Hallo, neue Effizienz!

Und warum Multitasking plus Hingabe eine Rechnung ist, die nicht aufgeht.

Stephanie Doms
eins
4 min readJun 26, 2016

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© Renate Schrattenecker-Fischer

Manchmal scheitere ich an meinen eigenen hohen Ansprüchen. Und wenn ich, Mensch des gesunden Minimalismus, das sage, will das was heißen. Wem es so vorkommt, als hätte ich unendlich viel Power und ein großes Organisationstalent, der irrt. Auch mir wird manchmal alles zu viel und ich frage mich dann, wie man nur so irre sein kann, sich so viele Projekte und Aufgaben gleichzeitig zu suchen.

Doch wenn ich eines gelernt habe, dann dass diese Tiefs unerlässlich für mich sind. Sie spornen mich an, Situationen zu überdenken und — das ganz besonders — Abläufe zu optimieren. Das gilt vor allem, seit ich Mama geworden bin. Mit Baby wird das Leben intensiver: Hochs werden höher, Tiefs tiefer. Und Hochs und Tiefs wechseln plötzlich auch noch sehr viel schneller. Ich bin heute öfter gezwungen, Vorhaben über den Haufen zu werfen und Pläne neu zu überdenken, als noch vor einem Jahr. Was ich früher alle paar Monate umgekrempelt habe, ändert sich mittlerweile zwischen Frühstück und Mittagessen. Und das mehrmals.

Ich bin ein Mensch, der gerne am Steuer steht und Kurse sehr sportlich setzt. Dass ich kein Freund von diktierten Kursänderungen bin, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Ich habe eine Kaiserschnittnarbe, die ein bisschen für all das steht, was sich seit der Geburt privat und beruflich geändert hat: Ich wollte die Narbe nicht, ein Kaiserschnitt kam für mich nie in Frage. Die Narbe hat anfangs ordentlich geschmerzt, jetzt juckt sie manchmal noch, sie ist immer da. Ich trage sie mit Stolz, weil sie mich an dieses geniale und wunderschöne Ereignis, diese Urgewalt namens Geburt erinnert. Aber manchmal nervt die Narbe auch gewaltig. Manchmal habe ich das Gefühl, zu kurz zu kommen, zu vieles zu verpassen, nur noch fremdbestimmt zu sein.

An diesen Tagen beneide ich meinen Mann darum, dass er sich auf eine überschaubare Zahl an Projekten und Rollenbilder konzentrieren kann. Und an diesen Tagen esse ich die Kekse, die unser Kleiner mag, wenn er gerade schläft. Damit ich sie nicht teilen muss (oft — nicht immer — kommt gleich danach das schlechte Gewissen). Kürzlich hatte ich wieder so ein Alle-anderen-essen-mir-die-Kekse-weg-Tief. Und es braucht die Überzeugungskraft meiner Mutter, ihre Hilfe in diesem Tief anzunehmen.

Ich habe jetzt einen Baby-freien Tag pro Woche, dann ist mein Sohn von der Früh bis zum Abend bei der Oma. Ja, ich habe aufgeatmet — aber zwischen zwei großen, herzzerreißenden Schluchzern. Weil ich Panik davor habe, dass mein Sohn mir irgendwann sagt, dass ich ihn nicht mehr abholen brauche, weil er lieber bei der Oma bleibt. Dass er mir irgendwann sagt, dass ich nicht genug für ihn da bin. Ich habe nämlich blöderweise nicht nur den Anspruch, die Kontrolle zu behalten, sondern auch den noch sehr vielen höheren Anspruch, eine entspannte Top-Mama zu sein, die vor Liebe und Wohlwollen und Hingabe nur so sprüht. Komme, was da wolle.

Tja. Was soll ich sagen. Ich bin keine Vorzeige-Mama. Ich bin eine ganz normale, oft überforderte Mama, die verdammt gerne mit unter den Arm gezwicktem Laptop zu Kundenterminen spurtet und die nicht immer den letzten guten Keks hergeben will. Ich bin eine Mama mit gesundem Ego und hohen Ansprüchen. Vielleicht gehören die pausenlosen Zweifel, die Selbstkritik und das Gefühl, nicht gut genug zu sein, zu dieser Art Mamasein dazu wie das Kleingedruckte in Kaufverträgen, aus denen man nie wieder raus kommt.

Der erste Baby-freie Tag also. In meinem Leben habe ich noch nie so viel an einem Tag weitergebracht. Ich war so vertieft, so konzentriert, ich vergaß sogar das Essen (ich wusste selbst nicht, das ICH das kann). Konzentriert zu arbeiten, fühlte sich an wie Urlaub. Einen meditativeren Zustand habe ich bisher noch nicht mal beim Yoga erreicht. Ich ging völlig auf in meinem Tun. Und als ich am Abend den Kleinen wieder sah, waren die Liebe, die Freude ungetrübt. Keine Unausgelastetheit, die dazwischenfunkte, keine Zweifel, keine Selbstkritik. Einfach nur Liebe. Es ist mir bisher noch nicht sehr oft gelungen, diese völlig uneingeschränkte Hingabe fürs Arbeiten auch für meinen Sohn aufzubringen, das gebe ich hiermit ganz offen zu. Und diese Hingabe hält immer noch an — privat wie beruflich.

Hallo, neue Effizienz! Hallo, ungeahnte Liebe und Hingabe!

Was es braucht, um als Working Mom effizient zu sein und seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, ohne auszubrennen? Ich denke, es sind die ganz klare Separation und die Bestärkung von außen “Du darfst jetzt ohne schlechtes Gewissen an deiner Karriere feilen — und jetzt daran, von Tag zu Tag eine bessere Mama zu werden”. Wie Yin und Yang, wie Sonne und Mond, wie Anspannung und Entspannung. Die pausenlosen Selbstzweifel und die Vermischung von Aufgabenbereichen — bedingt durch Heimarbeitsplatz, dem Erledigen von Beruflichem zwischen den Wachphasen des Kindes und und und — machen es meist unmöglich, in der jeweiligen Rolle, die man gerade einnimmt, aufzugehen. Mama und Chefin gleichzeitig sein? Eine Utopie. So wie Multitasking. Davon muss ich mich wohl verabschieden.

Emotional und geistig kann ich jedenfalls noch einiges von meinem Beckenboden lernen. Der hat sich dem wachsenden und abnehmenden Druck bedingt durch Schwangerschaft und Geburt sehr schnell angepasst. Ein Wunder der Flexibilität! Hut ab!

Und wenn wir schon bei Hüten sind: Ich werde versuchen, künftig nicht mehr alles krampfhaft unter einen Hut zu stopfen. Ich lege mir jetzt zwei Hüte zu — oder lieber noch einen dritten und vierten. Unter jeden packe ich dann, was drunter gehört. Ganz geordnet. Und ich werde sie alle hingebungsvoll und mit stolz erhobenem Haupt durch Höhen und Tiefen tragen, meine Hüte — den Mama-Hut, den Yoga-Hut, den Texter-Hut, den Ehefrau-Hut, den Freundin-Hut, … Und was wir Frauen noch so alles an Hüten haben. Ich will eh nicht immer das gleiche tragen.

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Stephanie Doms
eins

Wortspielerin und Freudentänzerin. Texterin, Autorin, Yoga- und Mentaltrainerin. www.stephaniedoms.com