Die gefährliche Besteigung des „Sgorr na Ciche“

Zum Teil nach wahren Begebenheiten

Peter Vollmer
Ein Bild von Schottland (2014)

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Die Einheimischen zittern, wenn Sie „Sgorr na Ciche“ hören — den Namen der Felsspitze, die sich prominent über Glencoe erhebt. Östlich des Dorfes und nördlich unseres Lagers provoziert sie erfahrene Kletterer schon von weitem.

Unser Trailer im Wald: Hier tanzen die Mücken Samba.

Kurz nach dem Morgengrauen trafen wir uns hochmotiviert in unserer Küche, um nach einigen Scheiben Obst mit Weißbrot die Rucksäcke zu schultern und uns auf den knirschenden Kiesweg vor unserem Trailer zu machen. Ein kleiner Spatz begleitete uns aufgeregt für eine Weile; und die Wärme des kommenden Tages ließ uns bei dem hohen Tempo, das wir nun anschlugen, schon bald arg schwitzen.

Bitte nicht: Die Briten lieben ihre Verbotsschilder. Der Baum wächst trotzdem nicht symmetrisch. Ätsch.

Über einen schmalen Pfad wanderten wir erst ein Stück um den Berg herum, vorbei an grünem Farn und verwachsenen Bäumen. Eine Gruppe mittelalter Frauen, die wir bereits von weitem gesehen hatten, holten wir schließlich am Ufer eines Baches ein, der sich fröhlich sprudelnd den Berg herabschlängelte.

Hier teilte sich der Weg: Eine kleine Bücke führte über den Bach auf einen Weg, den das Wasser so aufgeweicht hatte, dass sich die Sonne auf der Erde spiegelte. Dahinter war allerdings kein weiterer Weg zu erkennen. Deshalb entschieden wir uns für den, der steil nach oben führte: Eine nahezu vertikale Halde, deren spitze Steine sich durch einfachere Schuhe als unsere einfach durchgebohrt hätten.

Wo einst ein Weg war, ist nun ein Schlammfluss: Über die Brücke wollten wir nicht.

Nach und nach arbeiteten wir uns parallel zum Fluss nach oben, in Richtung des Gipfels. Die Frauen hinter uns sollten wir nie wieder sehen. Doch daran dachten wir noch nicht, die sengende Sonne und der steile Aufstieg forderten unsere ganze Aufmerksamkeit. Und doch waren sie nichts im Vergleich zu dem, was uns bevorstand.

Angriff der Tiere

Auch wenn die Sonne erbarmungslos auf uns herabbrannte: In der Nacht zuvor hatte es ergiebig geregnet. Der torfige Boden war tückisch, denn der Regen lässt eine dünne Erdschicht über Löcher wachsen. Eine gefährliche Falle: Nach kürzester Zeit war es Kili, der mit dem gesamten Bein in ein Torfloch einbrach. Doch er hatte Glück im Unglück: Keine Verletzung, nur ein Schreck und eine dreckige Hose. Wenig später wurde die Situation kritischer.

Der harte Teil des Aufstiegs beginnt. Und die Gefahr fliegt von allen Seiten heran.

Ein Klatschen, ein Schrei. „Ah!“ Wir drehten uns um: „Martin, ist alles in Ordnung?“ Ein münzgroßes Tier fiel leblos von seinen Armen ab. Doch schon näherten sich uns zwei weitere: Bremsen, die Schrecken aus den Hügelgräsern. Nach und nach lösten sich weitere Tiere aus dem torfigen Boden, so dass wir uns im wahrsten Sinne des Wortes mehrfach unserer Haut erwehren mussten.

Martin und mich traf es so schlimm, dass wir uns einen regelrechten Wettbewerb darauf machten, uns die Zahlen der erschlagenen Bestien zuzurufen. Als wir schließlich die grün-braune Flora verlassen und auf einem Felsplateau rasten konnten, waren wir gleichauf. Doch das konnte unsere Stimmung nicht heben — zu sehr hatten uns Sonne, Aufstieg und der Angriff der fliegenden Tiere zugesetzt. Mit müden Gliedern zogen wir die verschrumpelten Äpfel, die man uns im Dorf verkauft hatte, aus den Rucksäcken und aßen schweigend.

Die Landschaft wird schroffer.

Erst nach einigen Augenblicken sahen wir etwas, das uns seufzen ließ: Den eigentlichen Weg, der sich einige hundert Schritt von uns entfernt fröhlich durch das Tal schlängelte. Doch wohin, das konnten wir nicht sehen. Wir waren vom Weg abgekommen und hatten keine Chance, diesen in näherer Zeit wieder zu erreichen.

Atemberaubender Ausblick, dazu eine tolle Landschaft (Foto: Esser)

Nicht nur wegen der geschafften Höhenmeter zog ein kalter Wind auf, den wir zuvor nicht bemerkt hatten: Es schoben sich mächtige Wolken an den Gipfelspitzen vorbei und verdeckten den blauen Himmel. Es hätte uns eine Warnung sein können — aber wir freuten uns über die willkommene Abkühlung.

In Felsen

Ein Fest für Freunde fester Felsen.

Die Landschaft wurde immer schroffer, und so blieb uns schon bald nichts anderes mehr übrig, als uns in die Felswand zu begeben: Nahezu vertikal, aber immer wieder mit Griff- und Trittmöglichkeiten. Die Bepflanzung hatte sich auf diesem Teil des Berges schon fast komplett zurückgezogen, nur einzelne Büschelchen wuchsen noch zwischen den groben Steinen.

Wenn Mut auf Talent trifft …

Plötzlich lief es mir kalt den Rücken runter: Unter mir knirschte es, schließlich löste sich ein großer Stein. Ich verlor den Halt und rutschte in die Tiefe, mit letzter Not erwischte ich einen Vorsprung. “Hilfe”, schrie ich, doch die Anderen kamen nicht zu mir durch. Ich baumelte 150 Meter über den Abgrund.

Tapferes Kerlchen: Bolton, Held der Berge.

Doch da sprang ein schwarz-weißer Schatten zwischen den anderen hindurch: Bolton, der Gebirgshund. Ohne ein Zeichen von Angst biss er in meinen Nacken und zog mich mühelos wieder auf den kleinen Felsvorsprung, auf dem die Anderen mittlerweile angekommen waren. Doch der Schreck saß uns immer noch in den Knochen. Nur langsam fanden wir den Mut, uns weiter an den Aufstieg zu machen. Bolton hingegen war schon wieder weitergezogen, um andere Wanderer zu retten.

Dafür lohnt sich die Gefahr: Der Ausblick vom Sgorr na Ciche.
Endlich oben.

Doch wir überwanden uns, und sollten belohnt werden: Eine Stunde später erreichten wir den Gipfel. Wenig wussten wir da, was uns noch bevorstand. Dass die Wolken zu Regen werden würden, der die Steine glitschig und den Torf tückisch werden lassen sollte. Dass wir durchnässt und halberfroren erneut vom Weg abkommen sollten. Aber erst einmal waren wir von der Freude überwältigt, die 742 Meter Felsungetüm endlich bezwungen zu haben!

Berg bezwungen. Im Hintergrund deutet sich allerdings schon schlechtes Wetter an.
Unlisted

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