Trumps sozialpolitische Agenda und was das mit der Schweiz zu tun hat

Che Wagner
first world development
4 min readFeb 20, 2017

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Ein Reisebericht

Das Capitol in Washington DC Anfang Februar 2017

Wir können uns glücklich schätzen. Eine Delegation von jungen Schweizer Polit-Nerds rund um den Think-Tank für Aussenpolitik, Foraus, tritt eine Reise in das turbulente Amerika des beginnenden Jahrs 2017 an. Organisiert und finanziert von Seiten des State Department aus Obama Zeiten erlaubt die Reise einige intime Einblicke in die Mechanismen und Rollenverteilung der Amerikanischen Politik.

Die Reise beginnt — wo sonst? — in Washington, dem unumstrittenen politischen Epizentrum des Landes. Die Wahl Trumps hat die Gemüter der etablierten politischen Kräfte in Washington in Aufruhr gebracht. Viele fragen sich, wie sie den politischen Einfluss der vergangenen acht Jahre weiterhin halten können. Im “Center for American Progress” (CAP), einer der einflussreichsten Think Tanks während der Obama-Zeit, ist immer noch ein gewisser Schock spürbar. Alle haben sich auf eine Clinton-Präsidentschaft eingestellt. Das hätte bedeutet, dass wohl knapp die Hälfte der CAP-Leute — Fellows, Mitarbeiter, Policy-Experten — in der Regierung mitgearbeitet hätten. Stattdessen wirkt das Haus etwas verlassen, depressive Stimmung und Verunsicherung im Gespräch. Wie gestaltet man Oppositionspolitik in einem Land, in dem man den Gesetzen der Gegenseite fast zu 100% widerspricht? Wie bereitet man sich auf die nächsten Kongresswahlen 2018 vor und mit welchen Themen stellt man sich auf?

Eine ganz andere Stimmung finden wir bei unserem Besuch in der “Heritage Foundation” vor. Es ist der wohl einzige etablierte politische Akteur der sich trotz der vorherrschenden anti-establishment Rhetorik Trumps einen sicheren Platz im Zentrum der Macht sichern konnte. Während sich viele aus der etablierten konservativen Bewegung von Trump distanzierten, hat sich Heritage schon früh als Partner aufgestellt. Das zahlt sich jetzt aus: Ein Grossteil der Belegschaft wird sich innerhalb der nächsten Monate in der neuen Regierung wiederfinden. Wie nah sich die Interessen von Hertage mit der Trump-Entourage decken, hat sich insbesondere bei der Veröffentlichung einer Wunschliste mit möglichen Supreme-Court Richtern gezeigt: Sie wurde fast vollständig von Trump übernommen.

Neues Büro im State Department

Wir aus der kleinen Schweiz werden bei der Heritage Foundation gebührend empfangen. Konferenzraum, Ledersessel, drei wichtige Vertreter der Organisation. Es ist ein aussergewöhnlicher Respekt für die Schweiz und ihre vermeintlichen Werte zu verzeichnen. Das ist kein Zufall: Föderalismus, Deregulierung und eine gehörige Portion Protektionismus sind wichtige Kriterien des “Economic Freedom index”. Ein jährliches Ranking, auf dem die Schweiz jeweils auf Spitzenpositionen auftaucht, 2017 notabene auf Platz 4. Und: Während andere grosse Organisationen die wie Brookings, Cato oder CAP ihre Geschäftstätigkeit als die primären Produzenten von politischen Ideen aus Grossspenden speisen, hat sich Heritage als Ausnahmeerscheinung stilisiert. Über eine halbe Million Mitglieder stützen die Organisation — eine ungewöhnlich hohe Zahl für einen Think Tank.

Ein “Blueprint for Reform” wurde direkt nach Trumps Wahl im November veröffentlicht. Darin finden sich alle Vorschläge für die Gesetze der Zukunft à la Heritage in allen Bereichen. Mit Blick auf die Wählerschaft Trumps und den Prämissen, mit denen Trump angetreten ist, lässt sich eine gewisse Ironie nicht unterdrücken. Von der Ermöglichung einer Krankenversicherung, über die Altersvorsorge bis hin zum sozialen Ausgleich: überall soll substanziell gespart werden. Diejenigen, die aus Hoffnung einer besseren Zukunft und aus Überdruss des Establishments für Trump gewählt haben, werden unweigerlich den grössten Schaden aus einer Heritage-Trump-Politik davontragen.

Die Schweizer Crew auf der “International Visitor Leadership Program” Reise des State Department

Besonders frappant erscheint der Wunsch, an der sozialen Sicherung zu sparen. In einem Land, in dem sich Studenten keine Wohnung mehr leisten können und in Zelten übernachten und schon heute Millionen von Menschen obdachlos sind. In diesem Land stimmen diejenigen, die sich gerade noch oberhalb der Armutsgrenze halten für einen Präsidenten und damit einer Regierung, die ihre Möglichkeiten und soziale Mobilität stark beschneidet. Heritage promotet zahlreiche Vorschläge für die Erhöhung des Alters in der Vorsorge, die Erschwerung des Zugangs zur sozialen Sicherung und für das Ende der staatlich geförderten Krankenversicherung. Im Heritage “Blueprint” wird sogar notiert, dass ein Problem von sogenannten “Food Stamps” (ein Programm für Nahrungssicherheit der ärmsten der Bevölkerung) wäre, dass keinerlei Gegenleistung erfolgen müsse. Der Vorschlag: Wer die Essensgutscheine weiterhin erhalten wolle, sollte zur Arbeit gezwungen werden können.

Philadelphia. Wir finden uns vor einem Hochhaus wieder, in dem sich das Büro des republikanischen Senator Toomey befindet. Seit der Wahl im November wird hier jeden Dienstag aktiv demonstriert, dieses Mal sind es mehrere Hundert Menschen. Es sind Menschen verschiedenster Couleur und aus den verschiedensten Hintergründen. Es sind homosexuelle, Frauen, Minderheiten aber teilweise auch traditionelle Wähler, die mit der gegenwärtigen Politik nicht mehr einverstanden sind und hier versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Es wird entscheidend sein, ob und wie sich die liberalen und progressiven Kräfte sammeln werden. Werden sie absorbiert sein von der schier existenziellen Notwendigkeit des Widerstands? Wird es möglich, sich wieder auf echte Visionen einzulassen und damit einen tatsächlichen Diskurs zu kreieren? — zusammen mit der grössten Wählergruppe: den Nichtwählern?

Von einer jungen Frau höre ich den Satz: “Either you’re at the table or you’re on the menu.”

Protest in Philadelphia Mitte Februar 2017

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