Hat die Ingenieurs-Nation ein Problem?

Carsten Fleischer
Evertracker Think Blog
6 min readFeb 7, 2017

Die Logistikbranche muss eine Strategie entwickeln, um sich der Digitalisierung zu stellen. Nun ist Deutschland eine Ingenieurs-Nation. Im Ausland steht Deutschland für Qualität und unzählige deutsche Unternehmen sind Weltmarktführer. Das hat unserem Land zu Wohlstand und Ansehen verholfen. Diese Ingenieurs-Nation hat eine ganz bestimmte Strategie zum Lösen von Problemen kultiviert. Ich glaube diese Strategie hat sich auf unbeschreibliche Weise in der DNA der Nation verankert ist. Das steht uns gerade im Wege. Wir stehen vor gravierenden Umwälzungen durch die Digitalisierung. Wollen wir für diese Umwälzungen gewappnet sein, sollten wir diese Strategie ändern.

Die technikbegeisterte Nation

Ich möchte am Thema Drohnen einmal erklären, was ich meine. Das Thema ist in der Presse sehr präsent. Ob fliegende Drohne, fahrende Paketdrohnen, autonome LKWs auf der Autobahn oder begeisterte Hobby-Piloten die ihre Drohnen am Wochenende in die Luft steigen lassen, jeder hat auf die ein oder andere Weise schon davon gehört.

Nun ist Deutschland eine technikbegeisterte Nation. Wir können uns wunderbar an so einem Thema erfreuen und darüber streiten. Kann eine Paketdrohne auf meinem Balkon landen? Wer hat eigentlich Schuld, wenn ein selbstfahrender LKW auf der Autobahn einen Unfall hat? Sind unsere Straßen eigentlich für diese Technologie ausreichend? Kommt eine Drohne auch den Kantstein vor meiner Wohnung hoch? Wann soll diese Zukunft eigentlich beginnen? In 20 Jahren?

Selbstfahrende Autos entführen Kinder

Als ich neulich meinem Chef Marc diskutiert habe, fragte er mich grinsend, ob selbstfahrende Autos wohl in Zukunft Kinder entführen könnten, um Bitcoins zu erpressen. Zugegeben, die Frage war nicht ernst gemeint.

Bedenkenträger aller Art kommen aber ganz unweigerlich aus der Deckung und philosophieren über rechtliche Aspekte, geben generelle Probleme zu bedenken („…und dann sind alle Bürgersteige voller Drohnen“). Ich möchte hier gar nicht so sehr auf die Frage “Glas halb voll oder halb leer” eingehen, aber anstatt Chancen zu diskutieren wird viel Aufwand betrieben die Risiken genau zu beleuchten.

Wir versuchen alles ganz genau und effizient zu machen. Andere Nationen bewundern uns dafür. Wir machen die Dinge, die wir machen, gerne richtig. Kann es sein, dass sich der Effizienzgedanken über die Jahre in unsere DNA eingefressen hat, so dass wir gar nicht mehr anders können?

Jeder der hier aufgewachsen ist, ist ein bisschen davon geprägt. Ich selber bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Bilder mit Wasserwaage aufgehängt werden. Nun bin ich weit davon entfernt dieses Verfahren selber anzuwenden, gebe aber zu, dass ich daran denken, wenn ich ein Bild aufhänge. So etwas prägt.

Die Dinge richtig tun

Effizienz bedeutet, die Dinge richtig zu tun. Effizienzsteigerung erreichen wir durch Genauigkeit. Durch genaues Analysieren des Bestehenden und das Einsetzen des Gelernten zur Weiterentwicklung unseres Produktes wird die Qualität permanent gesteigert.

Man darf Effizienz aber nicht mit Effektivität verwechseln. Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun. Ich kann sehr effizient ein Loch graben. Dies kann ich unter Anwendung allem zur Verfügung stehenden Wissens tun. Es ist aber nicht effektiv, an der falschen Stelle zu graben. Noch schlimmer ist es, wenn in Zukunft niemand mehr meine Löcher benötigt.

Fantasielos

Das reine Verstehen der Technik reicht nicht mehr. Deutsche Unternehmen sind gut im Optimieren von Prozessen, Bauteilen und Produkten. Wir sind daran gewöhnt unseren Erfolg in Effizienzsteigerung zu bewerten. Ein Plus von 2% ist unsere Welt.

Wird uns diese Gabe nun helfen die Digitalisierung in der Zukunft zu meistern oder ist diese Mentalität eher hinderlich? Ich glaub mit dem unbedingten Willen, alles genau zu planen, zu konstruieren und zu bauen stoßen wir momentan an unsere Grenzen. Wir sind fantasielos.

Drohnen sind nur der Anfang

Ich möchte auf die Drohnen zurückkommen. Die Frage ist doch, ob wir uns damit zufrieden geben wollen, die beste, stabilste, langlebigste Drohne zu bauen. Oder wollen wir auch bestimmen, wie alles was hinter dieser Idee steht unser Leben beeinflusst? Ich glaube Drohnen stehen nur am Anfang einer langen Kette von Entwicklungen, die die Digitalisierung mit sich bringt.

Ich glaube, dass die Voraussetzungen für den Einsatz von Drohnen da sind. Wenn sie noch nicht da sind werden sie geschaffen. Juristen, Philosophen, Stadtplaner und, ja auch, Ingenieure werden den Weg bereiten. Es wird geschehen. Drohnen werden Teil unseres Lebens. Die reine Diskussion über technische Aspekte von Drohnen bringt uns nicht mehr weiter. Es wird nur so viel über die Technik diskutiert, weil wir in diesen Themen sowieso ganz gut sind. Menschen mögen gerne über Dinge reden, in denen sie sich auskennen.

Vom Marketing-Stunt zum Business

Ich behauptete gerade etwas provokant, dass wir fantasielos sind. Drohnen an sich bringen noch keinen echten Mehrwert für mich oder für die Gesellschaft. Der Einsatz einer Drohne, die mir eine Tube Zahnpasta nach Hause bringt ist heutzutage natürlich nicht mehr als ein witziger Marketing-Stunt. Es ist kein ernsthaftes Business. Um alle Vorteile der Digitalisierung zu verstehen ist Fantasie gefragt.

Ich bestelle Zahnpasta. Dies setzt einen Prozess in Gang der die Zahnpasta in eine Drohne verfrachtet, eventuell mit anderen Produkten auch von anderen Händlern kommissioniert und mir zu einer gewünschten Zeit zukommen lässt.

Eine Drohne, die mir meine Zahnpasta um 19h nach Hause liefern soll bekommt evtl. ein Problem, wenn ich nicht da bin. Ich stelle also um 17h fest, dass ich um 19h auf keinen Fall zu Hause sein werde. Am besten wäre es, die Bestellung zu dem Ort umzuleiten, an dem ich dann voraussichtlich sein werde. Da nun niemand vor einem Bildschirm sitzt und die Drohnen per Fernsteuerung umleitet, müssen wir uns etwas einfallen lassen, das diesen Prozess für uns übernimmt.

Wem das Beispiel nicht dramatisch genug ist nimmt den milliardenschwere Just-in-Time Lieferprozess der Autoindustrie, Medikamentenlieferung an Kranke oder die Logistik eines Hafens oder Flughafens.

Daten bestimmen die Zukunft

Egal ob Zahnpasta, Medikamente oder Produktionsteile, diese recht plakativ gewählten Beispiele zeigen, wer am Ende die Zukunft bestimmen wird. Wer die Daten steuert und deren Verwendung beherrscht, wird meiner Meinung nach die Logistik der Zukunft bestimmen. Ideen für die Verwendung der Daten führen zu Mehrwert, nicht die Drohne an sich. Dafür muss die Fantasie über das rein Technische hinausgehen.

Die richtigen Dinge tun

Die entscheidende Frage ist also nicht, wie die Drohne am Ende aussieht und wer bei Schaden haftet, sondern wie der komplexe Logistik-Strom eigentlich gesteuert wird. An dieser Stelle verebbt die Diskussion häufig.

Ich arbeite bei dem Start-Up Evertracker. Wir kümmern uns um die Transparenz von Logistikketten mit Live Daten. Wir wollen Prozesse vorhersagen und steuern. In einem Start-Up muss man zwangsläufig lernen unkonventionell zu denken.

Ich stelle fest, dass unkonventionelles Denken und Fantasie in der Logistik häufig bei reinen Track & Trace Lösungen endet. Die Kommunikation mit seinen Fahrern über günstig angekaufte, ausrangierte Smartphones, halte ich nicht für sonderlich wegweisend. Auf ein Geschäftsmodell im Jahre 2017 angewendet mögen Lösungen dieser Art effizient sein, aber reine Effizienzgewinne werden uns auf Dauer nicht weiterbringen. Effektiv wäre es, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Zukunft aussehen soll und darauf hinzuarbeiten.

Ein Bild von der Welt von morgen

Fragen wie “Wer braucht denn schon 1-Stunden Zustellung?” sind falsch gestellt. Eine gute Frage ist „Wie steigere ich die Flexibilität dramatisch?“. Schnellere Autos oder bessere Barcodescanner sind genau so wenig die Antwort wie grünere Ampeln oder flexiblere Menschen. Wir müssen ein Bild von der Welt von morgen entwerfen. Jedes Unternehmen, aber auch jede Privatperson tut gut daran, sich damit zu beschäftigen, was es bedeutet in einer datengesteuerten Welt zu leben. Wenn ich nun Diskussionen verfolge, glaube ich oft herauszuhören, dass viele Leute nicht daran glauben.

Im Spiel bleiben

Logistik wird ebenfalls diesem Wandel unterliegen. Nun ist es so, dass Wandel früher langsam von statten ging. Das ist heute nicht mehr so. Wandel kann sich sprichwörtlich über Nacht vollziehen. Er ist global und radikal. Unternehmen, die das Spiel ändern, kommen nicht mehr zwangsläufig aus der Branche. Sie kümmern sich nicht in erster Linie um Effizienzgewinne, sondern setzten ihre Fantasie ein, um die Spielregeln außer Kraft zu setzen. Später ist die Zeit, die den angestammten Unternehmen der Branche bleibt, häufig knapp. Die neuen Spielregeln wurden dann von anderen gesetzt. Reagieren fällt im Nachhinein schwer.

Um im Spiel zu bleiben braucht es Fantasie. Zum Glück kann man etwas Kreativität systematisch fördern und ein systematisches Vorgehen liegt uns ja. Wie kann die Ingenieurs-Nation Deutschland Fantasie lernen?

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