Was Punks so machen

Am 23. Mai findet in Wien der Eurovision Song Contest statt. Finnland schickt den wohl außergewöhnlichsten Teilnehmer ins internationale Rennen: „Pertti Kurikan Nimipäivät“, zu Deutsch „Pertti Kurikans Namenstag“. Die Band besteht aus Menschen mit Behinderung — und aus leidenschaftlichen Punks.

Maximilian H Tonsern
Feuilletonsern präsentiert

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Das Interview mit Pertti Kurikka (Gitarre), Kari Aalto (Gesang), Sami Helle (Bass) und Toni Välitalo (Schlagzeug) wurde mithilfe meines Freundes und Übersetzers Time Piipponen über Skype geführt — paljon kiitoksia, ystävä!

Warum habt ihr eigentlich Punk ausgewählt?
Sami Helle: Wegen Pertti. Er ist sein ganzes Leben lang schon ein Punkrocker. Ohne ihn wären wir niemals eine Band geworden.

Kari Aalto: Yeah.

Pertti Kurikka: Das stimmt. Ich habe viele finnische Bands gehört, wie Karanteeni, Sensuuri, Rythmihäiriö, Terveet Kädet, Vaavi … Die Liste ist sehr lang, es gibt so viele gute finnische Bands.

Sami Helle: Yeah, das ist gut, Pertti.

Pertti Kurikka: Und Ypö-viis! Die hatten dieses eine Lied, „Tänään Kotona“ (Heute daheim), das ist mein ewiges Lieblingslied.

Was macht eure Musik aus?
Sami Helle: Unsere Lieder sind universell. Jeder kann einen Bezug zu den Liedern herstellen. Die Lieder sind auch sehr gut, und alle sagen immer, sie können es mit diesem und jenen verbinden.

Was wollt ihr mit euren Liedern aussagen?
Kari Aalto: Als Songwriter werde ich diese Frage beantworten. Es geht um die Einstellung. Egal ob finnische Musik, englische oder amerikanische Musik, es ist überall gleich. Du singst über Politiker, Polizisten, wie du dich fühlst, du singst darüber, was Punks so machen. Dinge, über die sich Punks ärgern, was sie der Welt sagen möchten. Lieder mit einer Botschaft. Du machst das mit Liedern genau so wie mit der Kleidung. Die Kleidung, die Einstellung und die Botschaft sind die Fundamente der Punkrock-Musik.

Pertti hat übrigens im April Namenstag. Dabei wird immer ein großes Punk-Konzert veranstaltet. Kari feiert im Song Contest Monat Mai seinen 39. Geburtstag. Bild von Time Piipponen

Und welche Themen behandelt ihr in euren Liedern genau?
Sami Helle: Alltägliche Sachen, damit jeder etwas damit verbinden kann.

Kari Aalto: Ja. Die Lieder sind meiner Meinung nach auch über Politik. Wenn du dich nicht gut dort fühlst, wo du wohnst. Wenn du dein Zuhause nicht gern hast. Pertti hat einige Texte der Lieder geschrieben, du solltest dir anhören, was er dazu zu sagen hat. Zum Beispiel die Lieder „Pertin luo kylään“ („Zu Besuch bei Pertti’s Wohnung“), oder „Puhevika“ (über seine Sprachbehinderung). Sie sind aus Pertti’s Tagebuch und aus seinem Kopf. Niedergeschrieben auf Papier, mit Hilfe von Kalle, unserem Manager.

Pertti, wenn du Lieder schreibst, woher bekommst du deine Ideen?
Pertti Kurikka: Als ich „Puhevika“ schrieb, hatte ich diese Sprachbehinderung. Ich stotterte und stotterte, immer wegen der gleichen Sache. Sa-sa-sa-sa-sami Helle-helle-helle-helle-helle. Da habe ich dieses Gefühl gehabt, dass ich ständig das gleiche wiederhole, immer und immer wieder. Dann beruhigte sich aber mein Mund. Und ich habe meine Gefühle auf Papier gebracht. Ich glaube, wir haben doch alle ab und zu Sprachprobleme, oder?

Kari Aalto: „Kallio” ist über diese Nachbarschaft, wo ich Zeit verbringe. Ich fühle mich dort wie Zuhause.

Sami Helle: Das wusste ich gar nicht …

Kari Aalto: Ich bin seit den 90ern, 80ern dort, es ist so cool. Es gibt Punkrocker, Heavy Metaler, Biker. Deswegen bin ich gerne in Kallio. Ich gehe dorthin und drinke ein Bier, rauche Zigaretten und hänge einfach ab. Es gefällt mir wunderbar.

Was muss sich Eurer Meinung nach im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch verändern?
Kari Aalto: Ich glaube, dass wir mittlerweile sehr nett behandelt werden. Wir haben es ja auch mittlerweile allen gezeigt. Ich glaube, dass unsere Welt einen weiteren Schritt getan hat, um Menschen mit Behinderung zu verstehen. Was ich noch verbessern möchte, ist, dass Menschen mit Behinderung gleich viel an Bezahlung für Arbeit erhalten, wie „normale“ Menschen das tun. Das möchte ich noch. Und wenn Menschen für uns Entscheidungen treffen, sollten sie noch besser auf uns hören, was wir wollen. Wo wir zum Beispiel leben möchten, zu Hause bei den Eltern, auf einem Sofa von einem Freund, oder in einer betreuten Wohneinrichtung. Oder in unseren eigenen vier Wänden.
Toni Välitalo: Ich lebe mit meinen Eltern in Espoo.

Bild von Kalle Pajamaa

Sami Helle: Meiner Meinung nach geht es uns gut. Ich glaube, dass es in Finnland einfach so ist, dass nicht jeder gerecht bezahlt werden kann. Das ist einfach so. Wir haben auch diese Regression und so. Alle wollen immer so viel — aber wir können nicht jedem alles geben. Weil wir es uns nicht leisten können.

Pertti Kurikka: Wie werden also Menschen mit Behinderung behandelt? Sie werden gut behandelt. Ich lebe in einer betreuten Wohneinrichtung, in Pikku-Huopalathi, einem Stadtteil von Helsinki, im vierten Stock. In unserem Haus leben neun Menschen in ihren Wohnungen.

Kari Aalto: Okay.

Pertti, steht dir auch noch etwas im Sinn, was sich im Umgang mit Menschen mit Behinderung noch verändern oder verbessern könnte?
Pertti Kurikka: Es wäre nett, wenn es noch mehr Hilfe gäbe, wenn sie gebraucht wird. Zum Beispiel wenn ich mein Bett mache. Ich brauche einfach mehr Hilfe dabei. Und dass sie mehr auf mich schauen würden. Das wäre fein. Auch sollten diese Menschen, die uns helfen, mehr bezahlt bekommen.

Glaubt ihr, dass ihr den Eurovision Songcontest gewinnen werdet?
Toni Välitalo: Als wir damals dieses Treffen in Kaapelitehdas (Kulturelles Zentrum in Helsinki) hatten …

Sami Helle: Nein, Tony, die Frage war, ob wir den Eurovision Songcontest gewinnen.

Toni Välitalo: Ja. Wir können und wir werden den Songcontest in Wien gewinnen.

Sami Helle: Glaube ich auch!

Kari Aalto: Ich auch.

Pertti Kurikka: Glaube ich auch. Finnland wird gewinnen!

Toni war beim Interview etwas müde. Spielt jedoch PKN, gibt er alles — und drischt auf das Schlagzeug ein, als gäbe es kein Morgen. Bild von Time Piipponen

Warum gerade ihr?
Kari Aalto: Diese Frage kann ich einfach beantworten: Weil wir eine Punk-Band sind. Und Pertti ein Punkrocker ist. Und weil wir schnelle Punkmusik spielen, und unser Lied, „Aina mun pitää“ (Ich muss immer) einfach, ausdrucksstark und leicht zu verstehen ist. Und weil wir dieses Lied mit Kraft und viel Schwung performen. Ich glaube, wir werden den Eurovision Songcontest 2016 nach Finnland holen.

Sami Helle: Ich möchte ergänzen, dass es dabei auch um Gleichberechtigung geht. Wir zeigen, dass jeder zum Eurovision Songcontest antreten kann — und gewinnen kann. Egal, was für ein Mensch man ist.
Pertti Kurikka: Ich sage einfach, dass wir gewinnen werden. Jawohl, das werden wir. Wenn es darum geht, von den Menschen Stimmen zu bekommen, gewinnen wir.

Kari Aalto: Wir sind so weit schon gekommen, haben es begonnen, jetzt wollen wir es auch beenden. Sicher, die anderen Teilnehmer der Qualifikation waren gut, aber es gewann dennoch der beste und schönste Act: Pertti Kurikan Nimipäivät. Wenn du mich fragst, wird PKN den Songcontest in Österreich gewinnen.

Sami Helle: Ich träume davon, dass wir eine Welttournee machen. Südamerika, Japan, dass ich all diese Länder sehe. Dann können wir, wenn wir alt sind, wirklich sagen: „Wir haben es geschafft.”

Kari Aalto: Du meinst, wie Interrail?

Sami Helle: Was meint ihr, sollen wir nach Brasilien gehen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben?

Pertti, Kari, Sami und Toni (v.l.n.r.) sind PKN. Hinter ihnen steht der ehemalige Zivildiener des Projektes, durch das sich die Band kennenlernte, Time Piipponen. Foto von Niila Suoranta

Alle: Ja!

Sami Helle: Ich würde gerne Rio de Janeiro sehen. Da gibt es ein Lied der finnischen Band Dingo, sie singen über die Stadt …

Kari Aalto: Ich würde Hawaii und Kalifornien, die Heimat der Beach Boys, sehen wollen. Einfach sehen, welche Art von Stadt das ist, aus der die Beach Boys kommen.

Sami Helle: Kari, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo alles wahr werden kann. Wir können uns eine Wunschliste schreiben!

Pertti, was ist dein größter Traum mit dieser Band?
Pertti Kurikka: Zu gewinnen. Mein größter Traum wäre es, in Wien zu gewinnen.

Sami Helle: Was glaubt ihr, werden wir Wein in Wien trinken?

Alle: Natürlich!

Toni Välitalo: Ich möchte euch allen Grüße ausrichten, wir sehen uns in Wien.

Pertti Kurikka: Eine Sache noch! Akzeptiert man finnisches Geld in Österreich?

Natürlich!

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