27 Millionen Zuschauer: Der eSport ist erwachsen geworden

Paul
SPORTSFREUNDE Journal
7 min readSep 4, 2015

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Die Halle bebt. Sound- und Lichteffekte dominieren den Wahrnehmungshorizont der mehr als 11.000 anwesenden eSport-Enthusiasten. Rufe. Pfiffe. Freudiges Gelächter. Dann wird es plötzlich still. Ein dramaturgisch inszenierter Countdown beginnt von 60 runter zu zählen.

Ob Spieler, Fan, Mutter oder eigentlich nicht eSport-begeisterter Praktikant in der Tontechnik. Spätestens ab Sekunde 10 kann sie jeder fühlen. Die Spannung. Köln ist bereit Geschichte zu schreiben. 3…2…1…

Im August 2015 gastierte die ESL One in der Kölner LANXESS Arena. Das mit 250.000 US-Dollar dotierte und bisher größte Counter Strike: Global Offensive (CS:GO) Event der Welt hat uns eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich der eSport in den letzten Jahren entwickelt hat. eSports is now.

An beiden Veranstaltungstagen der ESL One strömten jeweils rund 11.000 Zuschauer in Deutschlands größte Multifunktionshalle, um die Spiele der besten CS:GO-Teams der Welt live mitzuerleben. Via twitch.tv schalteten sich weltweit insgesamt mehr als 27 Millionen Menschen (Unique Viewers) von zuhause aus zu. Damit überbot die ESL One Cologne den erst im März 2015 im Rahmen der ESL One Katowice aufgestellten Rekord von rund 9 Millionen Zuschauern noch einmal deutlich.

Die ESL ONE entwickelt sich zu einem echten Zuschauermagneten.

Das große Finale zwischen den späteren Siegern fnatic (SWE) und TeamEnVyUs (FR) schauten sich mehr als 1,3 Millionen Menschen zeitgleich auf twitch.tv an. Auch hier konnte die ESL One Cologne, den vor kurzem mit der ESL One Katowice aufgestellten Rekord von 1 Millionen zeitgleichen Zuschauern mit einem Zuwachs von 30% überbieten.

Entertainment wird jetzt groß geschrieben

Doch nicht nur die Zahlen sprechen für sich. Wer das Event nicht verfolgt hat, tut gut daran, sich dieses 2-minütige Video kurz anzuschauen, um einen Eindruck von der Atomsphäre zu bekommen:

Die ESL scheint sich immer mehr an etablierten Entertainment-Formaten wie der WWE (World Wrestling Entertainment) zu orientieren. Wer schon mal auf einem Live-Event der WWE war, weiß, wie stark alles von der aufwändig produzierten Show drum herum lebt. Viele Elemente finden sich nun auch verstärkt bei den Events der ESL wieder.

Arena-Einlauf der Spieler mit akustischer Untermalung. Dicht durch die Crowd. Händeschütteln. Interaktion mit dem Publikum. Brachiale, donnernde Soundeffekte. Lightshow. Aufgeheizte Moderatoren. Animatoren. Merchandising-Stände. Den Zuschauern wird ein Feuerwerk geboten, das kaum Wünsche offen lässt. Das ist eSport im Jahr 2015. Und so hat er auch eine Perspektive.

Das mit der Perspektive ist neu. Bei früheren Events der ESL und anderen Veranstaltern standen die Teams und ihre Spieler nie im Fokus. Sie waren zwar da, aber nicht greifbar. Sie waren zu weit weg, damit man sagen konnte: “Das Team find‘ ich gut.” oder “Die sind mir sympathisch.” Jubeln? Nur wenn man jemanden persönlich kannte. Insgesamt hatte man das Gefühl, dass der eSport und sein Wachstum stagnieren.

Wachstum durch Fortschritt

Der eSport, seine Spieler, Teammanager, Entrepreneure, Entwickler und Organisatoren mussten Erfahrung sammeln, ebenso wie die ESL. Die Spielervermarktung war mangelhaft, Fans zu gewinnen nur schwer möglich. Doch der eSport brauchte Fans um weiter wachsen zu können — und der eSport brauchte etwas, dass Emotionen einfangen und sie nach außen tragen konnte.

Genau das haben die Macher der ESL erkannt und sich in den letzten Jahren stark mit der Positionierung ihrer Produkte beschäftigt. Der Fokus liegt nun auf den großen Offline-Events. Auf der ESL One und den Intel Extreme Masters. Dort, wo man überzeugen kann. Wo man das volle Programm an eSport-Entertainment liefern kann. Wo man Fans gewinnen kann. Gute Entscheidung. Nur so kann man die Vision und die Faszination des eSports massentauglich machen.

Seit dem letzten Jahr ist erstmals auch ein roter Faden bei den übergreifenden Aktivitäten der ESL zu erkennen und die vorher kryptische Produktwelt, bestehend aus verschiedenen nationalen und internationalen Ligen und Events, basiert nun auf einem nachvollziehbaren und transparenten System. Insgesamt hat sich die ESL in Sachen PR, User Experience und Vermarktung sehr stark weiterentwickelt.

Die Produktsparte der ESL im Jahr 2015.

Doch nicht nur die ESL ist mit ihren Events auf dem Vormarsch. Vor allem der phänomenale Aufstieg von League of Legends — und Entwickler Riot Games hat den eSport in den letzten vier Jahren wegweisend geprägt.

League of Legends: Eine revolutionierende Erfolgsgeschichte

Als 2011 die erste Weltmeisterschaft in League of Legends an den Start ging, schauten gerade mal 8.000 Zuschauer von zuhause aus zu. Nachdem Riot Games das Konzept seiner hauseigenen World Championship leicht anpasste und unter anderem die Teams und Spieler noch stärker in die Vermarktung integrierte, konnte man im Jahr 2012 bereits rund 8 Millionen Unique Viewers für sich gewinnen. Das machte die Worlds 2012 zu diesem Zeitpunkt zum meist gesehenen eSports-Event aller Zeiten. Ein Jahr später durchbricht man mit 32 Millionen Unique Viewers jegliche Sphären und zeigt erstmals auf, wie ernst man den eSport mittlerweile nehmen kann.

Größer, höher, weiter. Die Worlds 2015 waren übrigens nach 40 Minuten ausverkauft.

Riot Games, Entwickler hinter dem inzwischen meistgespieltesten Computerspiel aller Zeiten, hat von Anfang an auf den eSport gesetzt und ist mit seinem Titel neben Counter Strike über die Jahre zu DEM eSport-Titel gereift. Mit viel Liebe zum Detail und einem intensiven Dialog mit der Community hat man sich vieler Probleme im eSport angenommen. So wurden die Spieler im “Tribunal”, einer gerichtlichen Instanz zur Wahrung des Umgangs der Spieler untereinander, selbst zu Richtern. Selbstoptimierung. Sensibilisierung. Wer sich nicht benimmt, andere beleidigt, fliegt raus — oder muss mit bis zu 3-monatigen Accountsperren rechnen.

Bei League of Legends werden Spieler und Teams wie nie zuvor in den Fokus gerückt. Echte Fanbases entstehen. Fanatische Spieler aus der ganzen Welt spielen mit den Avataren der Profiteams — tauschen Spieltaktiken und Tipps in neu entstehenden Szeneportalen rund um das Spiel aus. Selbst Trainingssessions bekannter Spieler werden via twitch.tv von Millionen verfolgt. Riot Games hat den eSport revolutioniert und sich dabei vom einfachen Spieleentwickler zum größten eSports-Unternehmen der Welt entwickelt. Das free-to-play MOBA wird tagtäglich von mehr als 27 Millionen Menschen gespielt.

eSports is real

Aus diesen Erfolgen und den immer größer werdenden Events haben sich auch die Teams Bzw. eSport-Clubs entwickelt und professionalisiert. Die größeren Teams werden mittlerweile von festangestellten Mitarbeitern geleitet und organisiert. Von Marketingprofessionals und Agenturen vermarktet. Von Enthusiasten aus der ganzen Welt gefeiert und verehrt.

Als Fan kann ich mit meinen Vorbildern interagieren und von ihnen lernen. Ich kann mit ihren individuellen Einstellungen spielen, ihre Matches dank großer VOD-Datenbanken analysieren, mir ihre Tricks zu eigen machen und ihren Tipps rund um das Thema eSport vertrauen. Ich kann auf verschiedenen Portalen Wetten auf sie abschließen. Sie im Fantasymanager für mich spielen lassen. Ihnen beim Training zugucken. Und ihre Matches kann ich mittlerweile auch mit meinen Freunden in einer von immer mehr werdenden eSport-Bars in ganz Deutschland verfolgen.

Profispieler — das sind nicht mehr irgendwelche pickeligen Nerds, die stundenlang im Keller hocken und einfach das eine Spiel spielen. Profispieler sind mittlerweile an feste Trainingspläne gebunden, leben meist mit ihren Teamkammeraden in großen, von Sponsoren finanzierten Häusern und sind mehrmals im Jahr auf Events in der ganzen Welt unterwegs. Sie sind Teil des Hypes — und (einige) können davon mittlerweile auch ganz gut leben.

Chancen für Marken

Spieler sind zu Markenbotschaftern avanciert. Sie werden nicht mehr nur mit den Trikots des Clubs und der Hardware der Sponsoren ausgestattet, wie es lange im eSport der Fall war, sondern sind zu echten Identifikationsfiguren herangereift. Zu Influencern. Nicht wenige Clubs führen mittlerweile eigene Merchandising-Linien mit Lifestyle-Kollektionen ihrer Spieler. Größen aus der Hardware-Branche entwickeln seit Jahren gemeinsam mit Profispielern neue Produkte. Lebensmittelkonzerne machen Profispieler zu Testimonials. Selbst in den Kinos ist der eSport mittlerweile angekommen (all work. all play, 2015). Die Kommerzialisierung des eSports ist in vollem Gange — und bietet noch sehr viel ungenutzes Potenzial.

Vor allem der einzigartige Mix aus Elementen des klassischen Sportsponsorings (Branding, productplacements, testimonals) und nativen Elementen einer neuen, digital geprägten Sportkultur (Interaktive Livestreams, e-betting, crossmediale Events), macht den eSport für die Zukunft höchst interessant. Markenbotschafter, Social Media- und vermarktungsaffine eSportler. Influencer mit einer enorm großen Reichweite. Spielend für einen Club mit echten Fans. Das Sahnehäubchen eines stimmigen Kreislaufs.

Es herrscht Aufbruchsstimmung. Und auch wenn alles noch viel größer, besser und schneller wird: Der eSport funktionierte schon immer nach gewissen Prinzipien. Die Erfahrung mit der über Jahre andauernden Entwicklung des elektronischen Sports spielt nach wie vor eine große Rolle wenn es darum geht, Unternehmen glaubwürdig und langfristig im eSport zu positionieren. Auf dem Weg zur nächsten Entwicklungsebene braucht der eSport nun frische Ideen, kluge Köpfe und mutige Marken, die das digitale Zeitalter auf sportlicher Ebene weiterentwickeln — und davon profitieren wollen. Wir sind gespannt.

Der eSport ist erwachsen geworden. Zumindest wenn man sich auf die enormen Reichweitenzuwächse bei großen Events, die steigende Konvertierungsrate von Casual-Gamern zu eSport-Enthusiasten und die gestiegene Professionalität der Veranstalter bezieht. In einigen anderen Bereichen hat der eSport hingegen noch Nachholbedarf. Dazu aber mehr in den kommenden Artikeln.

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Ich stehe auf mutige Ideen, glaube an den Mehrwert guter Kreation und bin großer Fan authentischer Markenkommunikation.

Social Media Manager at pilot.de — eSports Entrepreneur at sportsfreunde.co

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