„Das 21. Jahrhundert wird spirituell oder gar nicht sein“

Sabine Edelsbacher ist eine international bekannte Sängerin. So richtig kennenlernen durfte ich sie aber als Stimmtrainerin. Mit ihrer Arbeit half sie mir dabei, meiner inneren und äußeren Stimme näher zu kommen — und damit auch meiner Intuition. Was Intuition mit Faulheit, dem Bügeln und Gesellschaftskrisen zu tun hat? Darüber sprachen wir bei einigen Tassen Tee.

Stephanie Doms
eins
9 min readJan 27, 2022

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Sabine Edelsbacher, Sängerin & Vocal Coach (Foto: Jörg Schnebele)

Liebe Sabine, Intuition — was ist das für dich?

Intuition wird oft als leise innere Stimme wahrgenommen, leise vor allem dann, wenn wir uns ihr nicht regelmäßig widmen und ihr selten vertrauen. Sie tritt als starke innere Stimme hervor, wenn sich in uns eine gewisse innere Klarheit einstellt. Jedoch gibt es im Alltag häufig mehr als nur „die eine“ innere Stimme. In der Regel verfügen wir über mehrere davon, die sich manchmal sogar widersprechen können. Wir nehmen das dann als Unklarheit wahr, im Extremfall auch in Form von Zerrissenheit. Die verschiedenen inneren Anteile sind sich nicht einig und es liegt manchmal an der Tagesverfassung welche stärker in den Vordergrund tritt. Die unterschiedlichen Pole, wie rechte und linke Gehirnhälfte, weibliche und männliche Aspekte, Verstand und Gefühl können manchmal regelrecht einen inneren Kampf verursachen. Das Gefühl der Zerrissenheit kann auch dadurch verstärkt werden, dass in unserer logikorientierten Welt bestimmte Anteile positiver besetzt sind als andere oder gesellschaftliche Normen unserem inneren Weg widersprechen. Eine Entscheidung aus der Intuition heraus getroffen, auch wenn sie sich mehr als richtig anfühlt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich für den leichteren Weg entscheidet.

Was können wir gegen diese Zerrissenheit tun?

Es gilt, diese Empfindungen zu transzendieren. Hilfreich kann sein, innere Anteile im Kontext von Kultur und Gesellschaft, Herkunftsfamilie und eigener Geschichte näher zu betrachten. Wir erkennen dadurch, dass sich Anteile im Laufe des Lebens zu bestimmten Mustern verfestigen. Man könnte auch sagen: Sie entwickeln ein Eigenleben und bringen uns dazu, immer wieder gleich auf bestimmte Reize zu reagieren. Dementsprechend ähneln sich dann auch unsere Erfahrungen, woraus wiederum ein bestimmtes Wahrnehmungsbild der Welt resultiert. Die innere Arbeit besteht darin, sich diese Muster und Prozesse anzuschauen — ohne Ab- oder Aufwertung. Einfach nur beobachten. Wie „funktioniere“ ich und wovon werde ich angetrieben. Dadurch erfahren alle inneren Anteile eine Wertschätzung und man erkennt ihre Beweggründe. Durch das Draufsehen von außen können sich alle Anteile neu ordnen und ausrichten ohne sich gegenseitig zu bekämpfen. Die daraus resultierende Ruhe fördert Klarheit und Entscheidungskraft. Intuition wird dadurch geschult und gefördert.

Gibt es eine Stimme, die besonders wertvoll ist?

Die des inneren Kritikers. Es ist die Stimme, die am unangenehmsten und oft auch am präsentesten vorhanden ist. Diesen inneren Kritiker sollten wir besser kennenlernen, damit er uns unterstützen kann, anstatt uns ständig auszuhebeln.

Ist dieser innere Kritiker die Intuition?

Nein, die Intuition ist die Stimme dahinter, die Stimme hinter allen inneren Anteilen. Wir hören klarer, was die Intuition zu sagen hat, wenn wir gelernt haben, die vielen unterschiedlichen Stimmen in uns zu identifizieren und zu ordnen.

Ist diese „Stimme dahinter“ immer da?

Ja, aber da wir uns kulturell bedingt meistens in der Außenwahrnehmung befinden, uns ablenken lassen von der inneren Führung, verlieren wir uns sehr oft selbst. Zurück bleibt dadurch eine gewisse Unzufriedenheit, der wir uns dann manchmal auch nicht bewusst sind. Stattdessen könnten wir innerlich „aufräumen“ durch Reflexion, Meditation und einem Nachspüren in der Tiefe unseres Seins. Das würde unsere Stimme dahinter berühren. Gesellschaftlich haben wir jedoch das Denken über alle anderen Wahrnehmungsebenen gestellt und halten uns damit auf einer gewissen Oberflächlichkeit gefangen, die es uns dann auch erschwert uns auf ein Gegenüber empathisch einzulassen. Der Verstand ist omnipräsent und obendrein ist er auch noch stark manipulierbar. Wenn man stark über den Körper wahrnimmt, ist man nicht so leicht manipulierbar, da man parallel mit seiner eigenen inneren Führung verbunden ist, die den Verstand erstmal nicht benötigt. Der Kontakt zu diesen Ressourcen der inneren Wahrnehmung ist auch häufig unterbrochen, weil wir gesellschaftlich dadurch auch leichter „führbar“ sind. In speziellen Momenten passiert es manchmal, dass uns die Intuition wie eine plötzliche Eingabe erscheint — eigentlich ist sie immer da, aber sie muss sich manchmal Schlupflöcher suchen.

Was passiert, wenn die Intuition ein solches Schlupfloch findet?

Manchmal ist es eine Idee, die aus dem Nichts kommt. Jeden Tag passieren diese kleinen Dinge. In einem anderen Kontext ist es vielleicht wie ein Feld der Klarheit, das sich öffnet und über das wir in Resonanz mit etwas Größerem gehen — dem Kollektiv, einem göttlichen Raum, dem Universum, mit etwas Überpersonalem. Manchmal spüren wir die innere Anbindung, indem wir einfach wissen, dass es so ist, wie es ist. Dann kommt der Verstand erst im Nachhinein, um es zu erfassen und zu beschreiben, und auch um es anderen mitteilen zu können.

Das klingt großartig! Was bringt mich dorthin?

Die Annäherung gelingt über das Zur-Ruhe-Kommen. Die Ruhe verschafft der Intuition Raum. In der Meditation beispielsweise nehmen wir bewusst die Rolle der Beobachterin, des Beobachters ein. Da kann sich die Intuition dann zu uns setzen. Es ist meist eine sehr stille Stimme, die erst hörbar wird, wenn wir Abstand gewinnen zu dem Lärm im Außen und dem Lärm, den die anderen inneren Stimmen machen. Gleichzeitig kann aber auch die Auseinandersetzung mit den anderen inneren Stimmen selbst hilfreich sein, um sich der „übergeordneten“ inneren Stimme anzunähern.

Also einfach ab aufs Meditationskissen und dann kommt die Intuition irgendwann?

Der klassische Meditationssitz muss nicht zwingend nötig sein. Bei mir zum Beispiel klappt das sehr gut über alltägliche Routinetätigkeiten wie Bügeln. Dabei komme ich in einen guten Flow-Zustand. Der Körper hat etwas zu tun, die Tätigkeit ist einfach, sodass der Verstand besser loslassen kann.

Okay, also Bügeln ist jetzt nicht meine große Leidenschaft. Hast du Alternativen für mich?

Vielleicht magst du wie ich gerne spazieren gehen, wandern oder laufen? In der Natur sein ist hilfreich und zwar ohne Ablenkung wie Musik im Ohr. Es geht im Grunde darum, etwas zu finden, das einen in einen freudigen Zustand bringt und den Blick weitet. Dadurch entsteht eine erste Offenheit. Habe ich das Gefühl, dass ich etwas Bestimmtes dafür tun MUSS, wie sitzen und meditieren, wird es nicht klappen. Erst durch eine gelöste, freudige Gestimmtheit öffnet sich der innere Raum. Dort finde ich zum Beispiel auch meine Kreativität. Diesen Kanal kann ich durch diese Ressourcen gezielt anzapfen. Zusammengefasst ist es von Bedeutung warum ich etwas mache, also meine Intention und die Qualität in der ich es ausführe.

Ehrgeiz ist also kontraproduktiv auf dem Weg zur Erleuchtung?

Wenn ich nur aktiv danach strebe, kann es passieren, dass ich mir damit selbst im Weg stehe. Zuviel Ehrgeiz führt zu Überspannung und kann durchaus hinderlich sein. Wer sehr getrieben ist, darf eventuell auch das Faulsein erst einmal zulassen lernen. Andererseits nur faul vor dem Fernseher zu hängen, damit schule ich weder Körper noch Geist und die Erkenntnis wird auch einen Umweg um meine Person machen. Ein Gelehrter hat einmal gesagt: Wir können nicht entscheiden, ob und wann wir erleuchtet werden, wir können uns nur bereit machen anwesend zu sein, wenn es passiert. Entscheidend ist, dass auch der Anteil in uns Raum bekommt, der uns ermöglicht offen, weit und absichtslos zu werden.

Also wie so oft eine Frage der Balance…

Genau. Balance ist für so vieles ein Zauberwort.

Wenn du in Balance bist und dein intuitiver und kreativer Kanal voll angezapft ist — wie fühlt sich das für dich an?

Alles in mir sagt dann „Ja“ und der Moment fühlt sich stimmig an. Die Gedanken sind konstruktiv und ich denke in Möglichkeiten. Meist gehen mir auch ganz viele Ideen durch den Kopf und ich fühle mich inspiriert. Das ist ein Gefühl der Freude und Zufriedenheit. Der Mensch, das Universum — all das ist viel zu komplex, um es rein logisch erfassen zu können.

Du hast die Kreativität angesprochen, die für dich ja auch Beruf und Berufung ist. Du unterscheidest aber zwischen Kreativität und Intuition, richtig?

Ja, aber sie liegen beide im selben schöpferischen Bereich, nur halt auf verschiedenen Ebenen. Die Intuition ist vorgelagert. Sie wird für die Kreativität genutzt. Die Intuition verschafft uns Eindrücke, während die Kreativität ermöglicht, für diese Eindrücke einen Ausdruck zu finden.

Sind Inspiration und Intuition also dasselbe?

Nein, Intuition ist einfach da. Inspiration hingegen kann ich bewusst erzeugen, indem ich mich bestimmten Situationen aussetze, von denen ich weiß, dass sie meine Kreativität unterstützen. Freudvolle Tätigkeiten können eine Quelle der Inspiration sein, mich mit Menschen umgeben, die mich inspirieren und mir gut tun… Jeder hat da seine eigenen Hilfsmittel. Das Prinzip aber ist ähnlich: Ich öffne mich für etwas und lasse mich darauf ein. Ich begebe mich bewusst in eine Art „faule Position“, in der ich nichts forciere, sondern einfach geschehen lasse und beobachte.

Für viele ist das negativ besetzt. Man tut dann ja scheinbar nichts, ist scheinbar unproduktiv. Der Intuition aber tut es gut, wenn wir lernen, diesen Zustand auszuhalten. Das können wir auch schon mit den Kindern üben: Statt sie immer zu bespaßen, sollte ihnen auch einmal fad sein dürfen. Diese Langeweile regt wunderbare kreative Prozesse an.

Und wenn ich das nun als Kind vielleicht nicht gelernt habe? Kann ich mir diese Fähigkeit nachträglich noch aneignen?

Natürlich ist es schwierig, einen so wesentlichen Baustein später noch ins Fundament einzubauen. Vermutlich brauche ich dann ein häufigeres oder längeres Aussteigen aus dem Alltag in Form von Urlauben und Auszeiten, um den Kontakt zu mir selbst wieder herzustellen. Das Leben bringt uns aber ohnehin dorthin, wo wir Puzzlesteine nachträglich einfügen dürfen. Krisen sind eine große Chance dafür. Sie stellen das Gewohnte auf den Kopf, zwingen uns dazu, die Spur zu wechseln, etwas anderem mehr Raum zu geben. Wenn wir eine Krise gut bewältigt haben, ist das Resultat immer auch ein besserer Zugang zum inneren Sein. Meist löst das eine innere Starre und bringt mehr Bewegung ins Leben. Die dadurch entstehende Flexibilität ist wiederum eine Voraussetzung für Balance — es schließt sich der Kreis.

Wie wir derzeit sehen, kommen nicht alle Menschen gut mit Krisen klar…

Unser Verstand sollte lernen, dass er nicht die Zentrale ist, sondern nur der Empfänger. Für diesen Lernprozess braucht es eine Verschiebung der Wertigkeiten. Was ist mir wirklich, wirklich wichtig, wird zur zentralen Frage. Das zu wissen, ist in der aktuellen Situation notwendiger denn je. Das 21. Jahrhundert wird entweder spirituell — oder es wird gar nicht sein! Für all die technischen Errungenschaften und Möglichkeiten braucht es einen inneren Wertekodex, einen Kompass. Manche haben sich noch nie mit ethischen Fragen auseinandergesetzt und haben da viel Nachholbedarf. Der Mensch ist nicht nur der physische Körper wie manche uns gerne glauben lassen möchten. Erst wenn wir unsere anderen Wahrnehmungsebenen gebrauchen, sind wir auch nicht mehr so leicht manipulierbar. Trennung und Manipulation haben die letzten Jahrhunderte bestimmt und jetzt dürfen wir das erkennen und uns neu ausrichten. Wann immer wir uns nur auf einen Pol konzentrieren, laufen wir Gefahr, nur die halbe Wahrheit zu erkennen. Aber wenn wir beide Pole aus der Beobachterposition heraus betrachten, erkennen wir das Dahinterliegende.

Wie stehen denn deiner Meinung die Chancen für unsere Gesellschaft, diesen Lernprozess zu meistern?

Ich bin im Vertrauen, dass wir das schaffen werden, aber auch darauf eingestellt, dass es zuerst womöglich noch schlimmer werden könnte. Und zwar deshalb, weil viele schwerstens traumatisiert sind und bei anderen wiederum das Problem noch gar nicht am persönlichen Horizont angekommen zu sein scheint. Ich bekomme immer wieder Traumbotschaften, und da war eine zu Beginn, dass ich mir eine Langstreckenfahrkarte gekauft habe. In einem anderen Traum war ich bei einer politischen Besprechung anwesend, die alles andere als positiv war. Währenddessen habe ich ein kleines Herz in die Hand genommen, und es an einem sichtbaren Platz im Raum positioniert. Ich denke, das ist im Großen und Ganzen, um was es geht: Unser Herz beginnt zu wachsen und bringt Mitgefühl, Klarheit und Wahrheit mit sich. Auch die Qualität der Trauer gehört zum Herz. Ich stelle immer wieder fest, dass besonders stillere Persönlichkeiten, die gelernt haben, mit ihren Gefühlen gut umzugehen und in der Lage sind für ihre Entscheidungen mehrere Ebenen miteinzubeziehen, dass diese jetzt mehr und mehr in ihre Kraft kommen. Eine echte gesellschaftliche Veränderung wird von der Basis ausgehen und wird uns im Bewusstseinsprozess auf eine neue Ebene bringen. Jede und jeder ist aufgefordert, im eigenen Wirkbereich das Beste zu tun, was sie bzw. er spürt tun zu müssen — und das wirkt auch auf das gesamte Kollektiv. Es ist wie ein Zahnrad, das mit allem in Verbindung steht.

Sabine Edelsbacher ist leidenschaftliche Stimmtrainerin, Vocal Coach und Persönlichkeitsentwicklerin sowie Sängerin der international erfolgreichen Band EDENBRIDGE. Innere Stimme und Ausdruck in (Sprech- und Sing-) Stimme sowie in Körper und Persönlichkeit sind ihr Spezialgebiet. Sie bietet Edelstimm-Coachings, psychologische Beratung und Trainings in ihrem Stimmatelier in Wartberg ob der Aist (Oberösterreich) an.

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Stephanie Doms
eins

Wortspielerin und Freudentänzerin. Texterin, Autorin, Yoga- und Mentaltrainerin. www.stephaniedoms.com