Flucht und Migration Dokumentarfilm

Anli Serfontein
docfilm42
Published in
5 min readMar 9, 2020

Interview mit der Regisseurin von Yves’ Versprechen

Anli Serfontein sprach mit Melanie Gärtner

Melanie, du warst mit deinem Film Yves’ Versprechen in Kinos in ganz Deutschland unterwegs. Was hat das Publikum am meisten bewegt?

Regiseurin Melanie Gärtner ©Melanie Gärtner

In dem Film geht es ja um die Geschichte eines jungen Mannes aus Kamerun, der sich nach einer Abschiebung nicht traut, seiner Familie unter die Augen zu treten. Für das Publikum war vor allem die Familiengeschichte berührend. Familie funktioniert in Yves’ Kultur anders als bei uns und es ist spannend im Film zu beobachten, wie unterschiedlich die Rollen verstanden werden. Zugleich haben die Beziehungen zwischen Vater und Sohn, Schwester und Bruder aber auch universelle Komponenten, in denen sich auch das deutsche Publikum wiederfinden kann. In dieses Beziehungsgeflecht einzutauchen ist für die Zuschauer sehr bewegend — und ermöglicht eine ganz andere und einander verbindende Perspektive auf das so vielbesprochene Thema Flucht und Migration.

Wie hast Du Yves, deinen Protagonist, kennen gelernt?

Ich kenne Yves von den Dreharbeiten zu meinem ersten Film Im Land Dazwischen, den ich in der spanischen Exklave Ceuta drehte. Damals war Yves gerade mit dem Schlauchbot in Spanien angekommen. Nachdem ich wieder in Deutschland war, hörte ich lange nichts von ihm. Erst zwei Jahre schrieb er mir: man habe ihn abgeschoben und zurück nach Kamerun gebracht. Dort sei er aber sofort wieder aufgebrochen und sei nun am Grenzzaun vor Ceuta in den marokkanischen Wäldern. Ich konnte es nicht fassen und habe sofort einen Flug gebucht. Ich wollte unbedingt erfahren, was ihm widerfahren war.

Protagonist Yves Matouo ©M-eilenwelt

Was hat es mit diesem Versprechen von Yves auf sich?

Eigentlich hat Yves gar nichts versprochen. Aber für seine Familie wirkt schon der Aufbruch nach Europa wie ein Versprechen. Denn wie kann es sein, dass man in Europa, in dem alles so viel einfacher scheint, als im korrupten Kamerun, keinen Erfolg haben kann? Das über Jahrhunderte durch Missionierung und Kolonialisierung aufgebaute Bild eines scheinbar überlegenen Europas ist mächtig und konfrontiert Yves mit Erwartungen, denen er in seiner Situation ohne Aufenthaltserlaubnis und ohne Arbeit gar nicht gerecht werden kann. Die gesellschaftliche Erwartung an ihn ist groß, daraus kann er sich nicht befreien.

Du wirst eine Art Botschafter zwischen Yves in Europa und seine Familie in Kamerun. Wie war diese Rolle für Dich?

Melanie Gärtner in Kamerun bei der Filmfestspiele mit Yves’s Schwester und seinem besten Freund © Melanie Gärtner

Ich hatte in dem Prozess viele verschiedene Rollen — und diese auszuhandeln war tatsächlich eine Herausforderung: ich war Regisseurin, für Yves eine Freundin und Gesprächspartnerin, für Yves’ Familie sogar Repräsentantin von Yves und nicht zuletzt auch einfach eine Europäerin. Ich habe mit allen Protagonisten ein sehr vertrauensvolles Verhältnis und habe im Haus seiner Schwester gewohnt. Zugleich bekam ich die monetären Erwartungen an Yves auch selbst zu spüren. Ich habe immer versucht, die Verhältnisse offen zu legen und Yves vor verstärkten Erwartungen zu schützen. Dieses Prinzip der Transparenz habe ich auch im Film in die Erzählhaltung aufgenommen: Reaktionen auf Regieanweisungen sind nicht rausgeschnitten, meine Präsenz vor Ort ist spürbar, Unausgesprochenes bleibt ungesagt, Widersprüche bleiben stehen. Dadurch entsteht in der Sinnhaftigkeit des Films ein Raum, der mehr sagt, als die Worte, die gesprochen werden. Das gibt den Beobachtungen Tiefe und Wahrhaftigkeit.

Was geschieht mit Menschen, die es in Europa nicht schaffen?

Abgeschoben zu werden ist ein Stigma, wird sozial geächtet. Jeder, der es „nicht schafft“, seine Chance in Europa zu nutzen, enttäuscht Erwartungen. Die Beispiele derer, die es „schaffen“ und Geschenke nach Hause schicken, Tauffeste und Hochzeiten zahlen oder das Schulgeld für die Geschwister übernehmen, sind zahlreich. Die Familie beginnt zu spekulieren: Wenn andere es schaffen, aber er nicht, dann werfen sie ihn Europa sicherlich raus, weil er etwas verbrochen hat.

Die Kriminalisierung von Migranten bei uns hat mit dieser Lesart auch zu tun und führt dazu, dass Abgeschobene in ihren Heimatdörfern belacht und bespuckt werden. Diese soziale Ächtung ist ein großes Problem, dem sich mittlerweile auch lokale NGOs annehmen. So gibt es Vereine, die Abgeschobene am Flughafen abholen und zu ihren Familien begleiten, um den Angehörigen zu erklären, dass die Abschiebung politische Gründe hat und nicht mit dem Versagen des Einzelnen zu erklären ist.

Warum ist ein Film wie Yves’ Versprechen relevant?

Melanie Gärtner und Yves Matouo bei einer Screening in Frankfurt ©Melanie Gärtner

Die Debatten um Migration, Flucht und Asyl reißen nicht ab und die Herausforderungen sind vielschichtig. Welche Konsequenzen haben Abschiebungen für die Betroffenen? Wie kommt der immense Druck zustanden, der vielen Menschen den Tod im Meer erträglicher erscheinen lässt, als mit leeren Händen zurückzukehren?

Als Dokumentarfilmerin ist es meine Aufgabe genau hinzusehen. Das größte Kapital, das ich dabei habe, ist Zeit: Ich lasse mich komplett auf meine Protagonisten ein, tauche ein in ihre Lebenswelt und erzähle aus dieser heraus ihre Geschichten. Ich liefere keine einfachen Lösungen, sondern öffne ein Fenster in eine andere Kultur und trage dazu bei, Menschen in anderen Lebenssituationen besser zu verstehen. In Zeiten, in denen der Ruf nach einfachen, schnellen Lösungen immer lauter wird, ist das ein wichtiger Beitrag zu Besonnenheit und gegenseitiger Anerkennung.

Watch the Film:

Film Poster

Yves’s Versprechen

(Yves’ Promise)

Auf den docfilm42 Channel auf realeyz mit deutschen oder englischen Untertiteln

Mehr über den Film Yves’ Versprechen (Yves’ Promise)

Auf docfilm42

Yves’Versprechen / Yves Promise Filmwebsite

Verleih JIPFilm Verleih

Melanie’s Website

Auf IDFA Film Festival

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