Auch Yoga-Mütter weinen mal
Das Kind ist wieder in einer Phase. Und während ich mich frage, was ihm dabei hilft, vergesse ich: Was brauche ICH, um als Mama entspannt bleiben zu können? Grenzen — und eine hingebungsvolle Umarmung der ganzen Scheiße.
Man stelle sich vor: Eine junge Frau in Unterhose, die weinend auf dem Schlafzimmerboden sitzt und sich zu müde zum Anziehen fühlt, während daneben zwei kleine Kinder streiten und schreien.
Das bin ich. Ich bin meistens sehr entspannt. Klar, ich bin ja Yogalehrerin. Da ist Entspannung eine Berufskrankheit. Und ich lese ja auch Bücher über gelassene Erziehung und Kinder begleiten ohne Schimpfen und solches Zeug.
Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass es mir genau deswegen gelegentlich dreckig geht. Weil die Gelassenheit vorausgesetzt wird und das Umfeld mittelschockiert ist, wenn zwischendurch die Nerven blank liegen. Dieser Druck, pausenlos entspannt Mutter sein zu müssen, macht schlaflose Nächte, zahnende und trotzige Kinder, den Familie-Job-Spagat und was da sonst noch so an Herausforderungen wartet noch eine Spur anstrengender. Es gibt Tage, da möchte ich bitte einfach nur heulend auf dem Boden sitzen und auch mal etwas richtig Scheiße finden dürfen, ohne deswegen noch weitere Gewissensbisse zu bekommen. Nicht, weil ich Selbstmitleid so super finde. Sondern weil meine Kraft nicht für mehr reicht.
Gekommen um zu dienen
Der Große hat gerade so eine Phase (bitte, Universum, lass es nur eine Phase sein!). Von einer Sekunde auf die andere weiß er nicht mehr, wie Schuhe anziehen, Zähneputzen, Spielsachen wegräumen und dergleichen funktioniert. Seine Entgegnung auf meine Bitte, mir zu helfen: “Mama, ich hab keine Lust.”
Oh, Sohn, ich kann dich so gut verstehen. Lass uns doch einfach gemeinsam 24/7 hier im Chaos sitzen, Gummibärli statt Gemüsesuppe essen und mit ungeputzten Zähnen ins Bett gehen. Geht manchmal, ich bin eh alles andere als dogmatisch, würd ich jetzt mal von mir selber behaupten. Aber was manchmal okay ist, ist halt keine Dauerlösung in einer Welt von fixen Kindergartenbuszeiten, Karies und begrenzter Fußbodenfläche, auf der man sich frei bewegen möchte. Und meistens explodiere ich dann irgendwann mit Sätzen wie: “Mach das jetzt BITTE selber! Ich bin nicht deine Dienerin.” Mein Sohn nach kurzem Nachdenken und mit völligem Unverständnis: “Aber Ritter haben doch auch Diener?!”
Hallo, ich bin’s, Mutter und Magd des Herrn. Ich suche immer noch nach einem Duden, in dem man passende Antworten auf solche Aussagen nachschlagen kann. Buchtipps dringend erbeten!
Deine Grenzen, meine Grenzen
Eigentlich macht mein Sohn es ja richtig. Er spürt, wo seine Grenzen sind. Wenn er zu müde ist, geht Spielsachenwegräumen halt einfach nicht mehr. Völlig verständlich. Aber ich setze oft voraus, dass er seine Kraftressourcen so einteilt, dass für manche Pflicht am Ende des Tages noch Zeit ist. Für Erwachsene ist das logisch. Mit großem Pflichtbewusstsein schauen wir, dass wir alles schaffen und in 24 Stunden quetschen, was gefordert ist. Und als Eltern ist es zusätzlich unsere Aufgabe, die Kinder bei genau dieser Herausforderung zu begleiten, damit sie es irgendwann selber schaffen.
Und wir glauben, wir seien Meister*innen darin und könnten unseren Kindern ein tolles Beispiel sein und ihnen zeigen, wie das geht: haushalten mit den Ressourcen. Auf die eigenen Grenzen achten.
Ha. Ha. Ha.
Wir erinnern uns: Ich saß kürzlich mal wieder heulend am Boden. Passiert das, wenn ich mit meinen Kräften haushalte, mir meine Energie einteile und meinen Grenzen entsprechend den Alltag angehe? Äh — nein! Auch wir Erwachsenen vergessen oft, wo unsere Grenzen liegen. Und wenn das Kind wieder eine Phase hat, vergessen wir vor lauter Liebe und hingebungsvollem Dienen noch ein bisschen mehr darauf. Wir fragen uns: Was hab ICH falsch gemacht? Was kann ICH beim nächsten Mal richtiger oder idealerweise am allerrichtigsten machen (für das Kind)? Was geht in meinem Kind vor und wie kann ich es dabei unterstützen, sein wunderbares, immer sonniges Ich zu sein?
Was wir uns aber nicht vor all diesen Dingen fragen: Was brauche ich? Wo liegen meine Grenzen? Nicht nur in Sachen Schlafentzug und Nervendicke. Auch in Sachen Erziehungskompetenz. Es ist halt so: Das Kind wächst, seine Grenzen verschieben sich. Und damit bin ich gefordert, immer wieder Neues zu lernen und mich auf neue Situationen bestmöglich einzulassen. Das geht aber nur, wenn ich weiß, wo MEINE Grenzen liegen, was die Grenzen meines Kindes mit meinen eigenen machen und was diese Front braucht, um entspannt zu bleiben. Ohne gesundes Ich geht gesundes Wir halt einfach nicht.
Bitte einmal schön hängenlassen
Wenn Yoga mich eines gelehrt hat: Weder großes Glück noch großes Leid sind von Dauer. Der Punkt großer Kraftlosigkeit ist das Tal. Von da an geht’s wieder aufwärts (bis zur nächsten Talfahrt, aber daran denken wir jetzt mal nicht, wir leben ja im Hier und Jetzt). Ab hier Bergfahrt: Vorausgesetzt, ich nehme das Tief als Chance an, um mich zu fragen, wie’s mir gerade geht, wie’s dazu kommen konnte und was ich jetzt brauche. Manchmal ist das vielleicht ein neuer, inspirierender Ratgeber zur jeweiligen Entwicklungsphase des Kindes oder zwei Stunden Surfen durch irgendwelche Elternforen.
Was mir hilft? Meist ganz einfach nur ein hemmungsloser Ich-find-jetzt-alles-erstmal-scheiße-und-dann-sehen-wir-weiter-Moment. Sich einfach mal hängenlassen. Auf den ganzen Druck pfeifen und es wie mein Sohn machen: “Liebes Leben, ich hab jetzt gerade einfach keine Lust.” Keine Lust, der Happy Peppi vom Dienst zu sein.
Soll ich euch was Schönes verraten? Von dieser Einstellung zwischendurch geht die Welt noch laaange nicht unter. Im Gegenteil: Als ich da so saß, heulend und defintiv nicht mit der richtigen Unterhose und der richtigen Laune für die bevorstehende Date Night mit meinem Mann, hielt mein Sohn kurz im Toben inne. Er hat mich angesehen und dann durchaus mitfühlend gefragt: “Mama, was hast du?”
“Innehalten birgt Veränderung” — steht auf der Postkarte, die hinterm Badezimmerspiegel klemmt. Innehalten im Moment. Die Scheiße auskosten. Sich die Wunde genau ansehen — um feststellen zu können: Braucht’s eine Amputation? Einen Gips? Ein Pflaster? Oder reichen fünf Krokodilstränen? Sich auch mal der Schwäche hingeben. Denn nur im Moment der Schwäche lerne ich mehr über meine Stärke und das, was mich stark macht.
Neigen wir sonst dazu, die Kacke am Schuh schnell, schnell abzustreifen und weiter das Gelassenheitstheater abzuspulen, rat ich euch jetzt das Gegenteil: Liebe Mamas, die Scheiße ist am Dampfen? Dann einmal ganz tief einatmen! Du spürst mehr als deutlich, dass das jetzt gerade alles suboptimal läuft? Gratulation! Koste diesen Moment der ganz klaren, ungefilterten Emotion aus. Es ist der erste Schritt hin zu einer bewussten Umgestaltung.