Eine kurze Geschichte von Food Porn

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3 min readMar 25, 2020
Eine kleine Geschichte von Food Porn durch 7 Pinterest Boards

Das bildliche Festhalten von Essen funktioniert heute mit minimalem Aufwand. Die Intention dahinter ist oftmals die Verewigung und kunstvolle Präsentation von leckerem Essen. Während unsere Instagram-Feeds jedoch mit leckerem Essen übersät sind, essen die meisten Menschen in ihrem täglichen Leben ziemlich normale Lebensmittel. Eine zukünftige Analyse unserer Essgewohnheiten aufgrund von Instagram oder Pinterest würde also ein historisch vollkommen verzerrtes Bild ergeben. Ähnliches passiert, wenn man Gemälde von Essen für eine realistische Darstellung von frühneuzeitlichen Essgewohnheiten interpretiert.

Wissenschaftler vom Food and Brand Lab an der Cornell University haben 140 Gemälde von Essen, die zwischen 1500 und 2000 entstanden sind, untersucht.[1] Es wurde entdeckt, dass die am häufigsten dargestellten Lebensmittel nicht mit den am häufigsten gegessenen Lebensmitteln korrelierten. Künstler und Auftraggeber tendierten dazu, spezielle, begehrenswerte oder ästhetisch ansprechende Lebensmittel zu malen oder malen zu lassen. Gemälde von Essen dienten also nicht der historisch korrekten Darstellung der Wirklichkeit. Stattdessen sollten dem Betrachter ein ästhetisch ansprechendes Seherlebnis gewähren, das Vermögen der Auftragsgeberfamilie zur Schau stellen, das handwerkliche Repertoire des Künstlers präsentieren oder die weitreichenden Handelsnetze einer Nation visualisieren.

Die detaillierte Analyse der Gemälde ergab, dass in 38.57% Fleisch, in 19.29% Gemüse und in 75.71% Früchte dargestellt wurden. Obwohl die wichtigste Fleischquelle frühneuzeitlicher Familien der Mittel- und Oberschicht Geflügel oder Wild waren, wurde die Kategorie Fleisch von den Schalentieren dominiert. Besonders häufig fand man Schalentiere und Fisch in der niederländischen Malerei, was jedoch nicht erstaunlich ist, da über 50% der niederländischen Grenze von Wasser umgeben ist.

Unterschiedliche Lebensmittel waren mit unterschiedlichen symbolischen Bedeutungen aufgeladen. Der Auster wird bis heute eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt. In Gemälden konnte sie einerseits auf die vergängliche Natur des Vergnügens, andererseits auf romantische und erotische Beziehungen hindeuten. Hummer, die auch im meernahen Holland schwierig zu bekommen waren, symbolisierten Reichtum. Die Fähigkeit des Hummers, sich sowohl vorwärts als auch rückwärts zu bewegen, sollte an die Instabilität des Lebens erinnern. Das Ablegen der Schale während der Wachstumsphase wurde mit der Idee der Erneuerung und speziell mit der Auferstehung Christi in Verbindung gebracht.

Früchte wurden öfter bildlich dargestellt als Gemüse. Das beliebteste Gemüse, die Artischocke, wurde in 5% der Gemälde wiedergefunden. Sie wurde ihrer Form wegen gerne gemalt, durch die der Maler sein handwerkliches Können zur Schau stellen konnte. Dasselbe galt für die am häufigsten dargestellte Frucht, die Zitrone (30.71%). Die korrekte Darstellung der komplexen Oberflächenstruktur, der intensiven Farben und des saftigen Innern von Zitronen etablierte sich in der niederländischen Malerei zu einem Fähigkeitstest für junge Maler.

Bereits in der frühneuzeitlichen Malerei gab es einen starken Zusammenhang zwischen der Freude am Essen und der Darstellung von Essen. Lebensmittel, die in Form, Farbe und Textur ästhetisch ansprechend waren oder den guten Geschmack und Reichtum der Auftraggeber am besten präsentierten, wurden am häufigsten gemalt. Es lassen sich deshalb bedeutend mehr Gemälde von exotischen Früchten und Schalentieren, als von heimischen Gurken und Wurzelgemüsen finden. In anderen Worten: Maler und Auftraggeber waren mehr daran interessiert, die Haute Cuisine zu präsentieren — so wie es heute auf Instagram und Pinterest auch passiert. Menschen möchten ihr Leben interessanter und luxuriöser erscheinen lassen, wofür Essen ein sehr guter Ausgangspunkt ist.

Text von Miriam Edmunds, geschrieben anlässlich der Ausstellung Schaulust im Photoforum Pasquart, kuratiert von Danaé Panchaud und Miriam Edmunds.

Klicken Sie hier um unsere Pinterest-Boards zur Geschichte von food porn zu sehen

[1] Wansink, Brian; Mukund, Anupama; Weislogel, Andrew: Food Art does not Reflect Reality. A Quantitative Content Analysis of Meals in Popular Paintings, in: Sage Journals 6, Nr. 3, 19.07.2016.

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