Fahrradunfälle: Hier liegen die Brennpunkte auf Dortmunds Straßen

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7 min readJun 16, 2019

Von: Pauline Baur, Nathan Niedermeier und Karsten Wickern

Im vergangenen Jahr verunglückten auf Dortmunds Straßen drei Radfahrer tödlich. An rund 450 weiteren Verkehrsunfällen waren Radfahrer 2018 beteiligt, das geht aus der Verkehrsstatistik der Polizei Dortmund hervor. Wir haben die Unfalldaten ausgewertet und Brennpunkte identifiziert, an denen sich im vergangenen Jahr besonders viele Radfahrunfälle ereignet haben. Möglich ist diese Datenauswertung, weil die Polizei Dortmund seit 2018 ihre Unfallstatistiken mit GPS-Daten versieht. Diese interaktive Karte zeigt die Unfall-Brennpunkte:

Der Dortmunder Peter Fricke engagiert sich bei dem Radfahrnetzwerk VeloCityRuhr und ist seit vielen Jahren begeisterter Radfahrer. Er kennt die Problemstellen auf Dortmunds Straßen sehr genau. Fricke ist für VeloCityRuhr Mitglied im Beirat Nahmobilität der Stadt Dortmund und setzt sich darüber für eine fahrradfreundlichere Stadt ein. Mit ihm machen wir uns per Fahrrad auf den Weg zu den Brennpunkten im Innenstadtbereich. Eine Tour, die die Probleme der Dortmunder Radverkehrsinfrastruktur verdeutlicht.

Peter Fricke

1. Station: Kreuzung Unionstraße/Übelgönne

Unsere Tour beginnt an der Kreuzung Unionstraße/Übelgönne. Die Unionstraße hat an dieser Stelle ein Gefälle, das dazu führt, dass Radfahrer hier fast so schnell wie die Autos unterwegs sind. 2018 ereigneten sich hier gleich sieben Fahrradunfälle, so viel wie an keiner anderen Kreuzung in der Stadt. Für die Radfahrer sind hier sowohl die Links- als auch die Rechtsabbieger gefährlich, erklärt Fricke. Beide sehen die Radfahrer viel zu spät oder gar nicht. Für die Rechtsabbieger versperren (falsch) parkende Autos und ein Baum die Sicht, für die Linksabbieger der Gegenverkehr. Hinzu kommt, dass der Radfahrstreifen zu schmal ist. Mögliche Lösungen könnten laut Fricke sein, die Parkplätze und den Baum, der die Sicht auf die Radfahrer erschwert, zu beseitigen. Eine andere Möglichkeit wäre es eine Ampel zu bauen. Auch Werner Blanke, Vorstandsvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Dortmunds, kennt die Problemstelle. Blanke schlägt vor, den Radweg nicht als Hauptradroute zu beschildern oder eine Aufpflasterung zu bauen, also den Radweg leicht zu erhöhen, so dass sie Autos bremsen müssten.

2. Station: Lindemannstraße

Der Schutzstreifen ist an der schmalsten Stelle gerade mal 1 Meter breit.

Bei der Lindemannstraße kritisieren sowohl Fricke als auch Blanke die zu schmalen Radwege ohne Abstand zu parkenden Autos. Die Radfahrer würden sich hier sehr unterschiedlich verhalten, weil teilweise auch auf dem Gehweg gefahren werden darf. Radfahrer, die sich auf der Straße wegen des schmalen Radweges unsicher fühlen und auf den Gehweg ausweichen, leben aber im Zweifel sogar noch gefährlicher, weil Autofahrer dort nicht mit Radfahrern rechnen, erklärt Fricke.

Insgesamt ereigneten sich auf der Straße sieben Fahrradunfälle. Davon die meisten an der Kreuzung zur Straße “Neuer Graben”.

3. Station: Hohe Straße

Standbild der brenzligen Situation.

Auf der Hohen Straße werden wir auf unserer Tour Zeugen einer äußerst brenzligen Situation. Dort, wo die Hohe Straße in den Wall mündet, wird der Radweg zweigeteilt. Geradeaus fahrende Radler werden auf einer eigenen Spur zwischen linksabbiegenden Autos und geradeaus fahrenden Autos geführt. Linksabbiegende Radler werden rechts am Autoverkehr vorbeigeleitet. Das Problem: Die linksabbiegenden Autos müssen so die Radspur kreuzen. Wenn dann der Schulterblick fehlt, kann das für die Radfahrer schnell sehr gefährlich werden. Und so auch heute. Eine Autofahrerin kreuzt den Radfahrstreifen unmittelbar vor einem heranfahrenden Radfahrer, der gerade noch scharf abbremsen kann und wütend mit der flachen Hand gegen das Auto schlägt.

„Sie hätten mich beinahe überfahren“

brüllt er. Insgesamt gab es auf der Hohen Straße 2018 sieben Unfälle. Peter Fricke findet, dass sich bei der Hohen Straße etwas weiter entfernt vom Ring ein weiteres allgemeines Problem zeigt und das heißt Schrägparkplätze. Bei solchen Parkplätzen parken Autos quasi blind aus und haben fast keine Möglichkeit, Radfahrer zu sehen, erzählt Fricke. Außerdem sei der Radweg viel zu schmal und habe auch keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den parkenden Autos. Wir messen per Zollstock nach und tatsächlich ist der Radweg an einer besonders schmalen Stelle gerade einmal einen Meter breit. Fricke fordert 1,85 m plus einen Sicherheitsstreifen als Abstand zu den parkenden Autos von 50 bis 75 cm.

4. Station: Märkische Straße

Auch auf der Märkischen Straße ereigneten sich 2018 besonders viele Radfahrunfälle, insgesamt sechs Mal hat es dort gekracht. Gleich zwei der Unfälle passierten an exakt der gleichen Stelle. Hier wird der sehr schmale Radweg auf dem Bürgersteig geführt und die Sicht darauf ist durch parkende Autos und Bäum für Autofahrer größtenteils verdeckt. Hinzu kommt ein Gefälle, so dass auch hier Radfahrer schneller als üblich unterwegs sind. Und wieder sind es die Rechtsabbieger, die geradeaus fahrende Radfahrer übersehen. Direkt an der Unfallstelle ist eine Apotheke. Der Apotheker Dr. Haryanto arbeitet dort und erinnert sich, dass es an dieser Stelle immer mal wieder zu brenzligen Situationen kommt. Damit die Radfahrer nicht mehr so leicht übersehen werden können, schlägt Peter Fricke einen Radweg auf der Straße als Lösung vor. Dafür müssten die Autofahrer allerdings auf eine Fahrbahn verzichten.

Im außerstädtischen Bereich Dortmunds ergibt die Auswertung der Polizeidaten eine Häufung von Unfällen an der Kreuzung Greveler Straße/Kurler Straße in Kurl und auf der Stockumer Straße in Barop.

LKW-Unfälle deutlich häufiger mit tödlichem Ausgang

An den allermeisten Radfahrunfällen waren PKWs beteiligt. Unfälle mit LKWs gab es lediglich zwölf, davon aber gleich zwei mit tödlichem Ausgang für den Radfahrer.

An Radfahrunfällen beteiligte Fahrzeuge mit dem Verletzungsgrad der Unfälle.

Einer der tödlichen Unfälle ereignete sich auf der Kreuzung Schützenstraße/ Mallinckrodstraße. Beide Straßen dürften Dortmunder Radfahrern als besonders gefährlich bekannt sein und sind auch dem ADFC ein Dorn im Auge. Im August 2018 erfasste ein rechtsabbiegender LKW an der Kreuzung einen geradeaus fahrenden Radfahrer, der hier Vorfahrt hat. Nach sechs Tagen erlag der 85-Jährige im Krankenhaus seinen Verletzungen. Dortmunder Radfahrer stellen daraufhin ein sogenanntes „Ghostbike“ an der Unfallstelle auf. Es soll an den tödlichen Unfall erinnern. Es ist das vierte Fahrrad, das in Dortmund an einen verunglückten Radfahrer erinnert.

Das “Ghostbike” an der Schützenstraße.

Fragt man Werner Blanke nach weiteren Problemstellen sagt er: „Im Grunde sind sämtliche Hauptverkehrsstraßen in Dortmund ein Problem, denn insgesamt sind die Radwege häufig zu schmal, falsch geführt, hören einfach im Nichts auf oder sind in katastrophalem Zustand“.

Für besonders kritische Kreuzungen schlägt Blanke eine getrennte Grünphase vor. Die würde so aussehen, dass Radfahrer und Fußgänger auf der gesamten Kreuzung zeitgleich eine gemeinsame Grünphase hätten.

Auch Peter Fricke sieht in Dortmund viel Nachholbedarf im Radverkehr und hat konkrete Ideen, was sich ändern müsste:

In den letzten Jahren ist die Anzahl der Radfahrunfälle in Dortmund kontinuierlich gestiegen. Waren es 2014 noch rund 317, stieg die Zahl bis 2018 auf rund 450 Unfälle an. Insgesamt ereigneten sich in Dortmund im letzten Jahr allerdings rund 24.500 Verkehrsunfälle. Alle Radfahrunfälle 2018 sind auf dieser interaktiven Karte dargestellt:

Schlechte Noten für die Dortmunder Radinfrastruktur

Dass Dortmund in Sachen Fahrradfreundlichkeit kein Musterbeispiel ist, belegt auch das Städteranking des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Bei dem Ranking aus dem Fahrradklima-Test des Verbandes belegt Dortmund den vorletzten Platz unter deutschen Großstädten.

In Bremen, der Stadt auf Platz eins des ADFC-Rankings ereigneten sich 2018 insgesamt deutlich mehr Fahrradunfälle, nämlich rund 1.200 statt der 450 in Dortmund. Anders als in Dortmund steigen die Zahlen in der Hansestadt jedoch nicht kontinuierlich, sondern schwanken. In Bremen, von der Fläche und Einwohneranzahl in etwa mit Dortmund zu vergleichen, liegt allerdings der Anteil der Fahrradfahrer am Gesamtverkehr nach Angaben der Stadt bei rund 25 Prozent. In Dortmund sind es laut Angaben der Befragung zum Mobilitätsverhalten der Dortmunder Bevölkerung lediglich 6 Prozent. Die Daten stammen allerdings aus dem Jahr 2013. Aktuell läuft erneut eine Bürgerumfrage, bis die Ergebnisse da sind, dürfte es aber noch einige Monate dauern. Der ADFC hat auch Zählungen zum Radverkehr durchgeführt. Demnach blieben die Zahlen lange etwa konstant, aber in den letzten Jahren hätten sich leichte Anstiege abgezeichnet.

Neue Stellen für den Radverkehr geplant

Nach einem Ratsbeschluss strebt Dortmund an, den Anteil des Radverkehrs bis 2030 auf 15 Prozent anzuheben. „Nicht besonders ambitioniert“ findet Werner Blanke, andere Kommunen würden sich 25 Prozent vornehmen.

30.000 Unterschriften konnten die “Aufbruch Fahrrad” Unterstützer in Dortmund sammeln. Foto: Jan Rocho

Außerdem will die Stadt voraussichtlich acht neue Stellen für den Radverkehr schaffen. Der endgültige Beschluss dazu wird am 4. Juli erwartet. Damit reagiert die Stadt auch auf die Petition „Aufbruch Fahrrad“, bei der NRW-weit nirgends so viele Menschen unterschrieben haben wie in Dortmund, satte 30.000 nämlich. Werner Blanke findet, das sei „längst überfällig, denn damit zieht Dortmund endlich mit anderen Kommunen gleich“. Bislang gab es in Dortmund lediglich 1,5 Stellen für den Radverkehr.

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