Weil eben alles
ein Ende hat

Wenn man Frau und Kinder verlässt, um in ein anderes Land zu reisen, muss das triftige Gründe haben. Diet F. hat den Sprung gewagt, er ging weit fort. Der Name „Diet“ kommt von Dieter, und Dieter ist jetzt wieder da. Wieder zurück in Österreich, nach 20 Jahren in der weiten Ferne.

Maximilian H Tonsern
Feuilletonsern präsentiert

--

Diet räkelt sich auf einer Holzbank. Das Haus, in dem er gerade wohnt, gehört einem „Haberer“, wie Diet sagt. Er öffnet sich ein Bier, stellt es auf den Tisch. Diet trägt eine rote Fleecejacke und beginnt nur langsam zu erzählen, sucht nach Worten. Seine Haare sind streng nach links gekämmt, an den Schläfen bereits ergraut. Er ist 57 Jahre alt. Österreich verließ er mit zirka 37 Jahren, Diet hat es nicht so mit Zahlen und Zeit, wie er zugibt. Zurück ließ er einen sicheren Job, eine Frau und zwei Kinder, „die Buben“, wie er seine Söhne immer nennt. Seit damals ist er unterwegs, bereiste mehrere Länder der Erde, blieb immer ein wenig, ließ manchmal alles hinter sich und kehrte oft wieder zurück.

Diet ist KFZ-Mechanikermeister. „Motorrad-Mechanikermeister, muss man sagen“, meint er. Um seinen Hals trägt er zwei Perlenketten, die Haut ist knorrig, braun, nahezu wettergegerbt. Nach einer Anstellung in Graz eröffnet er in Hausmannstätten eine Motorradwerkstatt, mit einem Freund, einem „Haberer“ eben. Das Geschäft funktioniert vom ersten Tag an. „Ich bin hingekommen, und da stand ein Motorrad vor der Tür. Sofort haben wir zum Arbeiten angefangen. Aber alles hat einen Anfang und ein Ende.“ Diet nickt, den Satz wird er noch öfters sagen, wenn er aus seinem Leben erzählt. Alles hat bei ihm einen Anfang und ein Ende.

Der Name “Diet” kommt von Dieter. Und Dieter ist jetzt wieder da. © Lucas Kundigraber

Schon früh hatte er alles, wie er meint. „Da gab es die Reni, meine erste Frau. Und mit 25 habe ich mir ein Haus gekauft und renoviert, dann kam der große Bub, dann der kleine Bub. Ist ja normal.“ Wenn er die Bierflasche ansetzt, nimmt er nicht nur einen Schluck, sondern gleich drei, vier hintereinander. Das wird er noch öfters machen, wenn ihm der Mund vom Erzählen trocken wird. Diet zündet sich eine Zigarette an, die rote Packung Gauloises liegt geöffnet vor ihm. Er wird nur zwei Zigaretten rauchen, an diesem Nachmittag. „Also Frau, Kinder, Haus, und die Werkstatt. Mir war diese Weste zu eng, obwohl wir sehr frei gelebt haben, easy going.“ Diet zuckert gerne mit englischen Wörtern. „Dann habe ich meine Frau gefragt, ob wir auswandern wollen, nach Australien. Alles verkaufen. Dort dann eine Motorradwerkstatt eröffnen, ganz geschwind. Die Buben hätten sich schnell eingelebt.“

Sie wollte aber nicht. Diet verlässt sie und seine Buben, hinterlässt ihr den gesamten Besitz. Rückblickend ging ihm das zu schnell. „Ich hätte noch zehn Jahre warten sollen. Aber ich war schon immer schnell, war mit allem schnell.“ Er fliegt nach Thailand, auf eine kleine Insel namens Ko Mak, seine Insel, wie er noch öfters sagen wird. Die Insel ist fünf Stunden von Bangkok entfernt, vom Massentourismus noch weitgehend verschont. Es gibt ein Ressort, das gehört einem Freund vom Diet. „Der ließ mich dort auch immer wohnen, in einer kleinen Hütte. War super geil.“ Diet lernt in Thailand eine Frau kennen. Eine Israelin, Lia. Sie lebte in Costa Rica. „Auf einmal kam eine Postkarte, auf der stand zu lesen: ‚Willst du nicht kommen?‘, und ich denke mir, soll ich dorthin? Immerhin habe ich mich ja auch gut gefühlt, mit der Frau.“ Diet fährt nach Costa Rica und bleibt dort. Seinen Rückflug verpasst er, seine „Haberer“ ruft er an. Er wird nicht wiederkommen. Zumindest nicht jetzt.

Anfang in Costa Rica

In Costa Rica hält Diet sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, repariert Motorräder. „Wir haben dann aber gesagt, dass wir was unternehmen müssen, damit wieder Kohle hereinkommt.“ Seine Frau ist von Beruf Händlerin. Heute seriöse Heilerin, wie Diet ernst erzählt. „Unglaubliche Frau, wirklich. Die hat es so drauf. Mit so vielen Fähigkeiten. Alle meine Frauen haben großartige Fähigkeiten.“ Diet und Lia beginnen, Schmuck herzustellen, und fahren nach Los Angeles in den USA. Am Venice Beach verkaufen sie den Schmuck. Nach einem Jahr brechen sie ihre Zelte wieder ab. „Los Angeles, das ist der stressigste Platz überhaupt, bist du deppert.“ Diet schüttelt den Kopf. „Wahnsinn. Überall ist Polizei. Wenn du keinen Polizisten gehen siehst, ist immer einer in der Luft. Big brother is watching you.“ Die Großstadt missfällt Diet, der als Jugendlicher aus der relativ kleinen Stadt Graz zog, weil sie ihm zu groß war.

Diet zuckert gerne mit englischen Wörtern. “Triple-A” hat er besonders gern. © Lucas Kundigraber

Diet und Lia gehen nach Indien. Der Plan: Kleider kaufen, um sie in Costa Rica wieder verkaufen zu können. Nach einem Monat der Textilanschaffung und einem Zwischenstopp auf Diets Insel Ko Mak in Thailand sind sie wieder in Costa Rica und eröffnen ein Geschäft. Wie bei der Motorradwerkstätte gibt es Kunden von Beginn an. „Der Zaun war noch zu, und die Leute sind schon drüber gesprungen, obwohl ich erst die Kleider aufgehängt habe.“ Diet verdient gut. Er baut ein Haus, gemeinsam mit Lia, in der Nähe des Regenwaldes.

Ein Regenwald mit Blumen, die unvorstellbar sind: „Die sind sieben Meter hoch und haben zwei Meter lange Blüten. Wenn du dich hinsetzt, kannst du zu sehen, wie sie wachsen.“ Er gluckst. Wenn Diet grinst, und das tut er oft, zieht er den rechten Mundwinkel steil nach oben. „Wirklich geil.“ Diet lacht, zeigt seine tabakgefärbten Zähne. Das Geschäft wird immer größer, die Arbeit immer mehr. Im Sommer ist Diet in Indien, meistens in Jaipur, und kauft, im Sommer geht er nach Costa Rica und verkauft. „Man musste aber immer so viel warten. Jesus Maria. India — everything takes time.“ Für Diet wird es zu viel Stress. Er will wieder freier sein. Seine Augenbrauen sind drahtig und dicht, sie springen auf und ab, Diet setzt einen schelmischen Blick auf.

Triple-A in Indien

Weil ihm ein Freund davon erzählte, begibt er sich auf die Suche nach einem buddhistischen Kloster im indischen Ort Rewalsar. Erst am letzten Tag seines Aufenthaltes findet er das Kloster im kleinen Ort am Himalaya-Gebirge. Häuser scharen sich um einen heiligen See, von den vielen Exil-Tibetern in Rewalsar „Tso Pema“ genannt. „In Indien ist viel heilig. Aber dieser See ist besonders heilig. Merkt man auch, mit der Zeit“, meint Diet.

In Rewalsar gibt es Klöster und Tempel der Sikh, Hindus und Buddhisten. Diet spricht mit Ontul Rinpoche, dem Vorsitzenden des Klosters. Rinpoche erlaubt ihm, wieder zu kommen. Diet kehrt auch zurück, allerdings ohne Lia — die beiden trennen sich in Bangkok, weil eben alles ein Ende hat — und nach einem Zwischenaufenthalt auf „seiner“ Insel Ko Mak. Dort lernt er Maria kennen, schnell, wie er ist. „Sie war aus Mexiko. Der habe ich gesagt: Ich lebe in Indien, in einem tibetanischen Kloster, kommst du mit?“ Maria lässt in Mexiko alles liegen und stehen und kommt.

Mala haben 108 Perlen. Die Ketten um Diets Hals haben weniger. © Lucas Kundigraber

Diet beginnt, in Rewalsar zu bauen. „Ich bin zwar Motorradmechaniker, aber Architekt bin ich auch“, lacht er. Gemeinsam mit Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem Dorf beginnt er, Häuser zu errichten. „Das wurde wirklich alles sehr schön dort, was wir gemacht haben.“ Diet strahlt. „Viel Arbeit natürlich. Alles mit der Hand. Alles wurde hinaufgetragen, der Ort war unten, die gebauten Häuser ein wenig weiter oben.“ Sand, Zement, Ziegel, Diet bewundert die Trägerinnen, die auf ihrem Kopf Lasten transportieren. Er schnalzt laut mit der Zunge. Ontul Rinpoche schenkt ihm vollstes Vertrauen. „‚Du kommst vom Westen, du weißt das besser als ich‘, hat Rinpoche zu mir gesagt.“ Als die Häuser fertig werden, bezieht Diet dort mit Maria einige Zimmer. „Triple-A.“

Doch nur von Kost und Logis wird man nicht reich. „So begannen wir, Schmuck zu machen. Mala, Rosenkranz, for the monastery.“ Mala, hinduistische und buddhistische Gebetsketten, haben 108 Perlen. Die Ketten um Diets Hals haben weniger, sein Adamsapfel hüpft auf und ab, als er die Bierflasche leer trinkt. Der Ertrag aus dem Verkauf ist nicht viel, aber in Ordnung. Maria, die einmal im Jahr für einige Monate nach Mexiko zurück flog, beginnt auch dort zu verkaufen. Dann ist das Bauprojekt in Rewalsar vollendet, die Probleme mit Visa häufen sich. „An endless story. Das war so beschissen. Wir mussten ins home country gehen, sonst bekamen wir kein Visum mehr.“ Diet ärgert sich über die indischen Behörden, erzählt von Hunderten Seiten Papierkram. „Bullshit. Furchtbar kompliziert. Es war immer derselbe Blödsinn, der da oben stand. Dann musst du zu der einen und zu der anderen Polizei, ach leck mich doch am Arsch.“ Schließlich gehen er und Maria nach Mexiko, in den Norden von Durango, und verkaufen den Schmuck dort.

Ende in Mexiko

Eigentlich wollte Diet gar nicht nach Lateinamerika. „Ich kann diese Gewalt nicht leiden. Amerika ist so viel gewaltvoller als Europa. Überall stand einer mit dem Gewehr.“ Er schläft mit griffbereitem Revolver. „Den haben wir nie gebraucht. Sonst war es ja geil. Die Landschaft, super geil. Die einfachen Leute auch, total lieb. Aber diese Gewalt. Und die Mafia, überall.“ Einmal haben sie ihn sogar angerufen, glaubt Diet, am Handy, „Los Zetas“, die Mafia. „Diese Trottel. War mir wild unangenehm, dieser Anruf. Einen Schulkollegen von der Maria haben sie erschossen, mit einem Maschinengewehr, wie die SS.“ Diet schaut nachdenklich drein, schüttelt den Kopf, fährt sich durch die Haare. „Aber das ist so eine zweiseitige Geschichte. Wenn du von alldem nichts mitbekommen willst, gibt es eine very nice society. So krass.“

Einmal glaubt Diet, dass Nachbarsjungen Böller schießen. Als er hinausblickt, sieht er zwei Autos, die sich gegenseitig aufs Korn nehmen. „Ganz normal, das war einfach die lokale Mafia gegen eine andere Mafia.“ Er und Maria ziehen um, kaufen sich einen Grund am Meer, in einem verschlafenen Nest namens Mazunte. „Total geiler Platz.“ Diet kommt wieder ins Schwärmen, seine Augen funkeln. „Super geil. Super geil.“ Er baut wieder ein Haus. Rund, gemauert, mit Hartholzdach. „Fast fertig.“ Aber weil eben alles ein Ende hat, endete das mit Maria vor einem Monat. Diet ist jetzt wieder da.

Die Sonne schien das ganze Interview über. Passend zum Schluß ging sie dann unter. © Lucas Kundigraber

Wieder zurück in Österreich. Nur mit Handgepäck. „Je mehr man sich nämlich reduziert“, sagt Diet leise, „desto klarer wird die Sicht.“ Seine Haberer sind ihm abgegangen. Zudem dachte er in den letzten Jahren öfters an Österreich, er möchte auch an seiner Pension schrauben. „Ich habe ja zwanzig Jahre gearbeitet.“ Er setzt die Bierflasche an, nimmt drei, vier Schluck, das Bier geht über, schäumt, Diet flucht, „Stupid.“ Was ist mit seinen Buben? „Der kleine Bub kam mich oft besuchen. In Thailand, auf meiner Insel, in Costa Rica, Indien, Mexiko.“ Der große Bub wollte ihn zehn Jahre lang nicht sehen. „Als Teenager meinte er: ‚Wenn du nicht da bist, brauche ich dich nicht‘. Er hatte völlig Recht damit.“

Jetzt braucht Diet ihn, beim Buchen des Rückfluges nach Graz zum Beispiel. Dort wird Diet aber nicht lange bleiben. Er geht bald wieder, zu einem Bauernhof in der Südoststeiermark, um dort zu arbeiten. Vorerst. Weil alles, was einen Anfang hat, hat ja auch ein Ende.

Das Porträt von Diet erschien in gekürzter Fassung in der März 2015 — Ausgabe der Straßenzeitung “MEGAPHON” zum Thema “Freiheit”.

--

--