Der “van der Sar”-Effekt

Carsten Fleischer
Evertracker Think Blog
4 min readMar 2, 2017

Fußball und Logistik haben zwei Dinge gemeinsam. Sie sind männerdominiert und traditionsbewusst. Änderungen werden generell sehr kritisch beurteilt. Deswegen erzähle ich heute ein bisschen was von Edwin van der Sar. Er war ein Game Changer. Er hat ein Spiel verändert — Fußball. Genau genommen war van der Sar ein Torwart. Er war jemand, der Altbekanntes völlig neu interpretiert hat. Kann die Logistik vom Fußball hier etwas lernen?

Regeländerung

1992 kam es im Fußball zu einer kleinen aber feinen Regeländerung. Nach einem Rückpass vom eigenen Mitspieler durfte der Torwart den Ball nicht mehr in die Hand nehmen.

Die Idee war eigentlich nicht weltbewegend. Man wollte das Spiel schneller machen und das Zeitspiel etwas eindämmen. Mit der Einführung der Regel droschen die Torhüter den Ball unendlich weit weg, sobald sie vom eigenen Mitspieler angespielt wurden — “Hoch und weit bringt Sicherheit”.

Kleine Änderung große Wirkung

Etwas später zeigten sich aber die echten Auswirkungen. Eine kleine Regeländerung änderte das Spiel des Torwarts und am Ende eigentlich auch das gesamte Spiel.

Der schon erwähnte Edwin van der Sar war dabei der Prototyp eines mitspielenden Torhüters. Schaut man sich heute Manuel Neuer an, so ist er nicht nur auf der Linie stark, sondern kann auch beeindruckend mit beiden Füßen den Ball spielen. Edwin van der Sar hat es wohl als erster so gemacht. Kurz zur Person, van der Sar war niederländischer Nationaltorwart und spielte ungefähr zur gleichen Zeit wie Oliver Kahn, die meiste Zeit davon in Italien und England.

Durch die Teilnahme am kompletten Spielgeschehen hatte das eigene Team plötzlich immense Vorteile. Durch das frühe Erkennen der Macht dieser Veränderung und natürlich durch seine technischen Fähigkeiten wurde Edwin van der Sar zu einem Game Changer. Er änderte das gesamte Spielgeschehen.

Nun konnte man damals den guten Edwin nicht einfach klonen und überall ins Tor stellen. Man musste eine Torwart-Generation warten, bis alle Jungs so ausgebildet waren, dass sie in der Lage waren an einem Fußballspiel so zu partizipieren wie van der Sar es tat.

Track & Trace ist wie Ballwegdreschen

Warum erzähle ich in einem Artikel über Digitalisierung von einem ehemaligen Torwart? Dazu noch, mit verlaub, von einem holländischen?

Ich möchte von einer für mich ähnlichen Sachlage aus der Logistik berichten. Ich arbeite bei dem Start-Up Evertracker. Wir statten unter anderem Assets (Container, Transportbehälter etc.) mit GPS-Devices aus. Wir wollen dabei helfen die Logistik zu verändern.

Das Fußballspiel wollte man durch eine Regeländerung schneller machen. Die Dimension dieser Änderung war kaum jemanden bewusst. Ähnlich verhält es sich in der Logistik. Track & Trace ist häufig eines der ersten Dinge, die einem einfallen, wenn es um Digitalisierung von beweglichen Gegenständen geht. Nun ist der Sinn von Track & Trace, den Standort beteiligter Assets auf Knopfdruck auf einer Online-Karte zu erfahren. Eine simple Strategie: Statte ich mehr Assets aus, erhalte ich auch mehr Daten.

Track & Trace ist das Ballwegdreschen des Torwarts in der Logistik. Das ist eine legitime Spielvariante, aber eine einfallslose. Das ist ganz alte Schule. Eher ’54 als ’74. Ehrlich gesagt, die Anschaffung eines solchen Track & Trace-Systems ist nur eines: teuer. Analog zum Fußball ist es eine Regeländerung, die dem Spiel nichts bringt.

Der “van der Sar”-Effekt

Was passiert aber, wenn ich das Spiel neu interpretiere? Wenn ich die Daten, die mir ein Asset sendet, intelligent nutze? Wenn ich mich von ’54 Richtung 2014 bewege?

Mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz kann man nicht nur sehen, wo Assets sind. Man kann Bewegungen antizipieren, Abläufe beschleunigen und intelligenter Arbeiten. Assets sind plötzlich die mitspielenden Torhüter, die das Spiel verstehen.

Mit solchen Daten sind die Logistikabläufe plötzlich anfassbar. Mit einer künstlichen Intelligenz fange ich an, meine Prozesse zu automatisieren. Meine Assets kommunizieren mit dem LKW, auf dem sie unterwegs sind. Sie kommunizieren mit dem Hub, zu dem sie unterwegs sind. Die Assets transportieren Güter, die evtl. auch kommunizieren können. Die Assets wissen wo sie hin müssen, wann sie den LKW wechseln müssen, wann sie losfahren und ankommen müssen. Sie steuern sich selbst. Algorithmen übernehmen die Planung, treffen Entscheidungen.

Eine neue Generation

Die Regeländerung im Fußball kam, bevor die Torhüter für diese Art von Spiel ausgebildet wurden. Es dauerte eine ganze Torwart-Generation lang, bis es so weit war. Beim Fußball hat das funktioniert, weil alle die gleichen Bedingungen vorfanden.

In der Logistik wird es nicht eine Generation dauern. Die Macht von kommunizierenden Assets, künstlicher Intelligenz und automatisierten Prozessen werden wir sofort zu spüren bekommen, sobald jemand die Regeln ändert. Im Gegensatz zu van der Sar kann man diese Lösung dann nämlich klonen. Die Regeländerung wird vielleicht nicht einmal aus der Branche selbst kommen und von externen Unternehmen diktiert.

Training

Im Fußball begannen die Torhüter häufiger mit den Feldspielern zu trainieren. Auch Torhüter wurden beidfüßig ausgebildet. Feldspieler mussten verstehen, wie man den mitspielenden Torhüter nutzt. Alles das musste man ausprobieren, testen, trainieren. Kein Verein, kein Trainer hat die Dimensionen der Veränderung nur durch bloßes Diskutieren begriffen. Das Spiel wurde nicht irgendwann in einer 2-wöchigen Sommervorbereitung neu erfunden.

So ähnlich sehe ich das auch in der Logistik. Ich muss ausprobieren, was eine kommunizierende Logistik für mich bedeutet. Welche Daten sind interessant und nutzbar?

Oder, um es mit der Fußball-Analogie zu halten: wenn ich jetzt nicht anfange meine Torhüter auszubilden, werden diese in der Zukunft keine Rolle mehr spielen. Das Spiel wird sich weiterentwickeln. Fangen Sie an, Erfahrungen mit einer kommunizierenden Logistik zu machen. Später teure Lösungen einzukaufen tut weh.

Als leidgeplagter HSV-Fan sage ich: Einen Edwin van der Sar beim HSV ins Tor zu stellen bringt dann irgendwann auch nichts mehr.

Sprechende Assets

Bringen Sie Ihre Assets zum Sprechen. Das mag auf den ersten Blick teuer erscheinen. Auf den zweiten Blick ist es aber eine sehr günstige Variante. Wenn ich Stärken und Schwächen der Technik verstehe, kann ich den Prozess von Anfang an mitgestalten. Wollen wir den Ball denn ewig weg dreschen? Edwin van der Sar hatte als einer der Ersten verstanden, wie man das Spiel durch eine simple Regeländerung komplett ändert. Er war ein Game Changer. Wie beginnen wir mit der Übertragung des van der Sar Effektes auf die Logistik?

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