Papierpuppen als perfekte Mode-Botschafter

Gerlind Hector
Fashion Images the Book
5 min readMar 22, 2019

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Erlaubt ist, was gefällt — dies gilt in der Mode erst nach 1789. Nach dem Adel gibt nun die Bourgeoisie den Ton an und verlangt nach dem „dernier cri“ aus Paris. Um Modenews schneller und kostengünstiger zu verbreiten, kommt man auf eine naheliegende Idee …

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Papierpuppen aus dem Godey’s Lady’s Book 1840–1854.

Die Französische Revolution hat ab 1789 ausgehend von Paris auch die Mode im umliegenden Europa befreit. Nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch die bekleidungsspezifische Gesetzmäßigkeiten wurden überdacht und spiegelten den neuen Zeitgeist wider. Spätestens ab 1790 war die aufwändige Rokokomode mit ihren prächtigen Verzierungen passé. Auch die gepuderten Perrücken der Oberschicht erinnerten an das Ancien Régimeund wer sie trug, lief Gefahr als Royalist angeklagt und enthauptet zu werden

Die Befreiung der Mode in Europa weckte vor allem das Interesse einer neu entstandenen Gesellschaftsschicht, der Bourgeoisie, und die Nachfrage nach Modeneuigkeiten stieg kontinuierlich an. Mit den bis dahin üblichen porzellanenen Modepuppen als Botschafterinnen der Mode konnte aber nur eine vergleichsweise kleine Gruppe an Konsumenten bedient werden; zu teuer und aufwändig war die Herstellung und etwas Neues musste her.

Schneller, billiger und leichter zu verschicken

Die Lösung fand sich in Form von Papier-Anziehpuppen, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf den Markt kamen und fortan als das bessere Modemedium galten. Üblich waren Papp- oder Papierbögen, deren aufgedruckte und selbstverständlich kolorierte Figurinen und Kleider zunächst ausgeschnitten werden mussten. Die Garderobe konnte durch An- oder Abheften problemlos ausgetauscht werden und so erinnern jene Papierpuppen an die Anziehpuppen, die noch heutzutage als Kinderspielzeug in Umlauf sind. Der Vorteil des neuen Modemediums lag klar auf der Hand: die Papier-Mannequins waren wesentlich schneller und vor allem kostengünstiger herzustellen als Porzellan- oder Holzpuppen und ließen sich besser versenden.

Tatsächlich waren die Papierpuppen keine neue Erfindung. Ein erster Ausschneidebogen, der sich bis heute in der Graphischen Sammlungdes Germanischen Nationalmuseumsin Nürnberg befindet, stammt aus dem süddeutschen Raum und wurde bereits um 1650 hergestellt. Der per Hand aquarellierte Holzschnitt funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Eine in neutraler Unterwäsche gekleidete weibliche Figurine kann mit diversen zeitgemäßen Kleidern, Capes, Kragenvariationen und sogar Frisuren „umgemodelt“ werden.

Modeinteressierte Leser werden bedient

Andere frühe Beispiele, die ebenfalls noch aus der vorrevolutionären Phase stammen, bieten zum Teil sogar eine Vorder- sowie Rückenansicht. Hier werden die Papierkleider einfach den Figurinen übergestülpt, an den Rändern verklebt und bieten auf diese Weise eine Rundumansicht des jeweiligen Kleidermodells, was bei komplizierten Roben — zum Beispiel mit Cul de Paris, der Betonung des Hinterteils — durchaus Sinn macht.

Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ging man dann der Einfachheit halber zur Variante mit umklappbaren Seitenlaschen über. Als Beilage in den frühen Modejournalen, die im ausgehenden 18. Jahrhundert aufkamen, galten die Papier-Anziehpuppen bei den modeinteressierten Lesern in Frankreich, England und Deutschland als überaus beliebt. Zwar ersetzten sie die Pupées de Modeals Dekorationsobjekt nicht ganz, aber ermöglichen nun auch den weniger begüterten Schichten am modischen Leben teilzunehmen. Und darauf kam es in diesen Tagen schließlich an.

Fragment eines Ausschneidebogens, um 1650. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.

Paper dolls as perfect fashion ambassadors

Allowed is what pleases — this applies in fashion after 1789. The nobility has no power left, the bourgeoisie sets the tone and demands the “dernier cri” from Paris. To spread fashion news faster and cheaper, they come up with an obvious idea …

From 1789 the French Revolution freed the fashion in surrounding Europe starting from Paris. Not only the political conditions but also the clothing-specific regularities were reconsidered and reflected the new zeitgeist. By 1790 at the latest, the elaborate rococo fashion with its magnificent ornaments was passé. Also, the powdered wigs of the upper class reminded of the Ancien Régimeand whoever wore them, ran the risk of being accused as Royalist and beheaded.

“A Bride and her Trousseau“ from Godey’s Lady’s Book, 1876.

The liberation of fashion in Europe, above all, aroused the interest of a newly emerged stratum of society, the bourgeoisie, and the demand for fashion novelties increased steadily. However, with the hitherto customary porcelain fashion dolls as ambassadors of fashion, only a comparatively small group of consumers could be served; the production was too expensive and time-consuming and something new had to come.

Faster, cheaper and easy to ship

The solution came in the form of paper-tying dolls, which came on the market in the late 18th century and henceforth were considered the better fashion medium. Common were cardboard or paper sheets whose printed and colored figurines including dresses had to be cut out first. The wardrobe could be easily replaced by filing and remind to those dress-up dolls, which are still circulating as children’s toys today. The advantage of the new fashion medium was obvious: the paper mannequins were much faster and, above all, less expensive to produce than porcelain or wooden dolls and could be shipped better.

In fact, the paper dolls were not a new invention. A first cut-out sheet, which is still in the Graphic Collectionof the Germanic National Museumin Nuremberg, originates from southern Germany and was produced around 1650. The hand-watercolored woodcut works on the same principle: a female figurine dressed in neutral underwear can be “remodeled” with various contemporary dresses, capes, collar variations and even hairstyles.

Fashion-interested readers are served

Other early examples, which also come from the pre-revolutionary period, sometimes even offer a front and back view. Here, the paper dresses are simply put on the figurines, glued to the edges and thus offer a panoramic view of the respective dress model, which makes perfect sense in complex robes — for example, with Cul de Paris, the emphasis on the hindquarters.

In the last quarter of the 18th century, for simplicity, they went to the variant with folding side flaps. As a supplement in the early fashion journals, which emerged in the late 18th century, the paper-dolls were considered by the fashion-interested readers in France, England and Germany as extremely popular. Although they did not completely replace the Pupées de Modeas a decorative object, they now also make it possible for the less wealthy classes to participate in fashionable life. And that’s what it was all about these days.

Revival of paper dolls: Between 1953 and 1955 Yves Saint Laurent created 11 dolls, 443 outfits. Visit Fondation Pierre Bergé.

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