“Arbeitsrechte müssen für alle Menschen gelten”
Die Interessenvertretung UNDOK kämpft gegen ein ausbeuterisches System.
Von Michael Bonvalot
„Menschen, die nach wochenlanger Arbeit viel zu wenig oder sogar gar keinen Lohn bekommen — das erleben wir in der Beratung immer wieder. Oft sind es Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder ohne gültige Aufenthaltstitel. Und es ist offensichtlich, dass diese Menschen von den Unternehmen gezielt betrogen worden sind.“ Heidrun Aigner, Geschäftsführerin der Beratungsstelle UNDOK, zeigt ihre Empörung, wenn sie von solchen Fällen berichtet.
Aigner erzählt den Fall von Frau S., einer Klientin aus Serbien, die mehrere Jahre in einem Kaffeehaus als Kellnerin und Reinigungskraft arbeitete. „Dabei standen massive Übertretungen der Arbeitszeit auf der Tagesordnung. Mit einem Stundenlohn von rund vier Euro wurde auch der kollektivvertragliche Mindestlohn bei Weitem unterschritten“, so Aigner. Als die Firma versäumt hatte, die Beschäftigungsbewilligung für S. beim AMS zu verlängern, sollte die Kellnerin auch noch selbst die Strafe bezahlen oder abarbeiten.
Schließlich wandte sich S. an UNDOK, um ihre arbeitsrechtlichen Ansprüche einzuklagen. „Für Frau S. hat sich der Kampf gelohnt. Über einen gerichtlichen Vergleich und unterstützt von der Arbeiterkammer erhielt sie rund 12 000 Euro nachbezahlt. Und die Geldstrafe musste der Firmeninhaber selbst bezahlen“, sagt Aigner.
UNDOK, das ist die „Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender“ in Österreich. Hier werden Menschen ohne oder mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder mit eingeschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt beraten und unterstützt. EU-BürgerInnen werden nach einer Erstberatung an die Arbeiterkammer (AK) und den Österreichischen Gewerkschafsbund (ÖGB) weiterverwiesen, wo es die Beratung in verschiedenen Sprachen erfolgen kann.
Die AK und die Fachgewerkschaften Bau-Holz, GPA-djp, vida und PRO-GE haben laut Geschäftsführerin Aigner eine tragende Rolle für die Arbeit der Beratungsstelle. Ebenfalls beteiligt sind die ÖH-Bundesvertretung, NGOs sowie selbstorganisierte MigrantInnenorganisationen und antirassistische und basisgewerkschaftliche AktivistInnen.
Ohne Versicherung
Aus der Praxis kennt Aigner zahlreiche Fälle von Ausbeutung unter Arbeitenden ohne Papiere. „Übel sind die Verhältnisse etwa am Bau oder in der 24-Stunden-Pflege. Dort kämpfen wir auch mit dem Problem der Scheinselbstständigkeit“, sagt sie.
Davon kann auch Mario Bartl von der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) ein Lied singen. Bartl erzählt vom Fall eines Kollegen, der über Jahre scheinselbstständig und deshalb nicht versichert war. „Nach einem Arbeitsunfall am Bau musste er mehrere Monate ins Krankenhaus und auf Rehabilitation.“ Das Strafverfahren gegen den Arbeitgeber wurde allerdings eingestellt, erzählt Bartl. „Der hat nach dem Unfall das Geländer, von dem der Arbeiter gefallen war, nachträglich gesichert. Jetzt liegt die Beweislast bei unserem Klienten. Und die hohen Rechnungen für Krankenhaus und Rehabilitation sind für ihn existenzbedrohend.“ Laut Bartl kein Einzelfall. „Viele Menschen erfahren erst, dass sie nicht versichert sind, wenn sie krank werden oder es Arbeitsunfälle gibt. Dann bleiben sie oft auf horrenden Kosten sitzen.“
Ein spezielles Problem am Bau sind auch die gezielten Konkurse von Subunternehmen. Bartl spricht von einem undurchsichtigen Netz mit Ketten von Subfirmen. „Die Personen, die zu uns kommen, wissen oft nicht einmal, bei welcher Firma sie letztlich beschäftigt sind.“ Wenn eine Subfirma in Konkurs geht, fallen die Beschäftigten oft um ihre Ansprüche um, die Krankenkassen werden um die Abgaben geprellt.
Überausbeutung
Undokumentierte Arbeit könne viele Formen und Gesichter haben, sagt Aigner. Oft sei ein Teil der Arbeitszeit dokumentiert und angemeldet, ein anderer Teil werde informell geleistet. Die Folgen für die Betroffenen: weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld, weniger Krankengeld, weniger Arbeitslosengeld, weniger Pension, weniger Abfertigung. „Die Menschen sind überausbeutbar, sie werden betrogen, die Arbeit ist oft anstrengend und gefährlich, es gibt keine Schutzstandards, die Kollektivverträge werden nicht angewendet, die Arbeitszeiten ufern extrem aus, es gibt keine Sonderzahlungen und keine Versicherungsleistungen und immer wieder sogar sexualisierte oder andere Übergriffe“, zählt Aigner auf.
„Eigentlich gilt das Arbeitsrecht unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Kollektivvertrag und Arbeitszeit gelten für alle Arbeitenden“, so Aigner. „Doch manchmal ist es aufgrund des Aufenthaltsstatus schwierig, vor Gericht zu gehen.“ Das wüssten auch die Unternehmen, die die Betroffenen ausbeuten. „Migrationsgesetze erschweren es für die Betroffenen, zu ihrem Recht zu kommen. Und wir müssen natürlich in der Beratung den Aufenthaltsstatus mit beachten, damit die Betroffenen keine zusätzlichen Probleme bekommen.“
Manchmal wären die gesetzlichen Rahmenbedingungen regelrecht absurd, sagt Aigner. So ist etwa die Beschäftigungsbewilligung ein Antrag, den die Firmen beim AMS stellen. Die ArbeitnehmerInnen haben dabei keine Parteienstellung, also keinen Anspruch auf Mitsprache. „Die KollegInnen erfahren beispielsweise nicht, ob die Arbeitgeber alles korrekt gemacht haben. Sie werden aber bestraft, wenn sie ohne Beschäftigungsbewilligung arbeiten“, sagt Aigner.
Für Aigner ist das aber nur ein Beispiel für dringend anstehende Änderungen. Denn letztlich ziele UNDOK auf größere Veränderungen ab. „Arbeitsrechte“, sagt Aigner, „müssen für alle Menschen gelten.“