre.

Für all diese Veränderungen gibt es verschiedene Ebenen, die Politik, die Gesellschaft, die Ökonomie. Ein radikaler Schritt wären Verbote, dafür wären Gesetzesänderungen notwendig. Das Verbot von Autos in Städten, das Verbot von fossiler Energie überhaupt, das Verbot von Tierprodukten.

Alles denkbar, besonders, wenn man die gesamten Kosten von Produkten und Prozessen anrechnet, also auch die Folgekosten durch Umweltschädigung, Katastrophen, Flucht. Voraussetzungen für solche Schritte in der Politik sind gesellschaftliche Veränderungsprozesse, man könnte auch sagen, es ist die Demokratie am Ladentisch.

Hier sieht man, dass auch Wachstum an sich das Problem sein kann, also die auch gesellschaftliche Grundlage und Realität des späten Kapitalismus. Das Ziel ist eine andere Definition von wirtschaftlichem und damit auch gesellschaftlichem Fortschritt, weg vom reinen Wachstumsbegriff. Wer aber ist hier der Agent, an wen richten sich diese Forderungen?

Auch hier ist es ein größerer Umdenkprozess, der notwendig ist, ein positiver Humanismus, menschenzentriert und dabei umweltbewusst, der Mensch im Zentrum und doch nicht im Zentrum. Wer bestimmt, was wir brauchen? Am Ende sind wir es selbst.

Aber reicht es, wenn ich “gut” agiere? Reicht überhaupt eine nationale, eine europäische Lösung? Wie kann man die Betroffenen der Entwicklungen selbst beteiligen? Wie kann man Öko mit Ökonomie koppeln? Gute Lösungen also auch aus falschen Gründen. Mehr Rendite also sogar durch ökologisch verantwortungsvolle Prozesse.

Am Ende geht es um die Erzählung des Wandels, des Neuen, des Positiven. Kunst, Bildung, Technologie, all das ist Teil dieser Erzählung. Wer ist der Mensch? Und wer soll es sein?

Dieser Essay ist das Gemeinschaftsprodukt von Nora Sophie Griefahn, Emanuel Heisenberg, Tine Langkamp, John E. Morton, Lutz Weischer und der Teilnehmer der Veranstaltung School of Disobedience 1 im Roten Salon der Volksbühne Berlin, veranstaltet von Disrupt Democracy in Kooperation mit Armen Avenessian and Enemies.

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