Gesucht: Geklautes Stück vom Zeit-Kuchen
Wie mir beim zweiten Kind der Job abhanden kam, weshalb 50/50 noch immer eine Illusion ist und warum ich jetzt die feine Klinge suche.
Gestern war kein guter Tag. Das Baby verweigerte nicht nur das Schlafen im Tragetuch (was gar keinen Schlaf bedeutet, denn anderswo macht es maximal Powernaps), sondern auch das Flascherl, an das wir es langsam gewöhnen wollen, damit ich in absehbarer Zeit abends wieder Yogakurse halten kann. Kein Babyschlaf heißt, dass ich für den Wäschekorb, der seit Tagen in der Ecke steht, zwei Stunden brauchte — und da reden wir noch nicht mal von Bügeln oder Zusammenlegen, sondern “nur” von Wegräumen. Dass mir nach dem Genuss einer halbwegs entspannten Drei-Minuten-Dusche beim Stillen in den Ausschnitt gekotzt wurde, habe ich schon fast erwartet. Gehört bei uns zum Standardprogramm. Überraschend war hingegen der Beschluss des Großen, dass er das Mittagessen aufgrund der Käsestücke nicht essen könne — dabei isst er Käse sonst sogar morgens zum Griesbrei. Dass ich extra frisch gekocht hatte, weil immer nur Fischstäbchen und Nudeln mit Pesto sich auf Dauer schwer mit meinen Mutteransprüchen vereinbaren lassen, war für ihn natürlich kein Argument. Und mit dem Frühling hat sich dann auch noch wie alle Jahre wieder das Tor in die grüne Garten-Hölle geöffnet und seine schlimmsten Dämonen, übertrieben motiviertes Gras und Unkraut, zum Vorschein gebracht. Wieder eine Aufgabe mehr auf meiner To-do-Liste, die einfach nie kürzer zu werden scheint, egal, wie sehr ich mich bemühe, weil einfach zu viele Sisyphus-Arbeiten draufstehen.
Lebenskummer ist Luxus, Baby.
Lapalien, eigentlich. Luxusprobleme, wenn wir uns ehrlich sind. Und vom Mond aus betrachtet ziemlich wurscht. Ich habe zwei gesunde Kinder mit einem gesunden Eigensinn, Essen, über das man diskutieren kann, einen Garten, den wir grundsätzlich alle sehr genießen. Ich sollte mich nicht aufregen. Anderen Frauen und Müttern geht’s genau so oder sogar noch schlechter…
Blabla.
Von solchen Sätzen haben sich noch nie persönliche und gesellschaftliche Veränderungen eingestellt.
Der eigentliche Grant-Grund war eh ein anderer. Nämlich die Tatsache, dass mein Mann in der Zeit, in der ich kochte, stillte, mich ankotzen ließ und zwischen drei Kleidungsstücken aus dem Wäschekorb Windeln im Akkord wechselte, während am Smartphone eine neue Kundennachricht nach der anderen reinkam, in unserem Heim-Büro saß und scheinbar seelenruhig (und definitiv nicht angekotzt) arbeitete, am Telefon scherzte und konzentriert seine Aufgaben für den Tag erledigen konnte.
Homeoffice macht er öfter und diese Tage sind in der Regel sehr schön, weil wir dann mittags gemeinsam Essen, nachmittags zusammen eine Kaffeepause machen und Papa auch mal angerannt kommt, wenn der Große auf die Kleine spinnt, weil sie derzeit noch die meiste Aufmerksamkeit beansprucht. Also auch das grundsätzlich ein Luxusproblem.
Aber seit Wochen hat sich so eine lästige Unzufriedenheit in mir aufgestaut, die gestern zum Ausbruch kam. Vor einigen Wochen nämlich kam mein Mann von der Arbeit heim und erzählte nicht ohne Freude, dass ein Kollege ihn bewundernd als Übervater bezeichnet hätte, weil er so viel für mich und die Kinder täte und die Arbeit um die Familie herum arrangiere. Im ersten Moment freute ich mich für ihn, denn er ist ja wirklich ein toller Ehemann und Vater. Doch dann dachte ich darüber nach — und das Nachdenken darüber hörte nicht mehr so recht auf.
Plötzlich fiel mir auf, dass mein Mann von meiner Oma dafür gelobt wird, wenn er die Kleine im Tragetuch schunkelt — während ich nur so Sachen zu hören bekomme wie: “Kein Wunder, wenn sie dir sonst nirgends mehr schläft, wenn du sie immer da reinsteckst.” Mir fiel auf, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, immer dann, wenn mein Mann die Kinder übernahm, damit ich “eh nur ganz kurz” berufliche Mails beantworten und Miniaufträge erledigen konnte oder mir eine halbe Stunde Yoga gönnte, weil sich mein Rücken aufgrund der täglichen Tragetuchstunden wie der einer 80-Jährigen anfühlt. Mir fiel auch auf, dass das Stillen eigentlich nur einen Bruchteil der Zeit ausmacht — und Windelnwechseln, Tragetuchumschnallen und Co eigentlich ja auch mein Mann übernehmen könnte. Ich dachte an das Büro, das ich erst kürzlich mit einem Kollegen angemietet hatte, und das ich wohl noch längere Zeit nicht würde nutzen können. Ich dachte an den Sommer-Yogakurs, den ich schon fix eingeplant habe, und der wegen der Flascherlverweigerung auf der Kippe steht. Ich dachte daran, dass die Kritik meines Kindes an meinem Essen mich sehr viel mehr schmerzt als die Kritik meines Kunden oder meiner Kundin an meiner Arbeit. Dass es aber gleichzeitig nicht dieselbe Befriedigung bringt, wenn mein Kind anstandslos seine Nudeln isst, wie wenn nach dem Yogakurs jemand zu mir kommt und seine oder ihre Freude darüber ausdrückt, dass er oder sie wegen meiner Arbeit den Stress ein Stück weit loswerden konnte.
So wurde aus dem Nachdenken darüber, ob der Titel “Übervater” gerechtfertigt ist, schnell ein Nachdenken darüber, wie gleich oder ungleich die Aufgaben in unserer Familie derzeit verteilt sind.
Der Schluss, zu dem ich kam, war für mich schlimmer als alles Unkraut im Garten zusammen.
Überväter — wer sind die?
Vor einiger Zeit habe ich ein Interview mit einem Mann gelesen, der die Karenzzeit zu 100 Prozent übernommen hat. Er brachte seiner Frau das Baby nur zum Stillen ins Büro — ansonsten erledigte er alles, was Mütter klassischerschweise mit der Geburt eines Kindes übernehmen. Ich fand den Artikel ungemein spannend — gleichzeitig ist es aber für mich genau so unvorstellbar, wie wenn die Frau alles zu 100 Prozent übernimmt. Das sind für mich Überväter und Übermütter.
Wir sind von 100 Prozent auf beiden Seiten weit entfernt. Jedenfalls weiter als andere. Für meinen Geschmack sind wir aber immer noch nicht gleichberechtigt genug. Am meisten daran nervt mich, dass ich mich damit weitestgehend arrangiert zu haben scheine.
Was ist nur aus mir geworden?
Selbst als ich meinen Mann fragte, ob er die Hälfte der Karenzzeit übernehmen wolle, und er meinte, das müssten wir uns finanziell ansehen, habe ich kleinbeigegeben — und weiter den Wäschekorb ausgeräumt. Ende der Diskussion? Nicht ganz. In mir drinnen gärt das Thema nämlich weiter — und das ist schlecht für alle Beteiligten. Dabei wünsche ich mir keinen Übervater zum Mann, sondern bloß einen ganz normalen Papa, der halbe halbe mit mir macht und sich die Rosinen mit mir genau so teilt wie den knirschenden Sandkuchen darumherum. Denn das sollte doch die Normalität sein, wenn man sich gemeinsam für Kinder entscheidet, oder nicht?!
Dass ich mir naiv dabei vorkomme und gegenüber anderen Müttern das Gefühl habe, undankbar zu sein, zeigt, wie weit weg wir insgesamt von halbe halbe in unserer Gesellschaft nach wie vor sind.
Rück den Kuchen raus!
Als ich mich bei meinem Mann über die Situation beschwerte (sehr emotional und wenig konstruktiv, wie ich es leider manchmal bin, wenn ich maßlos genervt bin), meinte er nur: “Das wird auch wieder anders.” Er hat es als Trost gemeint. Doch mich hat es bloß noch mehr erbost. Denn: Natürlich wird es irgendwann wieder anders, die erste Zeit mit Kind — egal, ob erstes, zweites, drittes, … — ist immer mehr oder weniger anstrengend, weil alles neu sortiert werden muss. Aber das ändert nichts daran, dass ich derzeit Hausfrau und Mutter bin und meine Arbeit zu einem Hobby geworden zu sein scheint, das ich vor mir (und häufig auch anderen) rechtfertigen und für das ich mir mühsam Zeit erkämpfen muss. Natürlich ist diese intensive Zeit aus Muttersicht wundervoll und ich genieße es sehr. Doch aus beruflicher Sicht möchte ich manchmal schreien: Ja, es wird irgendwann anders — aber wer gibt mir die Zeit, die ich jetzt nicht habe, wieder zurück? Ich stelle die Frage gleich gar nicht. Denn die Antwort ist klar.
Es gibt dieses schöne Bild von der Zeit, die wir zur Verfügung haben, als Torte. Alles, was wir so machen, beansprucht einen Teil des Kuchens. Gemäß unserer Prioritäten schneiden wir das Ganze in kleinere und größere Stücke. Ein Stück für die Kinder, ein Stück für den Haushalt, ein Stück für den Partner, ein Stück für die Arbeit, für Hobbys, für mich und so weiter (wenn ich das so lese, frage ich mich, ob das die klassische Frauenreihenfolgeist. Wie würde ein Mann die Kuchenstücke sortieren?). Wann immer etwas Neues hinzukommt, müssen wir von den anderen Stücken ein bisschen was wegschnibbeln. Denn mehr Kuchen gibt’s nicht. 24 Stunden täglich — das war’s.
Beim ersten Kind haben wir das mit dem Kuchen noch recht gut hinbekommen. Mein Mann hat in der Arbeit Stunden reduziert, ich ebenfalls. Und beide haben wir dort und da auch noch etwas von anderen Stücken abgezwickt. Der Kuchen schmeckte die letzten 2,5 Jahre recht gut. Jetzt kam kürzlich ein zweites Kind dazu, dem wir erlaubt haben, alles auf den Kopf zu stellen (immerhin bekommt man kein Kind, damit alles beim Alten bleibt). Mein Mann regelte seinen Arbeitsablauf neu, ich ebenfalls. Doch die Arbeitsstunden blieben bei meinem Mann gleich, während ich mittlerweile eher von Arbeitsminuten als von -stunden reden sollte.
Und ich habe das ungute Gefühl, als hätte mir jemand mein Tortenstück namens Arbeit stibitzt und würde mir nun gönnerisch erklären: “Wenn ich irgendwann genug davon habe, bekommst du es eh wieder zurück.”
Und ich komme mir als Frau, die sonst so viel Wert auf Gleichberechtigung legt, ziemlich blöd vor, weil ich auch noch ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich die paar liegen gebliebenen Arbeitskrümel nutze.
Was zur Hölle…?!
Das macht mich wütend. Denn ich liebe Kuchen, in beiderlei Sinn. Jedes einzelne Stück davon. (Manchmal sogar das mit dem Unkraut.)
Kunden-Rückrufe kann man verschieben — Kinder nicht.
Was also tun?
Den ultimativen Plan habe ich noch nicht. Aber irgendeine Lösung werde ich schon finden. Wie so oft geht’s um Prioritäten, die regelmäßig hinterfragt werden wollen.
Fakt ist: Ein hungriges Kind kannst du nicht vertrösten, eine volle Windel nicht auf den nächsten Tag verschieben. Kuscheln ist sowieso immer nötig. Im größten Saustall kann und will man die Kinder nicht leben lassen (will man ja selber auch nicht, obwohl ich ja mittlerweile zum Beim-Staubwischen-um-Sachen-Herumwischer geworden bin). Und wenn man einen halbwegs übersichtlichen Garten haben will, muss man sich auch um ihn kümmern.
Aber diese Kuchenstücke müssen genau so geteilt werden wie andere, das steht für mich fest. Wenn ich das weiterhin mit der emotionalen Axt versuche, wird’s eine Sauerei. Ich suche also jetzt dann mal die feine Klinge.
Und mein Mann soll mir beim Suchen helfen.